Formel 1 - Erkenntnisse zum Brasilien-GP: Das Pendel schlägt in Richtung Mercedes

Christian Guinin
15. November 202108:46
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Während Lewis Hamilton beim Großen Preis von Brasilien eine seiner besten Karriere-Leistungen auf den Asphalt zaubert, befürchtet man bei Red Bull eine entscheidende Wende im WM-Kampf. Im Mittelpunkt steht außerdem wieder einmal eine fragwürdige Entscheidung der Stewards.

1. Hamilton liefert eine Leistung der Extraklasse ab

Keine acht Tage ist es her, dass Lewis Hamilton in unseren Erkenntnissen zum Mexiko-GP dazu animiert wurde, seinen so auf Sicherheit und Kontrolle bedachten Fahrstil beiseitezulegen und stattdessen mehr Aggressivität und Angriffslust zu zeigen.

Nach seiner mehr als beeindruckenden Leistung in Sao Paulo bleibt festzuhalten: Er hat es mehr als beherzigt. Klar, der amtierende Weltmeister hatte am Rennsonntag in Brasilien das mit Abstand beste Auto im Feld sowie einen frischen Motor, mit dem er noch einmal zusätzliche PS aus seinem Boliden kitzeln konnte. Dennoch: Die Leistung des Briten war mehr als außergewöhnlich. Vielleicht die beste Individualleistung eines Piloten in diesem Jahr und gewiss eine der besten Performances Hamiltons jemals.

"Vor diesem Wochenende hätte ich nie gedacht, dass wir die Lücke so schließen können, wie wir es getan haben. Und dann sind auch noch alle Dinge gegen uns gelaufen", sagte ein sichtlich bewegter Hamilton nach seinem 101. Grand-Prix-Sieg, der für ihn einen Wendepunkt im Kampf um seinen achten Weltmeistertitel bedeuten könnte.

Noch 24 Stunden vor seiner Triumphfahrt vor den Toren der Metropole Sao Paulo sah es so aus, als sei die WM für ihn gelaufen. Die Disqualifikation nach dem Qualifying traf Hamilton und Mercedes bis ins Mark. Doch der Brite ließ sich nicht unterkriegen und fuhr im Sprint am Samstag vom letzten Platz bis auf Rang fünf nach vorne.

Hamilton nach Sieg wieder mitten im WM-Kampf

Noch besser war dann seine Vorstellung im Rennen, das er wegen seiner Motorenstrafe vom zehnten Platz aus starten musste. In einer epischen Aufholjagd war er nach sechs Runden bereits auf Rang drei vorgefahren. Was folgte, war ein erneutes Duell mit Max Verstappen, das Hamilton mit einem Mix aus Abgeklärtheit, Cleverness und unbedingtem Willen für sich entschied.

Anstatt nach Verstappens grenzwürdigem Manöver in Kurve vier der 48. Runde und dem anschließenden Ausbleiben einer Verhängung einer Strafe für den Niederländer die Nerven zu verlieren, behielt Hamilton einen kühlen Kopf. In Runde 59 legte er sich den RB-Piloten in der ersten DRS-Zone zurecht, um beim Herausbeschleunigen aus Kurve drei die bessere Traktion zu haben. Das gelang mit Bravour. Mit deutlichem Geschwindigkeitsüberschuss zog der Silberpfeil außen am Red Bull vorbei.

Die Folge: Sah es vor dem Sprint so aus, als würde Verstappen die WM in Brasilien vorentscheiden, ist Hamilton bei nur noch 14 Punkten Rückstand plötzlich wieder mittendrin im Spiel. "Es ist einfach, den Kopf hängen zu lassen, wenn man mit schwierigen Dingen wie Strafen konfrontiert wird", so Hamilton nach der Zieleinfahrt. Für die letzten Rennen gelte es nun, positiv zu denken und die Hoffnung nicht aufzugeben. "Das macht dann den großen Unterschied aus."

2. Das Pendel schlägt in Richtung Mercedes

Lediglich eine Woche ist es her, da wurden von Mercedes noch äußerst leise Töne angestimmt. Die WM sei "so gut wie gelaufen" und nur "durch ein Wunder" könne man Verstappen noch einmal angreifen, analysierten Silberpfeil-Teamchef Toto Wolff und sein Schützling Lewis Hamilton nach der Machtdemonstration von Max Verstappen beim Mexiko-GP.

Nun, nach dem Großen Preis von Brasilien, könnte die Ausgangslage nicht gegensätzlicher sein. Mit einer Fabelfahrt auf dem Autodromo Jose Carlos Pace triumphierte Hamilton vor seinem niederländischen Kontrahenten und legte dabei eine Souveränität an den Tag, die den RB-Verantwortlichen die ein oder andere größere Sorgenfalte auf die Stirn zaubern wird.

Obwohl der Brite über das gesamte Wochenende gesehen 25 Plätze nach hinten strafversetzt worden war, war sein Sieg zu keinem Zeitpunkt wirklich in Gefahr. Von Rang zehn kommend brauchte Hamilton lediglich sechs Runden, um auf P3 vorzufahren. Wenige Umläufe später wurde dann Perez einkassiert und der Angriff auf Verstappen gestartet. Auch der Niederländer stellte - obwohl sich tapfer wehrend - kein wirkliches Hindernis dar, über zehn Sekunden Vorsprung hatte der Mercedes-Pilot letztlich im Ziel.

Der Grund für die beeindruckende Aufholjagd: Hamiltons neue Antriebseinheit, die er just für das Rennen in Sao Paulo neu eingebaut bekommen hatte. "Was wir befürchtet hatten, ist eingetreten", sagte RB-Motorsportchef Helmut Marko gegenüber dem ORF. "So einen Motor haben wir in den letzten Jahren nicht gesehen von Mercedes. Unglaublich! Ihnen ist da ein Meisterwerk gelungen, so eine Rakete noch in dieser entscheidenden Phase herbeizuzaubern."

Max Verstappen hatte gegen den Speed von Lewis Hamilton keine Chance.getty

Marko: "Dann schaut es für die WM nicht mehr gut aus"

Auf Seiten der Österreicher könne man sich den plötzlichen Leistungsgewinn nicht erklären. "Da sitzen wir momentan und rätseln. Wir haben auch schon die Honda-Ingenieure zu uns berufen. Wie es geht, das würden wir gerne wissen. Wir können es nicht über den Honda-Motor ausgleichen", so Marko weiter. Zur Verdeutlichung: Im absoluten Top-Speed-Bereich war Hamiltons Auto 40 km/h schneller als das von Verstappen (344 km/h zu 304 km/h). Auf einer Highspeed-Strecke wie Interlagos eine andere Welt.

Bei Red Bull bereitet das große Sorgen, auch im Hinblick auf die Weltmeisterschaft. Marko glaubt nämlich, dass Brasilien keinesfalls eine Eintagsfliege war: "Wenn das so weitergeht, schaut es für die WM nicht mehr gut aus. Ich fürchte: Jetzt muss man schon hoffen, dass es bis ins letzte Rennen geht." Bei den restlichen Saisonläufen sei die Gefahr groß, dass man in die Defensive gerate. "Schauen wir mal, wie es in Doha ausschaut. Ganz arge Bedenken haben wir für Dschidda mit der langen Geraden, Abu Dhabi ist wieder neutral", so Marko.

Fakt ist: Kann Mercedes die von Hamilton gezeigte Motorenleistung bei den restlichen drei Rennen annähernd bestätigen, sieht es für Verstappen und Red Bull düster aus. Laut Mercedes-Teamchef Toto Wolff sei bei den Silberpfeilen in der Vergangenheit vor allem die Haltbarkeit das große Manko gewesen - nach 900-1000 Kilometer baue die Antriebseinheit stark ab. Das würde Verstappen dann aber nichts mehr nützen, dann wäre die 2021er Saison vorbei - und die WM wohl gelaufen.

3. Die Rennleitung wird wieder zum Thema

Schon einige Male in dieser Saison standen fragwürdige Entscheidungen der Rennleitung im Mittelpunkt, auch beim Brasilien-GP waren die Stewards einmal wieder das Hauptthema. Vor allem Mercedes war nicht gut auf die Entscheidungen der Verantwortlichen zu sprechen.

Nach der Disqualifikation im Qualifying war Teamchef Toto Wolff ohnehin schon schlecht auf die Rennleitung zu sprechen, doch die Szene zwischen Lewis Hamilton und WM-Rivale Max Verstappen in Runde 48 setzte dem Ganzen für ihn die Krone auf. Denn dass der Niederländer für sein Abdrängmanöver keine Strafe bekam und noch nicht einmal eine Untersuchung eingeleitet wurde, löste Fassungslosigkeit bei den Silberpfeilen aus.

Red Bull hatte zuvor noch versucht, bei FIA-Rennleiter Michael Masi auf das Credo "let them race" zu plädieren, doch Mercedes war sich einer Strafe für den Niederländer sicher. Stichwort: "Forcing another car off track". Zwar wurde schnell eingeblendet, dass die FIA den Vorfall notiert habe, doch untersucht wurde die Szene offiziell nicht.

Als "absolute Sauerei" bezeichnete Wolff die Entscheidung der Kommissare im Nachhinein. Verstappen sei dabei nicht einmal ein Vorwurf zu machen, sein Ärger richtete sich lediglich gegen die Rennleitung. "Er fährt wirklich sensationell mit dem Messer zwischen den Zähnen", lobte er den RB-Widersacher. "Aber wenn du es machst, musst du halt mit einer Fünf-Sekunden-Strafe rechnen", so Wolff. "Das ist okay, wenn du die Konsequenzen nimmst."

Wolff: "Das ist peinlich für die Rennleitung"

Doch diese blieben für Verstappen aus, was er der Rennleitung, auch nach allen anderen Vorkommnissen übelnimmt. "Das abzutun als 'racing incident' und das dann unter den Teppich zu wischen, ist eigentlich peinlich für die Rennleitung", teilte Wolff weiter aus.

"Das ganze Wochenende wurden uns Sachen an den Kopf geworfen", fühlt er sich von der FIA benachteiligt. Vor allem die Disqualifikation für den um 0,2 Millimeter zu großen Abstand beim Heckflügel, "während munter an Max' Auto herumgeschraubt wird vor dem Rennen", stößt ihm sauer auf.

Am finalen Ergebnis machte es letztlich keinen Unterschied - glücklicherweise. Nicht auszudenken wären die Reaktionen, sollte eine Entscheidung der Rennkommissare ein Ergebnis und damit womöglich die Weltmeisterschaft nachhaltig beeinflussen. Bei Mercedes will man dennoch für die kommenden Male genauer hinschauen, um eine Benachteiligung auszuschließen. "Da werden Entscheidungen getroffen, die nicht nachvollziehbar sind. Irgendwo gibt es eine Grenze!", so Wolff.

Formel 1: Die WM-Wertung nach 19 von 22 Rennen

  • Fahrerwertung:
PlatzFahrerTeamPunkte
1Max VerstappenRed Bull332,5*
2Lewis HamiltonMercedes318,5*
3Valtteri BottasMercedes203
4Sergio PerezRed Bull178
5Lando NorrisMcLaren151
6Charles LeclercFerrari148
7Carlos SainzFerrari139,5*
8Daniel RicciardoMcLaren105
9Pierre GaslyAlphaTauri92
10Fernando AlonsoAlpine62
  • Konstrukteurswertung:
PlatzTeamPunkte
1Mercedes521,5*
2Red Bull510,5*
3Ferrari287,5*
4McLaren256
5Alpine112
6AlphaTauri112
7Aston Martin68
8Williams23
9Alfa Romeo11
10Haas0

*Beim 12. WM-Lauf in Belgien wurden aufgrund der nicht vollständig absolvierten Renndistanz nur halbe Punkte vergeben.