So zurückhaltend sich Vettel auch gibt, so oft er auch betont, dass noch zwei Rennen ausstehen - die Chance, eine Vorentscheidung im Kampf um die Fahrer-WM 2012 herbeizuführen, könnte nicht größer sein als beim ersten Rennen auf dem neugebauten Circuit of The Americas.
Während der Heppenheimer seinen Red Bull auf die Pole Position gestellt hat, startet sein Widersacher Alonso nur als Achter. "Es ist egal, wo er steht", so Vettel. "Wir müssen uns auf uns selbst konzentrieren. Wenn man immer schaut, was die anderen machen, kann man nicht das Optimum herausholen."
Dabei sind die Rechenspiele so einfach: Sollte Vettel gewinnen und der Spanier nicht über Platz fünf hinauskommen, ist der Deutsche vorzeitig Weltmeister. Scheidet Alonso aus, würde sogar der dritte Platz reichen und Vettel wäre der jüngste Dreifach-Champion aller Zeiten. Vettel ist sich dessen natürlich bewusst: "Sehr viele Leute sind hier so nett, uns die ganze Zeit daran zu erinnern."
Eine vorzeitige Entscheidung will Alonso jedoch auf jeden Fall verhindern. "Es wird ein harter Kampf. Ich erwarte ein Rennen, in dem ich von Anfang an am Limit sein werde", sagte der WM-Zweite, der mehr als kampfeslustig ist: "Ich bin immer noch überzeugt, dass wir morgen mehr Punkte holen werden als Sebastian." Allerdings gibt es einige Probleme für den Ferrari-Fahrer.
1. Problem: Die Startaufstellung
Dass Romain Grosjean wegen eines Getriebewechsels um fünf Plätze auf Rang neun zurückversetzt wurde, ist dabei eher Nach- als Vorteil für den Ferrari-Piloten. Alonso muss in Fahrtrichtung links starten. Die Ideallinie in Austin liegt aber auf der anderen Seite. "Es wird hier einen großen Unterschied machen, ob man von der sauberen oder der schmutzigen Seite der Startaufstellung losfährt", erklärte Michael Schumacher.
Wie groß der Unterschied ist, verdeutlichte Alonsos Teamkollege Felipe Massa den Journalisten nach dem Qualifying: "Ich konnte heute Morgen die Kurve auf der linken Seite langsamer anbremsen, als wenn ich auf nasser Strecke gefahren wäre. Da können Sie sich sicher denken, was morgen im Rennen beim Start passieren wird."
2. Problem: Die Crash-Gefahr
Doch nicht nur die Spur, auf der Alonso ins Rennen geht, dürfte ihm Sorgen bereiten. In der Reihe hinter ihm starten Grosjean und Pastor Maldonado im Williams. Beide Fahrer standen in dieser Saison wegen ihres riskanten Fahrstils in der Kritik. Selbst Jenson Button, der im McLaren auf Platz zwölf steht, machte sich schon seine Gedanken.
"Turn 1 ist ein wenig knifflig, wenn man in der Mitte des Feldes ins Rennen geht", erklärte der Brite, der auf ein weiteres Problem aufmerksam machte: "Überholen ist hier schwierig. Es ist eine anspruchsvolle Strecke, denn die Reifen können blockieren und man hat Übersteuern. Ich schätze, dass die Autos morgen überall herumrutschen werden."
3. Problem: Die Reifen
Das Problem sind die Pirelli-Reifen oder um genauer zu sein die Temperaturen, die für texanische Verhältnisse mit etwa 20 Grad Celsius eher moderat ausfallen. Besonders in Kurve 19 rutschten einige Fahrer immer wieder von der Strecke. Eine Stelle, die auch im Rennen zur Gefahr werden kann, sobald die Slicks an Haftung verlieren.
"Die Kombination aus Reifen und Asphalt führte zu Bedingungen, die sehr schwierig zu interpretieren waren", erklärte Ferraris Technikdirektor Pat Fry: "Wir haben womöglich mehr zu kämpfen gehabt als andere. Es ist klar, dass wir einen sehr komplizierten Sonntag erwarten können."
Red Bull kam dagegen besser zurecht als die meisten Konkurrenten. "Die Strecke und der Asphalt sind natürlich brandneu. Da braucht es einfach eine gewisse Zeit, bis der Grip da ist. Ich hatte aber auch bei den rutschigen Bedingungen meinen Spaß", so Vettel, dessen Team sich sogar freute, dass es Mark Webber im zweiten RB8 nicht auf Platz zwei schaffte.
4. Problem: Der Verkehr
"Es ist sehr gut, dass Mark Dritter ist. Ich denke, dass es für morgen besser ist, Erster und Dritter zu sein als Erster und Zweiter, besonders am Start", sagte Cyril Dumont von Renault nach der Quali: "Wir werden womöglich in der ersten Kurve und auf der ersten Runde ein paar Überraschungen erleben."
Neben der Hilfe seines Teamkollegen und der Extra-Motivation durch seine angereiste Freundin Hanna, die fast nie bei Grands Prix anwesend ist, kann Vettel zudem auf die Unterstützung von zwei Landsleuten hoffen. Nico Hülkenberg startet im Force India schräg vor Alonso, Michael Schumacher geht vom fünften Platz ins Rennen. Allerdings ist der Mercedes-Pilot hin- und hergerissen, wie er sich verhalten soll.
"Natürlich halte ich Sebastian die Daumen. Auf der anderen Seite ist meine Beziehung zu Ferrari auch nicht zu vergessen, weshalb ich zweigeteilt, aber neutral bin", erklärte der Rekordweltmeister vor seinem vorletzten Rennen in der Köngisklasse: "Da Fernando wahrscheinlich das stärkere Paket hat und schneller sein wird, möchte ich nicht direkt involviert sein, aber ich werde auch nicht freiwillig Platz machen."
Bei Hülkenberg scheint die Motivation höher. "Ich starte von Platz sieben und will die Position natürlich behalten. Hinter mir steht ein schnelles rotes Auto, aber auch ein McLaren", so der Emmericher: "Insgesamt bin ich ziemlich zufrieden and zuversichtlich, dass wir ein starkes Rennen liefern. Unsere Longrun-Performance schien gestern konkurrenzfähig. Es gibt aber viele Unbekannte, weil wir keine Daten aus der Vergangenheit haben."
Für zusätzliche Motivation sorgte der Doppelweltmeister aus Heppenheim selbst. "Wenn mir der eine oder andere einen Gefallen tut, dann gibt es vielleicht eine Runde Bier", so Vettel scherzhaft: "Aber auf so etwas kann man sich nicht verlassen. Jeder fährt sein eigenes Rennen. Wenn jemand eine Lücke sieht und die Chance wittert, den Vordermann zu überholen, dann wird er sie ergreifen. Egal, ob das Auto vor einem blau, schwarz, silber oder rot ist."
5. Problem: Die Strategie
Dass Alonso durch einen taktischen Kniff Plätze gut macht, ist höchst unwahrscheinlich. Die Einstopp-Strategie scheint aufgrund des geringen Reifenverschleiß wie in Stein gemeißelt. Dabei setzt der Spanier schon seit mehreren Rennen auf Fehler bei Red Bull, die beim Stopp schnell eintreten können.
Vettel selbst will sich unterdessen nur auf sein eigenes Rennen konzentrieren und hat allen Grund dazu. Lewis Hamilton startet auf Platz zwei. Der Brite war im McLaren am Freitag im Renntempo wesentlich schneller als die Red Bull und Ferrari, die gleichauf lagen. Dabei ist aber unklar, welcher Pilot mehr Benzin an Bord hatte.
6. Problem: Die zahme Konkurrenz
Unwahrscheinlich ist auch, dass Vettel aufgrund einer Kollision vorzeitig ausscheidet, weil viele Fahrer ankündigten. "Ich will dem Rennen von Sebastian natürlich nicht im Weg stehen", bestätigte Hamilton, der als größte Gefahr für den Heppenheimer gelten dürfte: "Gleichzeitig will ich natürlich gewinnen. Es wird schwierig werden, aber ich habe nichts zu verlieren, werde Spaß haben und alles geben."
"Was die Aussichten im Rennen von Lewis betrifft, so kann man sich absolut sicher sein, dass er absolut entschlossen sein wird, sich um eine Position zu steigern. Kurz gesagt, sein Ziel wird es sein, zu siegen", erklärte Martin Whitmarsh: "Er fuhr am Freitag einen guten Longrun, auch wenn man nie unsere Gegner unterschätzen sollte. Es gibt keinen Grund, warum ihm das nicht wieder gelingen sollte. McLaren hat insgesamt elf Grands Prix in den USA gewonnen, und es wäre unglaublich, wenn wir das Dutzend voll machen könnten."
Der WM-Stand bei Fahrern und Konstrukteuren im Überblick