Die Vorzeichen für das Rennen scheinen klar: Hamilton gewinnt vor Rosberg und Bottas. Einen anderen Schluss lassen die Ergebnisse der Trainings nicht zu. Zwar trennten Rosberg im Qualifying "nur" eineinhalb Zehntelsekunden von seinem Teamkollegen, doch eigentlich waren er vier Zehntel langsamer. Hamilton verbesserte seine Zeit im zweiten Q3-Stint im Gegensatz zu Rosberg nicht mehr.
Der Engländer legt nach dem Eklat von Spa bisher eine Glanzvorstellung hin. Bestzeit im ersten und dritten Freien Training sowie in allen Abschnitten des Qualifyings. Nur in der Nachmittagssession am Freitag war Rosberg schneller, weil Hamilton mit Elektronikproblemen 60 Minuten lang in der Box stand. Genau das macht dem WM-Zweiten Sorgen.
Hamilton nach Qualifying: "Stolz auf meine Seite der Garage"
"Um ehrlich zu sein, bin ich seit mindestens sieben Rennen ins Wochenende gegangen und dachte, ich würde ohne Probleme durchkommen", sagt Hamilton: "Wir hatten gestern ein Problem und heute war es Nico. Das ist ein Gebiet, auf das wir uns konzentrieren und uns als Team zu verbessern versuchen. Ich bin dankbar, dass ich unbeschadet durchs Qualifying gekommen bin."
Beide Mercedes-Piloten bemühen sich nach der Berührung in Belgien um Deeskalation. Öffentlich wird nur übers Team geredet. Ein Doppelsieg der Silberpfeile sei das Ziel, wobei sich Hamilton immerhin "etwas Wettbewerb mit Williams und Valtteri" wünscht. Die Voraussetzungen dafür sind gegeben, klar ist die Reihenfolge des Zieleinlaufs nämlich nicht. Vielmehr ist sie anscheinend völlig offen.
Williams im Renntrim schneller
Der Williams mag auf eine Runde nicht ganz auf dem Niveau der Werksautos aus Brackley liegen, er ist aber stromlinienförmiger konstruiert. Auf Monzas langen Geraden zahlt sich weniger Luftwiderstand traditionell aus. Und zumindest bei den Volltanktests am Freitag fuhr der Finne locker unter dem Niveau von Rosberg, der zugegebenermaßen leichte Balance-Probleme hatte.
"Wir sind hier etwas zuversichtlicher als in Spa. Hoffentlich ist die Bedrohung von hinten wirklich nicht groß, damit wir uns auf die Dinge konzentrieren können, die direkt vor uns passieren, und sie dann wirklich herausfordern", gab sich Bottas vorsichtig optimistisch und nahm sich ein Vorbild an der Rallye-Legende Markku Alen: "Immer 'Maximum Attack'."
Die Frage ist, ob er dazu überhaupt die Chance bekommt. Die Silberpfeile sind unterschiedlich aufgestellt: Einer setzt auf Topspeed, der andere auf die besseren Rundenzeiten. Eine zweigeteilte Strategie, um die hinter den eigenen Fahrern lauernden Gegner definitiv abzuwehren.
Mercedes mit verschiedenen Setups
Hamilton fährt mit einem Guerney-Flap, einer kleinen Erweiterung des Heckflügels. Dadurch wird Anpressdruck gewonnen, aber gleichzeitig der Luftwiderstand erhöht. Die Denkweise: 'Wenn ich schneller durch die Parabolica komme, kann ich mir dort Vorsprung erarbeiten und kann mich am Ende der Geraden keiner angreifen, auch wenn er deutlich schneller ist.'
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Rosberg war im Qualifying dagegen ohne Guerney-Flap unterwegs. Auch deshalb ist sein Rückstand logisch: Der geringere Anpressdruck verschlechtert die Balance in den Kurven. Dafür war der Deutsche vier km/h schneller als sein Teamkollege und ist eher für Überholmanöver prädestiniert. Das Problem: Er muss durch die geringeren Kurvengeschwindigkeiten mehr beschleunigen und verbraucht mehr Benzin.
"Ich brauche einen guten Start", betont Rosberg deshalb. Ist er vor der Schikane vorne, kann er Hamilton mit der größeren Endgeschwindigkeit seines W05 kontrollieren. Ist der nächste Crash programmiert? Mercedes wird das im Strategiemeeting verhindern. "Ein Punkt wird sein, was in den ersten Runden passiert", bestätigt Motorsportdirektor Toto Wolff.
Knallt es schon in Turn 1?
Sicher ist: Die erste Kurve ist vorentscheidend. Die Renntaktik ist mit einem Wechsel sowieso vorgeschrieben, wenn der Reifenabrieb unter Kontrolle ist, wäre ein Undercut mit einem früheren Stopp möglich. Die ersten 400 Meter vom Start bis zur ersten Schikane werden ohne Defekte also die Schlüsselszene des Rennens. Die Gefahr eines Unfalls ist allerdings wirklich hoch. "Wir werden versuchen, die erste Schikane zu überleben", gibt Red-Bull-Teamchef Christian Horner die Marschroute aller Teams martialisch vor.
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Nur einer hofft auf einen Unfall: ausgerechnet Sebastian Vettel. "Wenn's die ersten drei Reihen wegkegelt, wäre es mir nicht unrecht", sagte der Weltmeister nach dem Qualifying breit lächelnd. Von Startplatz acht ist eine Massenkarambolage seine einzige Chance auf einen Sieg.
Die Topform aus Belgien konnte das Weltmeisterteam in Italien nicht konservieren. Der Grund ist einfach: Beim Ricciardo-Sieg in Spa zahlte sich noch aus, dass Red Bull mit flacherem Flügel fuhr, in Monza machen das alle. So kommt sogar das sonst im Qualifying schwache McLaren-Team dank Mercedes-Power wieder locker vorbei.
Stand in der Fahrer- und Kontrukteurs-WM