"Wenn ich lande und keine E-Mail habe, die bestätigt, dass es angenommen ist, oder etwas anderes Positives beinhaltet, dann werden Sie mich wegen einer anderen Story anrufen", sagte Pirelli-Motorsportdirektor Paul Hembery vor seiner Abreise aus China zu Motorsport.com.
Zur Saison 2017 plant die Formel 1, den mechanischen Grip der Autos durch breitere Reifen zu steigern. Zudem sollen die Kurvengeschwindigkeiten durch höhere Abtriebswerte gehoben werden. Durch beide Änderungen werden die Slicks stärker belastet. Pirelli hat allerdings bisher keine Möglichkeit, sich auf diese Herausforderung vorzubereiten.
Der Einheitsausrüster der Formel 1 drängt seit Monaten darauf, ein Testprogramm für die neue Reifengeneration festzuzurren. Bisher haben sich die Regelhüter bestehend aus Formel-1-Management, Automobilweltverband FIA und den Teams aber noch nicht mal auf die genaue Ausgestaltung des technischen Reglements und damit der Abmessungen der Autos ab der kommenden Saison geeinigt.
Reifen für Saison 2017 haltbarer
"Es ist, wie es ist. Wir können unseren Job so nicht machen. Wir können nicht liefern. Wir sollen sehr bedeutende Änderungen bezüglich der Fahrbarkeit der Reifen machen", so Hembery: "Dazu kommt von vornherein die thermische Herausforderung, die sich ändert. Wir sollen Reifen liefern, die weniger Abnutzung und weniger Verschleiß aufweisen."
Offenbar haben sich die Formel-1-Piloten mit ihren Forderungen durchgesetzt. Sie klagen seit Jahren über die Slicks. Sie bauen stark ab, sobald sie einmal überbeansprucht werden. Diese Eigenschaft ist eine Folge der Vorgabe der Formel 1 an Pirelli, Spannung auf der Strecke durch unterschiedlich abbauende Gummis sicherzustellen.
Diese Vorgabe gehört nun offenbar der Vergangenheit an. "Es müssen Reifen sein, mit denen die Fahrer ein breiteres Fenster haben, um zu pushen", erklärte Hembery den neuen Ansatz: "Das ist eine große Änderung und eine große Steigerung bezüglich der Performance. Uns läuft die Zeit davon. Wir haben Mitte April."
Pirelli hat mit dem Formel-1-Management bereits einen Vertrag geschlossen, der Sponsoring von 2017 bis 2019 vorsieht. Damit einhergehend sollte der Belieferungsvertrag mit der FIA über denselben Zeitraum ausgedehnt werden.
Wer testet mit Pirelli?
Nach Pirellis monatelangen Appellen, signalisierten in China fünf Teams Interesse, am Testprogramm der Italiener teilzunehmen. Eine feste Zusage für die insgesamt 25 vorgesehenen Testtage gab es allerdings nicht. Die Teams müssen für die Reifentests ihre aktuellen Autos umbauen, sodass diese genauso viel Abtrieb generieren, wie die für die Saison 2017 vorgesehenen Nachfolger.
Für die Teams ist es ein kostspieliges Unterfangen. Für Pirelli steht der eigene Ruf auf dem Spiel. Konkurrent Michelin hat sich bei seinem Einstieg in die MotoGP in dieser Saison blamiert. Hinterreifen platzten, in Argentinien wurde den Fahrern ein Motorradwechsel vorgeschrieben, damit das Rennen sicher gefahren werden konnte.
"Man sieht andere Kategorien, in denen Leute zum Sport dazugekommen sind und große Probleme hatten", bestätigte Hembery, dass Michelins Probleme die Pirelli-Führung in Mailand misstrauisch gemacht haben: "Die Dinge verändern sich gerade stark. Wir sollen große Änderungen vornehmen. Die Fahrer wollen große Änderungen. Und trotzdem werden wir ohne die nötigen Werkzeuge alleingelassen."
Was passiert, wenn bis Montagabend keine Bestätigung des Testprogramms erfolgt ist? Hembery ließ in Shanghai keinen Zweifel aufkommen: "Wie gesagt... Sie werden mich wegen einer anderen Story anrufen. Dann kann jemand anderes diese Herausforderung annehmen. Es gibt genug anderes, was man mit seiner Zeit anfangen kann."
Die Formel 1 stünde bei einem Rückzug Pirellis vor einem ernsten Problem. Zwar hatte sich Michelin interessiert gezeigt, die Italiener als Reifenhersteller der Formel 1 abzulösen, doch die Franzosen bräuchten ebenfalls Testtage und zusätzlich mehr Entwicklungszeit.
Horner sieht geringe Chancen für neues Reglement
Allerdings könnte es soweit kommen, dass Pirelli gar keine neuen Reifen produzieren muss. Im Kampf um die Ausrichtung der Formel 1 bahnt sich nämlich neuer Zoff an. Eigentlich hatten sich die Teams und Chefpromoter Bernie Ecclestone schon auf die Rahmenbedingungen geeinigt: 2017 sollten die Autos deutlich schneller werden und spektakulärer aussehen, für 2018 auch ein Motor-Abkommen für mehr Chancengleichheit unterschrieben werden. Eigentlich.
Ein entsprechender Vertrag sollte bis Ende April ratifiziert werden, nachdem die eigentlich im März auslaufende Frist verlängert worden war - doch nun droht plötzlich auch diese Deadline zu platzen. "Ich denke - wie es bei solchen Dingen leider so oft der Fall ist - die Zeit wird am Ende des Monats ablaufen, ohne dass etwas erreicht oder verändert wurde", sagte Red-Bull-Teamchef Christian Horner am Rande des Grand Prix von China.
Im Detail geht es darum, dass Ecclestone und der FIA-Präsident Jean Todt von den Motorenherstellern Mercedes, Ferrari, Honda und Renault gefordert hatten, die Kosten für die Hybrid-Antriebe auf die Hälfte (etwa zwölf Millionen Euro) zu senken, die Aggregate für alle Teams zugänglich zu machen, die PS-Leistung und den Sound zu verbessern. Der Weltrat der FIA sollte alles abnicken. "Wir haben diese vier Kriterien nicht annähernd erreicht", meckerte Horner nun.
Die Zeit drängt, aber offenbar sind alte Gräben wieder aufgebrochen. "Die Sache ist sehr komplex. Es ist unheimlich schwierig, alle glücklich zu machen. Christian ist nicht so glücklich", sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff: "Die Motorhersteller sind sich einig darüber, dass wir nicht nochmals in eine Situation geraten dürfen, in der Teams potenziell ohne Triebwerke dastehen."
Wie Red Bull am Ende der Vorsaison, als sich die Österreicher erst in letzter Minute mit Renault über eine weitere Zusammenarbeit einigten. Eine dauerhafte Regelung scheint im Moment nicht in Sicht, auch wenn Wolff beteuert: "Wir arbeiten hart daran, eine Lösung zu finden."
Fahrer begehren auf
Bei den Ideen für die Autos der Zukunft schien der Konsens weitestgehend gefunden zu sein. Breiter, schneller, spektakulärer sollen die Boliden ab 2017 werden. Doch auch in diesem Fall laufen die Planungen nicht ohne Nebengeräusche ab. Auch die Piloten fordern nun mehr Mitspracherecht für entscheidende Weichenstellungen.
"Es würde helfen, wenn man uns besser zuhört", sagte Ferrari-Star Sebastian Vettel in Shanghai. Das Know-how der Fahrer in den Entscheidungsprozess nicht mit einfließen zu lassen, sei fahrlässig. "Wir sitzen schließlich im Cockpit, wir wissen, wie es sich im Auto anfühlt - was funktioniert und was nicht", sagte der Heppenheimer.
Die heutigen Fahrer würden sich mit solchen Fragen viel intensiver beschäftigen, weil auch ihnen die Krise der Formel 1 mit sinkendem Zuschauerinteresse zu schaffen macht: "Die aktuellen Probleme verbinden uns mehr, als es bei vergangenen Generationen der Fall war." Der Kampf um die Neuausrichtung der Königsklasse geht jedenfalls in die nächste Runde - mit oder ohne Pirelli.
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