46 Kilometer sind es von Heppenheim bis nach Hockenheim. Ein Katzensprung also, den man mit dem Auto in einer guten halben Stunde bewältigt - und der für Sebastian Vettel eine bekannte Route darstellt. "Ich bin unmittelbar am Hockenheimring aufgewachsen", berichtet der gebürtige Hesse vor dem anstehenden Heim-GP: "Dort zu fahren, ist immer etwas ganz Besonderes."
Während Vettel am Nürburgring einen Sieg und einen zweiten Platz zu bejubeln hatte, war sein bestes Ergebnis in Hockenheim allerdings lediglich ein dritter Rang. Ein vierter, zwei fünfte und ein magerer achter Platz gesellen sich dazu, sodass die Motivation umso größer sein wird, am Wochenende endlich einen Triumph auf der Hausstrecke feiern zu dürfen.
Darauf hofft auch der Großteil der 70.000 Fans, die sich für den diesjährigen Rennsonntag angekündigt haben. Das sind so viele wie schon seit zwölf Jahren nicht mehr und für die Veranstalter offenbar genug, um spontan eine zusätzliche Tribüne aufzubauen. Nach jahrelanger Flaute darf man also wieder auf ein prall gefülltes, in Ferrari-Rot getränktes Motodrom hoffen - ein Bild, dass es nach dem ersten Rücktritt von Michael Schumacher nicht mehr abgegeben hatte.
Seit diesem folgenschweren Schritt des Rekordweltmeisters, im Jahr 2006 war das, hat sich aus der von gegenseitiger Zuneigung geprägten Symbiose zwischen Formel 1 und Deutschland nämlich ein bröckelndes Mit- und teilweise sogar Ohneeinander entwickelt. Der aktuelle Aufwind hilft der Beziehung zwar, der negative Verlauf der letzten Jahre ist aber trotzdem auch heute noch spürbar.
Schumacher-Boom hält in Deutschland nicht an
So ist die anstehende Ausgabe des Deutschland-GP für Vettel die vorerst letzte, um vor den eigenen Fans auf einen Sieg zu hoffen. Nachdem die Austragung des Rennens auf dem Nürburgring schon seit Jahren brach liegt, endet 2018 auch der Vertrag zwischen der Hockenheimring-GmbH und der Formel 1. 2019 wird es hierzulande ebenso wie 2015 und 2017 keinen Grand Prix geben, was danach folgt, steht in den Sternen. Ein Szenario, was zu Beginn des Jahrtausends, also zur Hochzeit der Schumania, unvorstellbar gewesen wäre.
Doch den Boom, den der Kerpener damals ausgelöst hatte, konnte niemand weitertragen. Weder der viermalige Weltmeister Vettel noch die Erfolge von Nico Rosberg und Mercedes fingen die Zuschauer ab, die zuvor Deutschland zur Motorsport-Nation Nummer eins gemacht hatten. Problem: TV-Stationen und Medien fixierten sich seit jeher auf ebendiesen Schumacher und nicht auf den Sport. Es entstanden zu einem Großteil keine Fans der Formel 1, sondern der Formel Schumacher.
Es ist folglich kein Zufall, dass die Einschaltquoten an den deutschen Fernsehgeräten nach dem Ausscheiden ihres Nationalhelden schrittweise zurückgingen. Mittlerweile sitzen während der Rennen im Vergleich zur Schumi-Ära nur noch rund die Hälfte der Zuschauer vor ihren Mattscheiben.
Natürlich, das Interesse ist weltweit zurückgegangen. Doch blickt man nach Belgien, Großbritannien und Co., findet man dort nach wie vor volle Tribünen. Selbst die Oranje-Fans der kleinen Niederlande sind dank Max Verstappen nun in ganz Europa zu finden. Aber in Deutschland? Da wurden die Zuschauerränge in der jüngeren Vergangenheit immer leerer. Die Rennveranstalter blieben auf ihren Tickets sitzen und machten Verlust - der Anfang vom Ende.
Formel 1: TV-Einschaltquoten in Deutschland
Jahr | Ereignis | Durchschnittliche TV-Quote in Millionen* |
1992 | Erste Saison mit Michael Schumacher | 1,77 |
1995 | Schumachers zweiter WM-Titel | 5,63 |
2000 | Schumachers erster WM-Titel mit Ferrari | 9,87 |
2001 | Schumacher dominiert die Formel 1 | 10,44 |
2006 | Vorerst letzte Saison von Schumacher | 7,62 |
2007 | Erste Saison ohne Schumacher | 5,90 |
2010 | Schumi-Comeback und Vettels erster Titel | 6,28 |
2014 | Umstellung auf Hybrid-Motoren | 4,35 |
2015 | Vettels erste Saison bei Ferrari | 4,20 |
2016 | Rosbergs erster WM-Titel | 4,52 |
2017 | Massive Regeländerungen | 4,39 |
*Quelle: RP Online
Hockenheimring kann finanzielles Risiko nicht stemmen
Das Hauptproblem dabei für die Streckenbetreiber: Die hohe Antrittsgage, die an die sogenannte Königsklasse des Motorsports abgedrückt werden muss. Über 20 Millionen Euro sind fällig, um ein Formel-1-Rennen in Deutschland austragen zu dürfen. Summen, die kaum gedeckt werden können.
"Es ist frustrierend zu sehen, dass wir für ein Land mit einer so großen Rennsport-Tradition keine Lösung gefunden haben und dass offenbar niemand bereit ist, die Rennstrecken zu unterstützen und ihnen das finanzielle Risiko abzunehmen", erklärte Formel-1-Marketingchef Sean Bratches bei Auto Bild Motorsport das Deutschland-Aus.
Tatsächlich ist die Hockenheimring-GmbH auf sich allein gestellt. Während in Ländern wie Belgien, Großbritannien oder zuletzt Frankreich der Staat mithilft und eifrig Zuschüsse verteilt, begrenzen sich die öffentlichen Subventionen in Deutschland auf genau eine Zahl: Null.
"Es kann nicht sein", führt Geschäftsführer Georg Seiler gegenüber dem SID aus, "dass wir die Spielwiese stellen und die Zeche für andere zahlen". Man bekäme weder vom Land Baden-Württemberg Unterstützung, noch würden sich Mitspieler wie Mercedes und sonstige Sponsoren in ausreichendem Maße engagieren.
Um die Kosten also zumindest zu decken, müssen die Ticketpreise hoch sein. Sind die Preise aber hoch, kommen weniger Fans und die Einnahmen sinken wieder. Ein Teufelskreis.
Deutsche Formel-1-Fahrer: Vettel und Hülkenberg die letzten Mohikaner
Wenn man nun den Blick von den Tribünen in Richtung Strecke richtet, so ist auch hier die "Formel Deutschland" auf dem absteigenden Ast. Mit Mercedes gibt es nach wie vor einen Hersteller, doch im Fahrerfeld tummeln sich nach dem Sauber-Ende von Pascal Wehrlein mit Vettel und Nico Hülkenberg nur mehr zwei Piloten aus der Bundesrepublik.
So wenige gab es zuletzt 1996, als mit Schumacher und Heinz-Harald Frentzen ebenfalls lediglich ein Duo die schwarz-rot-goldene PS-Kultur vertrat. Zur Erinnerung: 2010 bestand das Peloton aus sieben deutschen Fahrern. Rosberg, Schumacher, Vettel, Hülkenberg, Nick Heidfeld, Adrian Sutil und Timo Glock standen damals in der Startaufstellung.
Weil Vettel mittlerweile 31 Jahre alt ist und auch Hülkenberg schon die 30er-Marke geknackt hat, wird man diese beiden Namen nicht mehr ewig auf den Zeitentafeln lesen. Was also kommt an Nachwuchs hinterher?
Deutsche Nachwuchsfahrer: Mick Schumacher die große Hoffnung
Zum einen natürlich Mick Schumacher, der allein aufgrund seines Nachnamens schon jetzt in die Formel 1 geredet wird. Der 19-Jährige fährt aktuell in der Formel 3 und macht peu a peu Fortschritte, die Profi-Liga ist für ihn aber noch mindestens ein paar Jährchen entfernt.
Frühzeitigere Chancen hätte da schon Maximilian Günther, der in der Formel 2 aktiv ist und zuletzt sein erstes Rennen gewann. Ob und wann er ein ernsthafter Kandidat für die Formel 1 ist, muss sich jedoch auch erst zeigen. Als dritte große Hoffnung gilt David Beckmann, dessen steile Junior-Karriere in der GP3 allerdings einen Knick erhalten hat.
Während beispielsweise Großbritannien mit Lando Norris und George Russell gleich zwei ganz heiße Eisen für den Einstieg in die Königsklasse hat, fehlt dem deutschen Nachwuchs-Lager also Stand jetzt der nächste große Faktor.
Formel 1 in Deutschland: Es gibt Hoffnung
Schleppende Nachwuchsförderung, ein Heim-GP ohne Zukunft - die Liebesbeziehung zwischen der Formel 1 und Deutschland liegt auf Eis. Das jedoch ist noch nicht geschmolzen, Hoffnung auf Besserung gibt es es also durchaus.
Zum einen hatte man in der Vergangenheit immer wieder Phasen, in denen deutsche Fahrer rar gesät waren - eine ZDF-Doku von 1979 namens "Warum die Deutschen in der Formel 1 keine Rolle mehr spielen" erinnert daran. Zum anderen beweisen weitere Rennsportserien wie die MotoGP oder Events wie das 24-Stunden-Rennen am Nürburgring, dass das Motorsport-Interesse hierzulande nach wie vor vorhanden ist. Dort strömen gut und gerne 100.000 Fans an die Strecken.
Dazu setzt die Kombination Vettel im Ferrari gegen Hamilton im Mercedes neue Impulse, die nun genutzt werden können. Dafür braucht es allerdings Formel-1-Besitzer, die an ihrem Versprechen festhalten und Traditionsrennen hüten wollen. Denn bei einem wird Vettel wohl jeder hierzulande zustimmen: "Es wäre natürlich sehr schade, wenn es kein Rennen mehr in Deutschland geben würde. Ich glaube, es gehört in den Kalender."