Darüber hinaus erklärt der 66-Jährige, wieso es in seiner Formel-1-Karriere nie zum großen Wurf gereicht und warum ihn ein fataler Unfall zum Aufhören bewegt hat.
SPOX: Herr Surer, der Saisonstart in Australien steht kurz bevor. Wie ist nach den Winter-Testfahrten Ihr erster Eindruck vom Kräfteverhältnis in der Formel 1?
Marc Surer: Dadurch, dass sich das Reglement im Grunde nicht verändert hat, zeichnet sich an der Spitze ein ähnliches Bild wie zum Ende des vergangenen Jahres ab. Mercedes ist nach wie vor die Nummer eins, dahinter kämpfen Ferrari und Red Bull. Einen Wow-Effekt hatte ich also eher nicht.
SPOX: Aufgrund der Longrun-Zeiten, die bei den Tests in Barcelona gezeigt wurden, befürchtet manch einer, dass Mercedes rund eine Sekunde weg von der Konkurrenz ist ...
Surer: Vorsicht, Vorsicht. Was mir nämlich aufgefallen ist: Mercedes ist kaum auf den weichen Reifen gefahren - und wenn, hatten Sie schnell Probleme mit Blasenbildung. Es könnte also durchaus etwas Ähnliches eintreten wie letztes Jahr, wo sie auch anfangs Sorgen mit den weichen Reifen hatten. Das zumindest muss die Hoffnung der Konkurrenz sein. Denn sobald die Silberpfeile auf Medium unterwegs sind, sind sie deutlich schneller. Ihr großer Vorteil ist dabei nach wie vor der Motor, oder genauer gesagt der Benzinverbrauch. Auf Strecken, wo der eine größere Rolle spielt, kann Mercedes die ganze Zeit auf voller Leistung fahren.
SPOX: Nach drei erfolglosen Jahren mit Honda setzt McLaren nun auf Renault-Motoren. Mit dem Wechsel sollte eigentlich der Anschluss zu den Top-Teams gelingen. Bei den Testfahrten wurden Fernando Alonso und Stoffel Vandoorne aber immer wieder von technischen Defekten zurückgeworfen. Eine Enttäuschung?
Surer: Ich habe schon letztes Jahr gesagt, dass McLaren immer versucht hat, das Chassis gut aussehen zu lassen und dafür den Motor geopfert hat. Sie fuhren mit viel Flügel und waren somit im kurvenreichen Teil schnell, haben aber im Gegenzug auf den Geraden viel verloren - da war dann immer Honda schuld. Das rächt sich jetzt. Nun haben sie nicht mehr diese Ausrede und müssen sich mit Red Bull und Renault messen. Aber immerhin: Die Zeiten, die Alonso am letzten Testtag hingelegt hat, zeigen das Potenzial, das im Auto steckt.
SPOX: Hat Sie fernab der Spitze ein Rennstall besonders überrascht?
Surer: Das Haas-Team. Ich weiß nicht wie, aber die haben einen riesigen Schritt nach vorne gemacht. Wahrscheinlich sogar den größten von allen. Letztes Jahr fuhren sie mit Ach und Krach mal in die Top 10, jetzt kämpfen sie effektiv mit Renault um Platz vier der Konstrukteurs-WM.
Marc Surer über Halo, Motorenregelungen und Ferraris Ausstiegsdrohungen
SPOX: Für viel Gesprächsstoff sorgt das Halo-System. Was ist Ihre Meinung zum neu eingeführten Kopfschutz?
Surer: Wenn es so einen Schutz gibt und man ihn nicht montiert, kann die FIA (Internationaler Automobilverband; Anm. d. Red) nur schwer argumentieren, sollte tatsächlich ein Fahrer sterben, weil ihm etwas gegen den Kopf geflogen ist. Allerdings hätte man mit dem Shield eine gute, besser aussehende Alternative gehabt. Die wurde aber nie wirklich ausgetestet und seriös zu Ende gedacht. Es kam mir eher so vor, als hätte man von Anfang an gesagt: Der Bügel ist die Lösung und fertig.
SPOX: Hat die FIA zu wenig Wert auf die Ästhetik gelegt?
Surer: Ja, das Sicherheitsdenken ist hier übertrieben. Auf der einen Seite verbietet man die Heckflosse, um die Autos wieder schöner zu machen. Auf der anderen Seite baut man dann aber diesen fürchterlichen Toilettenring hin. Jetzt sehen die Autos wie Buggys aus. Das kann doch nicht sein.
SPOX: Stört der Steg in der Mitte eigentlich nicht das Blickfeld des Fahrers?
Surer: Ich bin mal bei einer Testfahrt mit einem ähnlichen Steg gefahren. In der Box hat es mich gestört, beim Fahren aber nicht mehr, weil die Augen in die Ferne und damit am Bügel vorbei schauen. Was ich eher als Problem sehe: Je nachdem, wo die Piloten beim Start stehen, können sie die Ampeln nicht mehr sehen. Das heißt, die Ampeln müssen jetzt tiefer oder seitlich montiert werden, sonst gibt es ein Riesenproblem.
SPOX: In der neuen Saison stehen nur noch drei Motoren zur Verfügung, von manchen Antriebsteilen gibt es gar nur noch zwei für das gesamte Jahr. Ist das der richtige Weg?
Surer: Nein. Man hat in der Vergangenheit gesehen, dass selbst gute Teams Motorschäden erleiden. Dass man darauf nicht reagiert, ist für mich einfach pure Sturheit. Mit drei Motoren über die Runden zu kommen, wird nicht funktionieren. Damit wird ein Problem geschaffen, das es vorher nicht gab.
SPOX: In den letzten Monaten wurde viel über die Zukunft der Formel 1 diskutiert. Ein Thema ist dabei immer wieder die Budgetdeckelung. Wie notwendig ist die Eingrenzung der Ausgaben?
Surer: Die Kosten sind in den letzten Jahren so in die Höhe geschnellt, dass man als Privatteam selbst mit dem besten Sponsor nicht mehr mithalten kann. Um da wieder mehr Gleichgewicht hineinzubekommen, wäre die Budgetdeckelung die einzig richtige Lösung. Allerdings ist das wohl eher ein Traum. Ich glaube nicht, dass sie in naher Zukunft Wirklichkeit wird.
SPOX: Im Zuge der Gespräche um das Motorenreglement ab 2021 droht Ferrari immer wieder mit dem Ausstieg aus der Formel 1. Ein realistisches Szenario oder Bluff?
Surer: Ferrari ist beleidigt, weil sie ihr Veto-Recht, das ihnen Bernie Ecclestone einst eingeräumt hat, verlieren. Deswegen spielen sie jetzt die Beleidigten. Allerdings wundert mich, dass sie gegen das angedachte Reglement sind, weil sie aktuell nicht den besten Motor haben und eigentlich froh sein müssten, wenn eine neue Antriebsformel kommt. So hinken sie ja nur hinterher.