Es passierte in Interlagos Anfang November 2008: Lewis Hamilton sicherte sich in einem der dramatischsten Rennen des Motorsports mit einem Überholmanöver gegen Timo Glock in den letzten Kurven seinen ersten Titel in der Formel 1. Ferrari-Pilot Felipe Massa hatte trotz seines Sieges das Nachsehen und vergoss bittere Tränen.
Sechs Jahre später bekommt der Brasilianer die Chance zur Revanche. Ausgerechnet Massa könnte am Sonntag auf der Yas-Insel von Abu Dhabi das Zünglein an der Waage sein, wenn Rosberg und Hamilton sich um den Titel duellieren, indem er sich mit seinem Williams in den Kampf einmischt.
"Ich hoffe darauf", gibt der 33-Jährige vor dem letzten Rennen der Saison 2014 unumwunden zu: "Ich hoffe darauf, dass wir zum Kampf bereit sind und ein Auto gegen die Mercedes ins Rennen schicken können. Es wird nicht leicht, das haben wir über das ganze Jahr gesehen. Aber wir werden Alles dafür geben."
Massa will in den Titelkampf eingreifen
Massa kennt die Ausganglage genau, er kennt Rosbergs Hoffnung: "Er muss nur das Rennen gewinnen und das Glück haben, dass irgendwas bei Lewis passiert oder wir oder ein anderes Team irgendwie da sind. Mir ist egal, wer den Titel gewinnt. Mich interessiert nur mein Rennen und dass ich wie in Brasilien um eine gute Position kämpfe."
Head-to-Head: Mehr Augenhöhe geht nicht
Die Worte kommen besonders bei einem Mann gut an: Nico Rosberg. 32 Jahre nach seinem Vater Keke kann er als zweiter Formel-1-Star nach Damon Hill mit seinem Erzeuger nach Titeln gleichziehen. "Es ist schon so oft passiert, dass es im letzten Rennen noch einmal alles anders gekommen ist. Lewis hat alles zu verlieren, ich habe alles zu gewinnen", sagt der Mercedes-Pilot forsch.
"Das geilste Rennen seit Ben Hur"
Er hat Recht: 17 Punkte Vorsprung, die doppelte Anzahl an Siegen - wenn Hamilton beim letzten Rennen den Titel verpasst, muss er sich als großer Verlierer sehen. "Das hier ist EIN Rennen mit EINER Chance für ZWEI Fahrer. Auf die nächste muss der Unterlegene im besten Falle fast ein ganzes Jahr warten", sagt Ex-Motorsportchef Norbert Haug bei "Sport1": "Deshalb wird Abu Dhabi am Wochenende zum megacoolen Event, gewissermaßen zum geilsten Rennen seit Ben Hur."
Rosberg baut deshalb aktuell mit allen Mitteln Druck auf, um seinen Teamkollegen in Fehler zu zwingen. Doch der will sich nicht in die Enge treiben lassen. "Wir sind keine Kinder. Wir wissen, was richtig und was falsch ist", betont der Engländer, nachdem Rosberg seine Hoffnung auf ein sauberes Rennen ohne unfaire Rempeleien zum Ausdruck brachte.
Damals hatte er seinem Kontrahenten noch Vorsatz vorgeworfen. Selbst heute zeigt er eine mimische Reaktion, wenn er auf die Situation angesprochen wird. "Wir müssen nicht mehr darüber sprechen. Wir haben vor und mehrmals während der Saison darüber geredet - besonders nach Spa", setz Hamilton in Abu Dhabi nochmals einen Pfeil in den Bogen.
Rosberg sendet deutliche Warnsignale
Rosbergs Reaktion? Eine deutliche Warnung vor ungestümen Überholmanövern: "Lewis kann etwas dafür tun: selbst sauber fahren. Es ist nicht so, als könnte er gar nichts machen." Selbst bei der offiziellen Pressekonferenz knisterte es schon.
Eine Revanche für den Ausfall in Belgien, den der Deutsche mit seiner Attacke in Runde 2 auslöste, soll es nicht geben. Doch ein Kampf bis zur Ziellinie ist sicher. Das zeigt die langjährige gemeinsame Geschichte der Beiden.
Kubica erinnert sich an Wettessen der Titelrivalen
"Als Kind mochte ich Pizza nicht, aber ich erinnere mich, dass ich oft mit Nico und Lewis zu Abend gegessen habe", erinnerte sich kürzlich Ex-F1-Pilot Robert Kubica bei der "BBC" an das Jahr 2000: "Selbst beim Pizza essen haben sie sich Rennen geliefert, immer zwei Stücke auf einmal gegessen. Der Wettbewerb war immer da. Sie wollten immer gewinnen, sich gegenseitig bezwingen."
Selbst der frühere Kart-Boss Dino Chiesa kann sich auch 14 Jahre nach den gemeinsamen Zeiten bei MBM.com bestens an die Rivalität erinnern: "Ich wurde oft von der Rezeption angerufen, weil es Probleme in ihrem Zimmer gab. Entweder war es Lärm oder sie hatten etwas zerstört. Sie wollten nie schlafen und waren am Morgen immer müde."
Wrestling-Matches im Bett, Pizza-Wettessen, Fußball, Tischtennis, Videospiele und das berühmte Einrad. "Nico fuhr mit einem überall umher. Also habe ich mir gedacht: 'Ich muss lernen, wie ich dieses Einrad fahre. Ich muss besser sein als er'", erinnert sich Hamilton noch heute. Er lernte es binnen zwei Stunden.
Hamilton: "Ich fühle keinen Druck"
Im Jahr 2014 geht es aber nicht nur um den persönlichen, freundschaftlichen Zweikampf zweier Nachwuchstalente. Es geht um den Titel mit der höchsten Reputation im gesamten Motorsport. "Ich bin sehr aufgeregt, ich fühle aber keinen Druck. Ich bin hier, um zu gewinnen", betont Hamilton immer wieder.
Doch könnte der unbedingte Siegeswille, der den mittlerweile 29-Jährigen seit seinen Tagen in den Nachwuchsklassen begleitet, sich nachteilig auswirken? "Lewis wollte immer gewinnen. Lewis wusste, dass er der Beste war, er wollte der Beste sein. Zweiter zu werden, war richtig schlecht. Er hat sich aufgeregt, geheult. Das ist immer wieder passiert, wenn er nicht gewonnen hat", sagt Chiesa.
Rosberg will daran anknüpfen. "Das Wochenende wird intensiv. Lewis ist ein großartiger Widersacher. Hoffentlich wird es ein großartiges Ende der Saison", sagt der gebürtige Wiesbadener: "Es gibt so viele Szenarien. Ich kann sein Rennen selbst beeinflussen. Das hat man schon in Brasilien gesehen. Wäre ich nicht dagewesen, hätte er sich nicht gedreht."
Psychotricks beim Ingenieursmeeting
Frühe Bremsmanöver? Zögerliches Beschleunigen? Wildes Zuschlagen von offenen Türen? Nicht wirklich. Rosberg will anders vorgehen. Schon zu Kart-Zeiten guckte sich Hamilton gerne die Setup-Tricks seines Teamkollegen ab. "Ich muss alles geben, um den Druck aufrechtzuerhalten. Lewis muss sich etwas einfallen lassen", sagt Rosberg nun.
Er hat einen Plan. "Ich muss ihn nervös zu machen. Das ist meine Aufgabe für dieses Wochenende. Da hilft es natürlich, dass wir die ganze Zeit zusammensitzen", sagt der 29-jährige Halbfinne und spielt damit auf die Meetings mit den Ingenieuren an.
"Wenn es ein Wochenende gibt, wo es von Vorteil sein könnte, dass ich etwas anders mache als er, dann ist das dieses Wochenende. Das könnte mir eine Chance geben", kündigt Rosberg an, dass er möglicherweise ein komplett anderes Setup wählen wird, mit dem er die besonderen Bedingungen in Abu Dhabi ausnutzen will.
Doch selbst bei einem Sieg braucht er Unterstützung. In Brasilien forderte er nach dem Rennen Felipe Massa zur Unterstützung auf, doch der ist nicht der einzige Kandidat: "Wenn ich Sebastian noch etwas Gutes tun kann, damit er eine super Leistung abliefert, muss er nur zu mir kommen."
Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM