Wie Red Bull die Formel 1 rettet

Alexander Maack
13. November 201511:15
Christian Horner, Mario Illien, Adrian Newey - die Retter der Formel 1?xpb
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Zwei Monate sind vergangen, seitdem Renault die Trennung von Red Bull bekanntgab. Seitdem überschlugen sich die Nachrichten: Mercedes sagte ab, Ferrari war erst zur Motorenlieferung bereit und dann doch wieder nicht, die FIA nutzte die Gelegenheit für ein Exempel und auch ein Wechsel zu Honda stagnierte. Dietrich Mateschitz bezog noch keine Stellung, dabei könnten er oder Christian Horner die Gehilfen für den FIA-Plan des unabhängigen Motorenherstellers werden.

Zumindest eine Übergangslösung. Seitdem Renault-Konzernchef Carlos Ghosn die Trennung von Red Bull bekanntgab, um den Österreichern die Deutungshoheit über die Beziehung der ehemaligen Verbündeten abzunehmen, ist es ruhig um den Vorgang geworden. Der bis Saisonende 2016 datierte Vertrag gilt noch. Die Auflösung ist nicht erfolgt.

Dafür gibt es einen Grund: Renault ist mittlerweile die einzige Option für Red Bull, um zur Saison 2016 überhaupt in der Formel 1 starten zu können.

Die Verhandlungen mit sämtlichen anderen Herstellern sind im Sande verlaufen. Der Vorwurf ist klar: Red Bull würde mit identischen Powerunits die Werksteams von Ferrari, Mercedes und Honda in Gefahr bringen, deshalb will keiner liefern.

McLaren-Chef Ron Dennis soll sein Veto gegen die Red-Bull-Honda-Kooperation eingelegt haben, nachdem die Verantwortlichen sich in den USA getroffen hatten. Aus Sicht des Briten ist die Entscheidung verständlich: Red Bull Racing, das Überteam der Prä-V6-Turbo-Hybrid-Ära mit identischen Motoren wie das eigene Auto? Die Gefahr, dass das Kundenteam aus Milton Keynes mit dem für den Exklusivpartner aus Woking entwickelten Antrieb bessere Resultate holt, wäre zu groß. Dennis wäre in Erklärungsnot.

Die ganze Red-Bull-Mercedes-Geschichte

Bei den anderen Herstellern ist die Situation aber nicht so einfach. Gerade der Fall Mercedes ist vielschichtig.

Die Stuttgarter waren der Auslöser für die immer intensiver werdenden Red-Bull-Attacken gegen Renault, die in einer PR-Kampagne beim Österreich-GP Ende Juli 2015 gipfelten. Die Verantwortlichen der Silberpfeile waren zu Gesprächen bereit. Allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Erster Kontakt in Silverstone

Mateschitz' Team war schon beim Großbritannien-GP Anfang Juli an Mercedes herangetreten. Teamchef Christian Horner und Motorsportberater Helmut Marko hatten einen Brief verfasst. "Ich habe gesagt: 'Ja, aber vorher müssen wir mit Herrn Mateschitz reden, denn Herr Mateschitz mochte Mercedes aus irgendeinem Grund nie'", offenbarte F1-Aufsichtsratschef Niki Lauda in Austin gegenüber Sky Sports F1 die Abläufe.

Lauda wurde mit Zustimmung des Daimler-Aufsichtsrats als offizieller Vertreter von Konzernoberhaupt Dieter Zetsche zum Unterhändler bestimmt. Er traf sich mit Landsmann Mateschitz und redete. Sie fanden einen vermeintlich gemeinsamen Nenner. Mercedes war bereit, die eigene sportliche Dominanz im Tausch für genau definierte Gegenleistungen aufs Spiel zu setzen. Es kam zu einem Handschlag. Red Bull sah ihn als mündlichen Vertrag an, Mercedes nur als Verabschiedung vor weiteren Gesprächen.

Mercedes wollte Red Bull nutzen

Die Einigung scheiterte keinesfalls an potenziellen Niederlagen gegen Red Bull auf der Rennstrecke. Der sportliche Nachteil der größeren Konkurrenz sollte durch eine langfristige Zusammenarbeit im Marketing ausgeglichen werden. "Wir würden ihnen einen Motor geben, weil wir wollen, dass die jungen Red-Bull-Kids eine A-Klasse fahren", erklärte Lauda.

Wolff machte die Gedanken öffentlich: "Wenn wir schon in der Formel 1 beschädigt werden, wie viel können wir dann auf der globalen Bühne von den Red-Bull-Erfolgen profitieren? Können wir ein Sondermodell bringen? Können wir gemeinsame Events durchführen? Können wir gemeinsame Plattformen aufbauen? Wir haben zu ihnen gesagt: 'Bitte gebt uns den Namen einer Person, mit der wir darüber sprechen können.'"

Aston Martin wurde als möglicher Sponsor ins Spiel gebracht, der Infiti ablösen könnte. Schließlich entwickelt Mercedes seit Ende 2013 die Motoren für die Straßenautos der englischen Traditionsmarke und erhielt dafür bis zu fünf Prozent der Firmenanteile. Bei Aston Martin arbeiten mittlerweile die Leute, die schon den Marketing-Deal zwischen Renault-Nissan und Red Bull Racing eingefädelt hatten, und Ingenieurgenie Adrian Newey entwickelt als Aushängeschild der Schwesterfirma Red Bull Technology mit Aston Martin einen Supersportwagen für die Straße.

Ein folgenschweres Missverständnis

Doch so logisch die Verbindung auch schien, Lauda wartete vergeblich auf Mateschitz' Reaktion bezüglich Mercedes' Marketing-Wünschen: "Aber er kam nie auf uns zurück, also haben die Verhandlungen nie offiziell begonnen. Damit war die ganze Sache gestorben."

Das folgenschwere Missverständnis: Für Mercedes mussten Motorenlieferungen und Marketingabkommen Hand in Hand gehen. Red Bull wollte es wie mit Renault und Infiti machen: Erst die Antriebe, dann die gemeinsamen Vermarktung.

Bernie Ecclestone klinkte sich ein. Gesprächsbereitschaft war vorhanden, aber das Problem war akut. Es fehlte ein Blankoscheck. "Ende Juli fand eine Telefonkonferenz mit Bernie, Christian und mir selbst statt", verriet Wolff: "Dabei haben wir hervorgehoben, dass es nach dem Treffen von Niki und Dietrich Mateschitz zwei Punkte gibt, die für uns sehr wichtig sind. Das eine wäre das Einverständnis von Renault."

Der fehlende Blankoscheck von Renault

Verhandlungen mit Red Bull seitens Mercedes wären sonst einer Kriegserklärung gleichgekommen. "So lange uns Renault nicht das Go gegeben hatte, konnten wir nichts unternehmen. Das wäre ein Vertragsbruch gewesen und es gibt ein sehr viel größeres Bild als die Formel 1, was Renault und Mercedes angeht - etwa gemeinsame Fabriken in Mexiko", erklärte Wolff.

Die Kooperation der beiden großen Automobilkonzerne währt seit April 2010 und wurde Ende 2011 intensiviert. Mercedes borgte sich die französischen Range Extender, um seine Kompaktklasse kostengünstig mit Hybrid-Technik auszurüsten, dafür entwickelte Infiniti als Luxusmarke der Renault-Nissan-Allianz seinen Kompaktwagen auf Basis der B-Klasse aus Stuttgart. Einen Partner des eigenen Verbündeten in der Formel 1 abzuwerben, war daher undenkbar.

Horner erkannte trotzdem die Chance. Er machte ernst und setzte seit dem Ungarn-GP Ende Juli alle Hebel in Bewegung, um den gültigen Vertrag mit Renault zu zerstören. Das Problem: Er war wasserdichter als gewünscht. Die Franzosen mussten der Trennung vom früheren Weltmeister zustimmen, damit Mercedes überhaupt in Gespräche über eine Zusammenarbeit mit Red Bull treten konnte. Erst im September machte Ghosn die geplante Trennung öffentlich.

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Mercedes hatte seine Prioritäten schon verschoben, als Renault zur Trennung bereit war. Statt mit Red Bull über das gemeinsame Marketing zu sprechen, begann der Austausch mit Manor. Am 1. Oktober wurde der Vertrag mit dem Hinterbänkler-Team offiziell gemacht. Mittlerweile soll Force India die für Red Bull angedachten Aston-Martin-Farben übernehmen.

Zumal Stuttgart ernsthafte Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Red-Bull-Interesse haben musste. Wolff als Teamchef fürchtete von Beginn an mehr um die Dominanz als Aufsichtsrat Lauda. Er musste sich aber dem Interesse der Konzernspitze fügen. Doch in der Formel-1-Sommerpause bekam er Wasser auf seine Bedenken-Mühle.

Silberpfeil-Angst vor VW

Bei einem Treffen mit dem damaligen VW-Boss Martin Winterkorn auf Mallorca, das Motorsport.com öffentlich machte, sollte es nur um die Zukunft der DTM gehen. Doch Motorsportfans unterhalten sich auch über die anderen Serien. Winterkorn, seit Jahren Befürworter eines Einstiegs der Volkswagen in die Formel 1, hörte von Wolff nur Positives.

Eine Verbindung zu Red Bull wurde deshalb zum Risikofaktor. Die Österreicher wollten den Kundenteamstatus eigentlich unbedingt verhindern, nur blieb ihnen keine andere Möglichkeit. Allerdings arbeiten sie seit Jahren in sämtlichen Sportarten als Sponsor zusammen: DTM, Rallye, Langstrecke, Dakar, Fußball.

Dass Red Bull seit Jahren mit Volkswagen über die Formel 1 sprach, muss letztlich dazu geführt haben, dass der Deal mit Manor favorisiert wurde: Wenn Red Bull Racing sich einmal aus bestehenden Abmachungen herauswindet, was würde dann geschehen, wenn Winterkorn seine Pläne in die Tat umsetzt und Audi ins Rennen schickt? Ein Wissenstransfer wäre kaum zu verhindern gewesen.

"Ich mache ihm keine Vorwürfe. Wenn ich er wäre, wäre das Letzte, was ich will, Red Bull mit meinen Motoren zu versorgen", sagte Ecclestone, der sich im Hintergrund intensiv als Moderator betätigt hatte: "Um Red Bull und insbesondere Christian Horner zu verteidigen: Er hat den Vertrag mit Renault beendet, damit er den vermeintlich sicheren Deal mit Mercedes, den sie zu haben geglaubt hatten, abschließen kann."

VW-Einstieg geht in Rauch auf

Das folgenschwere Missverständnis von Lauda und Mateschitz in Verbindung mit dem drohenden VW-Einstieg unter Winterkorn ließ den Red-Bull-Mercedes-Deal letztlich scheitern - auch wenn der Manager nach dem Abgasskandal abdanken musste und sein Nachfolger Matthias Müller ein erklärter Formel-1-Gegner ist.

Ferrari wollte ebenfalls nicht einfach seine Motoren in ein Siegerauto einbauen lassen. Als Gegenleistung forderte Konzernchef Sergio Marchionne eine technische Partnerschaft, um das eigene Aerodynamik-Wissen aufzurüsten.

FIA-Plan als Reaktion auf Red Bull-Dilemma?

Doch mit dem bloßen Scheitern der Deals und einer wahrscheinlichen Fortsetzung der Belieferung Red Bulls durch Renault ist die Geschichte der Saison 2015 noch lange nicht abgeschlossen. Der Verlauf rief die FIA auf den Plan.

Das Drohmittel, einen unabhängigen Motor auszuschreiben und für die Saison 2017 produzieren zu lassen, hat größere Auswirkungen, als die Kosten für die Antriebseinheiten zu senken und Ferraris seit den 1980ern zugebilligtes Veto-Recht zu umgehen.

Im Grunde dient es der Machtbeschneidung der Motorenhersteller. Der Fall Red Bull zeigt: Wird ein Privatrennstall zur ernsthaften Gefahr der Werksteams, können diese es problemlos ausbremsen und sogar zum Ausstieg zwingen.

Es war zwar ein Fehler von Red Bull, den bestehenden und für den Rennbetrieb unabdingbaren Motorenvertrag zu kündigen, ohne einen neuen Partner samt Unterschriften im Sack zu haben. Es ändert aber nichts daran, dass die aktuelle Situation dem Sport schadet.

Diktator Ecclestone verbündet sich mit Demokrat Todt

Dass Bernie Ecclestone als Autokratie-Verfechter gemeinsame Sache mit dem Automobilweltverband und seinem von ihm ungeliebten Präsidenten Jean Todt macht, zeigt die Brisanz.

Bei 30 Prozent der Teams ist noch immer völlig unklar, ob sie zur Saison 2016 überhaupt noch starten können. Während Red Bull keine Motoren für seine vier Autos findet, kämpft Lotus ums Überleben, weil Renault die angedachte Übernahme noch immer nicht finalisiert hat. In Brasilien schlossen die Sicherheitsbehörden das finanziell schwache Team mal wieder aus der Garage aus.

Ein Grund für die andauernde Hängepartie könnte ausgerechnet Red Bull sein: Der angeblich fertige neue Vertrag mit Renault sieht zwar die Lieferung von Powerunits für die Saison 2016 vor, er beinhaltet aber deutlich geringere Sponsorenzahlungen von Infiti und höhere Preise für die Antriebseinheiten. Damit würde der Wiedereinstieg als Werksteam finanziell aufgewertet.

Doch noch fehlt die Unterschrift eines Mannes: Dietrich Mateschitz. Der Konzernchef ließ zuletzt offen, ob er sein Formel-1-Engagement fortsetzen will. Allerdings ließ Horner nun durchblicken, dass Red Bull dabei bleiben werde. "Wir haben uns dazu verpflichtet", sagte der 41-Jährige: "Wir arbeiten hart an einem möglichst konkurrenzfähigen Auftritt."

Kauft Horner Red Bull?

Was aber würde ein Nein des Chefs bedeuten? Unklar. Eine Möglichkeit: Eine Übernahme von Red Bull Racing durch Horner nach Vorbild des Ross-Brawn-Honda-Deals im Jahre 2008.

Der neue Deal mit Renault soll beinhalten, dass die aktuelle Ausbaustufe des Verbrennungsmotors in Milton Keynes weiterentwickelt und mit eigenen Hybridsystemen ausgestattet werden darf. The Judge 13 meldete die Story exklusiv und erklärte, dass der frühere Mercedes-Motorenpapst Mario Illien schon seit einem Jahr mit Red Bull arbeiten würde. Somit könnte Horner der Gehilfe von Ecclestone und Todt werden und einen unabhängigen Motor anbieten.

Doch es gibt Zweifel an der Geschichte. Richtig ist: Illien arbeitete im Auftrag von Red Bull an Verbesserungsvorschlägen für den Renault-Antrieb. Die Franzosen entschieden sich aber, ihre eigenen Ideen umzusetzen. Falsch ist, dass er schon eine feste Arbeitsstelle in Milton Keynes hat. Das sagte der Schweizer Auto Motor und Sport.

Aber: Es wäre durchaus möglich, dass Red Bull Technologies der gesuchte unabhängige Motorenhersteller nach Cosworth-Vorbild wird. "Ich schaue mir mal an, was in der Ausschreibung steht. Dann entscheide ich, was ich mache", sagte Illien. Red Bull fährt im Jahr 2016 weiter Renault, dann mit eigenem Wings-Motor, der neuen Teams den Einstieg in die Königsklasse ermöglicht? Realitätsfern ist die Überlegung nicht.

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