Während Max Verstappen und Red Bull nach dem Großen Preis von Russland in Sachen WM alle Trümpfe in der Hand haben, macht Lando Norris trotz eines für ihn persönlich rabenschwarzen Tages einen großen Schritt nach vorn. Sebastian Vettels Punkteträume gegen derweil im Regen unter. Die Erkenntnisse zum Russland-GP.
Verstappen und Red Bull haben alle Trümpfe in der Hand
"Wir müssen Schadensbegrenzung betreiben", hatte Red-Bull-Motorsportchef Helmut Marko vor dem Rennen in Sotschi gesagt. Für viele mag diese Aussage überraschend gekommen sein, schließlich ist der RB16B von Max Verstappen und Sergio Perez das unterm Strich wohl beste Auto der aktuellen Saison, die Aussage Markos hat aber sinnvolle Gründe
Zum einen ist der Sotschi Autodrom absolutes Mercedes Hoheitsgebiet. Mit seinen langen Geraden und 90-Grad-Kurven schmeckt die Strecke in Russland besonders den Silberpfeilen gut. Untermalt wird das von der Statistik. Bei allen acht Besuchen seit der F1-Eröffnung 2014 siegte ein Mercedes-Pilot.
Hinzu kommt, dass Red Bull einen dringend benötigten Motorenwechsel bei Verstappen vorgenommen hatte, der ihn ans Ende der Startaufstellung strafversetzte. Ein solcher Antriebs-Tausch wäre in den verbleibenden sieben Rennen ohnehin noch einmal notwendig gewesen, die Entscheidung von Red Bull, es beim Problem-Kurs in Sotschi zu machen, war also nur sinnvoll. Zu wenig Chancen malte man sich im Vorfeld aus, sollte es kein chaotisches Rennen geben.
Wie der Zufall es aber so will, bekamen die Zuschauer am Rennsonntag genau so ein Rennen zu sehen. Über 50 Runden bot der Russland-GP wenig Spektakel. Während Verstappens WM-Konkurrent Lewis Hamilton mit Lando Norris (McLaren) um den Sieg kämpfte, steckte der Niederländer auf Platz sieben im Verkehr fest. Gewiss keine schlechte Aufholjagd, aber eben nicht viel mehr als die geforderte "Schadensbegrenzung".
Verstappen betreibt mehr als nur Schadensbegrenzung
Dann aber brach in Runde 51 der Regen über Sotschi herein. Innerhalb weniger Minuten verwandelte sich der Kurs in ein Rutschfest. Als einer der ersten Piloten entschied sich Verstappen für das Risiko und den Wechsel auf Intermediates, letztlich war es die richtige Entscheidung. Am Ende standen statt P7 Podestplatz zwei und wichtige 18 WM-Punkte zu Buche. Mehr als nur "Schadensbegrenzung".
Noch viel mehr dürfte sich Verstappen freuen, wenn er einen Blick auf die verbleibenden sieben GP-Stationen des 21er-Kalenders wirft. Mit Mexiko und Brasilien sind zwei absolute Red-Bull-Heimspiele noch zu absolvieren, auch Neuling Saudi Arabien und Rückkehrer Türkei dürften aufgrund ihrer Layouts den Österreichern schmecken. Der Große Preis von Abu Dhabi war zwischen beiden Teams stets umkämpft. Wirklich problematisch scheint nur noch der USA-GP, der fest in Mercedes-Hand sein sollte.
Der Rückstand in der WM beträgt nach dem Rennen in Sotschi lediglich zwei Zähler, bei den noch zu absolvierenden Rennen kann man also von einem leichten Vorteil für Red Bull sprechen. Sollten die Österreicher auf "ihren" Strecken Boden und WM-Punkte gut machen, hat man alle Trümpfe in der Hand. Max Verstappen ist in Top-Form, das Auto ist das wahrscheinlich beste im Feld. Jetzt liegt es am Team, die guten Voraussetzungen umzusetzen.
Lando Norris macht den nächsten Schritt zum Top-Fahrer
Lando Norris erlebte einen rabenschwarzen Russland-GP. Weite Teile des Rennens lag der 21-Jährige an der Spitze und schien seinem ersten F1-Sieg entgegenzufahren, letztlich zerriss ein drei Runden vor der Zieleinfahrt einsetzender Regenschauer die Hoffnungen des Youngsters.
"Ich bin natürlich unglücklich und in gewisser Weise am Boden zerstört. Wir haben uns dafür entschieden, draußen zu bleiben. Zu dieser Entscheidung stehen wir, aber es war natürlich am Ende die falsche", haderte Norris und gestand die Hauptschuld am Verlust seines Sieges ein. Die Entscheidung gehe auf seine Kappe, denn das Team wollte ihn eigentlich reinholen. "Aber ich wollte draußen bleiben. Es war meine Entscheidung, ich dachte, es ist die richtige", sagte er.
Sein Problem: Als Führender hatte er eine Menge zu verlieren. Dort fällt es deutlich schwerer, seine Position aufzugeben, als einem Fahrer weiter hinten, der nur gewinnen kann. "Als Führender kannst du nur verlieren. Wir haben heute davon profitieren können", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff. Weil nur noch wenige Runden zu fahren waren, war die Entscheidung gar noch schwerwiegender. "Wenn es 20 Runden gewesen wären, wäre die Entscheidung vielleicht nicht so aggressiv ausgefallen", so Norris.
Denn: Ohne den Regenschauer wäre der Kampf an der Spitze wohl zugunsten des McLaren-Fahrers ausgefallen. "Ich glaube nicht ... Ich bin nicht sicher, ob ich Lando hätte überholen können. Er war sehr schnell und hatte die schnellste Runde", gab auch Hamilton zu. "Ohne Verkehr oder irgendwas, einen Fehler vielleicht, glaube ich nicht, dass ich ihn gekriegt hätte. Aber er hat ja keine Fehler gemacht. Als der Regen kam, war das unsere Chance. Das Team hat einen sensationellen Job gemacht. Riesiges Dankeschön dafür!"
Norris zeigt Größe in der Niederlage
Nutzen wird es Norris nichts mehr. Am Ende landete er auf einem enttäuschenden siebten Rang, anstatt der 26 WM-Punkte (Sieg + schnellste Rennrunde) musste sich der McLaren-Fahrer mit mickrigen sieben Zählern zufriedengeben. Und dennoch kann der Youngster aus dem Russland-GP viel mitnehmen, vor allem für seine Zukunft.
Dass ein 21-Jähriger die Größe und Reife besitzt, bei einer seiner größten Niederlagen im direkten Anschluss ans Rennen Hamilton zu dessen Sieg zu gratulieren, ist beeindruckend. Auch stellte er sich umgehend vor sein Team und nahm die Hauptschuld der Strategie-Panne auf sich.
Ein jeder Formel-1-Fahrer, will er einmal zu den Größten seines Spots gehören, muss Fehler machen und im besten Fall daraus lernen. Bereits wenige Minuten nach dem Rennen machte Norris den Eindruck, aus seinem Patzer die richtigen Schlüsse zu ziehen. Das zeigt, dass er auf dem besten Weg zu einem kommenden Top-Piloten ist.
Aston Martin und Vettel werden vom Regen überrascht
Am Ende blieb Aston Martin ohne Punkte in Sotschi. Dabei hatte es anfangs sogar nach einem möglichen Top-3-Ergebnis für Lance Stroll und später zumindest nach Punkten für Stroll und Sebastian Vettel ausgesehen. Doch in den Schlussrunden änderte sich alles, und Aston Martin fiel noch aus den Top 10 heraus: Stroll belegte P11, Vettel wurde Zwölfter.
Vor allem mit dem spät einsetzenden Regen hatte der britische Traditionsrennstall zu kämpfen. Die letztendlich richtige Entscheidung, auf Intermediates zu wechseln, sei zu spät gekommen. Man habe sich nur "relativ gelassen" dazu beratschlagt, sagte Vettel nach dem Rennen. "Und da war es eigentlich noch nicht so weit [für den Wechsel], also sind wir draußen geblieben."
"Die Strecke machte kurz den Anschein, als würde sie etwas besser werden. Dann sind wir noch eine Runde draußen geblieben, aber es kam deutlich mehr Regen. Das war sehr überraschend. Und damit war unser Rennen kaputt", so der Deutsche. "Das hat dann mehr mit Glück als mit Erfahrung zu tun. Es hätte auch aufhören können, dann hätten die mit den Regenreifen Schwierigkeiten gehabt. So war es halt andersrum. Wir hätten anders reagieren können, aber andererseits: Risiko ist heute belohnt worden, nur nicht in unsere Richtung."
Die Teams seien von der Vehemenz des Regenschauers bei Rennende schlicht überrascht worden. Die Wetterlage sei "schwierig einzuschätzen" gewesen, betonte Vettel. "Wir wussten, der Regen kommt. Er kam auch, aber nicht so heftig. Daher sind wir auf der Strecke geblieben, eine Runde zu lange. Aber im Rückblick ist es immer einfach. Natürlich kann ich nicht sagen, wir würden es wieder so machen, weil es falsch war. Es schien aber in dem Moment das Richtige zu sein. Dann wurde der Regen aber deutlich stärker. Und dann war es vorbei für uns."
gettyAston Martin drohen Probleme in Istanbul
Für Vettel geht die Durststrecke damit weiter. Von den letzten sieben Rennen fand sich der Heppenheimer nur ein Mal in den Punkten wieder (beim drei-Runden-Rennen in Belgien), in Sotschi wäre zumindest auf dem Papier die Pace vorhanden gewesen - das zeigte ein starker erster Stint von Stroll.
Dabei wäre aus Sicht der Konstrukteurs-WM ein gutes Ergebnis wünschenswert gewesen, schließlich läuft man Gefahr, im Kampf um Platz fünf gegenüber Alpine und AlphaTauri den Anschluss zu verlieren. Beim kommenden GP in der Türkei droht Aston Martin erneut das Mercedes-Schicksal, also Probleme des AMR21 mit dem Layout des Istanbul Park Circuit. Das macht das Abschneiden in Sotschi umso bitterer.
Formel 1: Die WM-Wertung nach 15 von 22 Rennen
- Fahrerwertung:
Platz | Fahrer | Team | Punkte |
1 | Lewis Hamilton | Mercedes | 246,5* |
2 | Max Verstappen | Red Bull | 244,5* |
3 | Valtteri Bottas | Mercedes | 151 |
4 | Lando Norris | McLaren | 139 |
5 | Sergio Perez | Red Bull | 120 |
6 | Carlos Sainz | Ferrari | 112,5* |
7 | Charles Leclerc | Ferrari | 104 |
8 | Daniel Ricciardo | McLaren | 95 |
9 | Pierre Gasly | AlphaTauri | 66 |
10 | Fernando Alonso | Alpine | 58 |
- Konstrukteurswertung:
Platz | Team | Punkte |
1 | Mercedes | 397,5* |
2 | Red Bull | 364,5* |
3 | McLaren | 234 |
4 | Ferrari | 216,5* |
5 | Alpine | 103 |
6 | AlphaTauri | 84 |
7 | Aston Martin | 59 |
8 | Williams | 23 |
9 | Alfa Romeo | 7 |
10 | Haas | 0 |
*Beim 12. WM-Lauf in Belgien wurden aufgrund der nicht vollständig absolvierten Renndistanz nur halbe Punkte vergeben.