SPOX: Gerade Malaysia ist für die Fahrer eine Herausforderung, weil während des Lenkens gebremst werden muss. Haben Sie für die Entwicklung einen Beraterstab an professionellen Piloten? Oder mischt sich sogar Bernie Ecclestone ab und an in die Gestaltung des Streckenverlaufs ein?
Tilke: Ja, Bernie Ecclestone mischt sich ein, wenn es um Formel-1-Strecken geht. Er hat sehr viel Erfahrung und Weitblick. Ich stelle ihm die Planung vor, dann fragt er an verschiedenen Stellen, ob man nicht etwas anders machen kann und wir diskutieren. Er hat manchmal wirklich sehr gute Ideen und öffnet uns die Augen. Ich rede zudem viel mit Fahrern wie Lucas di Grassi, Mika Häkkinen, Alexander Wurz. Weil es meine Passion ist, bin ich sowieso bei der Formel, der MotoGP, der WEC, der DTM und auch bei kleineren Veranstaltungen vor Ort. Bei einigen Rennen, nicht bei allen. Sonst würde ich gar nicht mehr arbeiten können. (lacht) Dabei reden ich und meine Mitarbeiter sehr viel mit Fahrern über Details und nehmen Ideen mit, die später in neue Strecken einfließen.
SPOX: Es wirkt so, als würden die aktuellen Fahrer ihre Arbeit durchgehend loben, während die ehemaligen teils harsche Negativ-Kritik äußern. Jackie Stewart stach da besonders heraus.
Tilke: Es hat sich bei Jackie Stewart auch geändert. Ich habe mehrfach mit ihm gesprochen und Zusammenhänge erklärt. Früher war es normal, sich der Gefahr auszusetzen. Heute ist das eine andere Welt, das möchte kein Fahrer mehr. Auch die jungen finden alte Strecken sehr reizvoll. Das ist richtig. Wenn man bei unseren die Leitplanken direkt an den Straßenrand stellt, sehen die ganz anders aus. Manchmal gibt es Gründe für ein bestimmtes Design, die man von außen nicht so leicht erkennen kann. Es geht oft nicht anders. Wir würden gerne eine Nordschleife mit 20 Kilometern Auf und Ab bauen. Aber wenn das Budget und das Grundstück dafür nicht da sind, geht das einfach nicht. Manchmal kritisieren uns also die Fahrer. Sie haben teilweise auch Recht. Wenn wir dann erklären, dass zum Beispiel das Grundstück zu Ende war, ist alles geklärt. Diese einfachen Zusammenhänge kennt niemand, der die Strecke einfach nur benutzt.
SPOX: In der Saison 2015 wurden 12 von 19 Strecken von Ihnen umgebaut oder komplett geplant. Wie beurteilen Sie selbst die Entwicklung der Formel 1 weg vom europäischen Kernmarkt?
Tilke: Es ist eine Weltmeisterschaft. Deshalb sollte sie weltweit vertreten sein. Außerdem werden dadurch neue Märkte erschlossen. Es sind Grands Prix dabei, die wie Singapur von Anfang an einen Motorsport-Hype im Land erzeugt haben. Bei Malaysia war zu Beginn das Interesse verhalten, heute ist rund um die Rennstrecke eine kleine Motorsport-Industrie entstanden. Ich bezweifle, dass das so wäre, wenn es den Kurs nicht gegeben hätte. Dies war überall so, wenn man einige Jahre gewartet hat. Für den Sport ist es richtig, in motorsportliche Entwicklungsländer zu gehen. Ich sehe es nicht so, dass Motorsport immer in seinen traditionellen Ländern bleiben muss. Er ist wie jeder Profisport ein Geschäft. Die Sponsoren und Hersteller haben ein berechtigtes Interesse daran, in Länder zu gehen, wo sie umfassend die Menschen erreichen. Es sind in der Regel Global Player. Zu viel Europa würde bedeuten, dass irgendwann alles ausgeschöpft ist.
SPOX: Ausgerechnet der Europa-GP wandert in der Saison 2016 erstmals nach Baku. Bisher ist über den von Ihnen geplanten Stadtkurs wenig bekannt. Er ist relativ lang, was wahrscheinlich daran liegt, dass viele Sehenswürdigkeiten abgefahren werden sollen.
Tilke: Sie geben viel Geld aus und dafür soll die Stadt gezeigt werden. Übrigens: Baku wird eine supergeile Strecke. Es fängt am wunderschönen Regierungsgebäude an, wo Fahrerlager und der Start sind. Dann folgen mehrere rechtwinklige Kurven - typische Stadtgegebenheiten. Aber dann fahren wir den Berg ziemlich steil hoch und kommen an eine ganz enge Stelle. Das ist das Beispiel, wo die FIA und wir mutiger werden. Wir machen wieder Sachen, die man sich vor ein paar Jahren nicht getraut hätte. An der engen Stelle fahren wir an der Stadtmauer aus dem 12. Jahrhundert vorbei. Der ganze Teil wird fahrerisch nicht ganz einfach. Am höchsten Punkt folgt eine Passage mit ein paar sehr schnellen Kurven, bevor es beim Sitz des Präsidenten wieder runter zum Wasser geht - auch sehr steil. Danach wird zwei Kilometer lang durchbeschleunigt bis zum Ziel.
SPOX: Die Unterschiede klingen nach Problemen für die Teams.
Tilke: Es wird für die Techniker eine Herausforderung. An einigen Stellen bräuchte man viel Downforce, aber unten am Wasser kann man die steilen Flügel gar nicht gebrauchen. Die Abstimmung wird ein Kompromiss werden. Ich glaube, sie werden relativ wenig Flügel fahren müssen, weil sie sonst auf der langen Geraden überholt werden. Dadurch wird mehr gerutscht. Das ist, was die Action ausmacht: Wenn ein Auto nicht ideal abgestimmt ist. Würde man die ganzen Ingenieure einsperren, wären die Rennen viel interessanter. (lacht)
SPOX: Ihr eigenes Geschäftsfeld hat sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Nach Fahrsicherheitszentren, Go-Kart-Rennstrecken und automobilen Teststrecken sind mittlerweile neue Projekte wie der Bilster Berg in Deutschland oder Vancouver Island hinzugekommen. Am besten beschreibt man sie wohl als Motorsport-Country-Club.
Tilke: Die Aufgabenstellung ist einfach: Möglichst viel Spaß, möglichst viel Abwechslung. Wir bauen gerade eine solche Klubrennstrecke in der Nähe von Mexiko City. Der Markt ist relativ groß. Was sollen die Leute mit ihren Ferraris und Oldtimern auf der Straße? Dort wird immer mehr reglementiert. Die Leute wollen ihre Autos ausfahren. Das geht auf einer Formel-1-Rennstrecke oft nicht. Sie ist überdimensioniert, die Spitzkehren nach den langen Geraden verkraften die Bremsen eines Serienautos nicht. Für uns ist das sehr interessant, weil wir ganz andere Planungsansätze haben.
SPOX: Auffällig ist, dass Sie oft Dependancen dort gegründet haben, wo eine neue Formel-1-Rennstrecke mit Ihnen gebaut wurde. Der Motorsport war oft ein Türöffner, mit dem Sie danach Aufträge für Infrastruktur, Hotels, Krankenhäuser und andere Projekte bekommen haben. Gerade in den arabischen Ländern wie Abu Dhabi oder Bahrain war das oft der Fall. Wie sind Sie als Bauingenieur mit den dortigen Bedingungen der Bauarbeiter umgegangen?
Tilke: Wir kommen in ein Land, wo wir Gast sind. Wir müssen uns also an die Mentalität und bestimmte Gegebenheiten gewöhnen und mit ihnen umgehen. Wir können nicht die Verhältnisse aus Deutschland oder Mitteleuropa erwarten. Allerdings setzen wir uns in bestimmten Ländern, was die Arbeitsbedingungen betrifft, durch und sagen: "Nein, so geht es nicht. So machen wir das nicht." Das betrifft vor allem Dinge wie die Arbeitssicherheit. Wir wollen einen gewissen Mindeststandard haben und setzen diesen durch. Das hat zwei Gründe: Wir könnten sonst unsere Qualität nicht sicherstellen und die Arbeiter müssen damit leben können.
SPOX: Allerdings gewinnt kein Unternehmen jede Ausschreibung und manchmal wird aufgrund fehlender Finanzierung dann doch nicht gebaut. Trifft Sie als Planer das?
Tilke: Klar bin ich enttäuscht, wenn ich mich damit beschäftigt habe. Verlieren macht keinen Spaß, egal ob es sportlich oder beruflich ist. Beim Formel-1-Rennen in New York habe ich mich besonders geärgert. In New Jersey waren wir schon sehr weit mit der Planung. Bei den Rennstrecken haben wir aber generell den Vorteil, dass wir die meiste Erfahrung haben. Wir machen die wenigsten Fehler und kosten den Kunden am wenigsten Geld.
SPOX: Gibt es denn eine Aufgabe, der Sie sich mit Ihrer Firma noch stellen möchten?
Tilke: Jede Menge! Es gibt noch viele Herausforderungen: Im echten Gebirge eine Rennstrecke zu bauen oder ganz simple Sachen wie spezialisierte Strecken nur für Motorräder oder nur die Formel - das wären tolle Aufgaben.
Kalender und WM-Stände der Formel 1 im Überblick