Würde es nicht um rund 400 Arbeitsplätze gehen, wären die Schlagzeilen um Lotus die besten Gags der laufenden Formel-1-Saison. In Suzuka wurden aus den Mitarbeitern des einstmals stolzen Benetton-Teams plötzlich die Obdachlosen.
Die Hospitality blieb komplett leer. Grund dafür: Offene Rechnungen aus dem Vorjahr. Einzig Grosjean schien es positiv zu sehen, verband seine Presserunde mit einem Frischluftbummel und freute sich am Freitag über die Erinnerung an seine Nachwuchsfahrerzeiten.
Weil das geräumige Zelt noch immer gesperrt war, blieben die Lotus-Angestellten zwischen den Sessions kurzerhand in der Garage und saßen auf den Transportboxen rum, die vom hektischen Vortag noch zurückgeblieben waren. Da bauten die Mechaniker in Windeseile die Autos auf, nachdem die Fracht am Nachmittag endlich angekommen war. Normalerweise sind die Autos da schon fertig und vom Automobilweltverband abgenommen. Die Ingenieurkollegen arbeiteten derweil vom Hotelzimmer aus, weil ihr Netzwerk fehlte.
Die Konkurrenz half glücklicherweise - mal wieder. Schon in Italien hatte Lotus von Sauber, Toro Rosso und Ferrari Heizdecken für die Reifen bekommen, in Suzuka spendierte Force India die Hydraulikflüssigkeit. Und Bernie Ecclestone wurde zum Samariter: Er lud die Mechaniker am Freitag zum Essen ein, weil Lotus sich selbst die Verpflegung nicht leisten konnte. Die fleißigen Bienen dankten mit einem spontanen Fotoshooting.
Lotus schon längst zahlungsunfähig
Wie man es auch dreht und wendet: Lotus ist schon längst zahlungsunfähig. Teamchef Federico Gastaldi hört das sicher nicht gern. "Wir haben alles unter Kontrolle", ist sein Lieblingssatz. Noch Anfang Juli erzählte er ihn dem Motorsport-Magazin. Schon damals mussten ihn Sorgen geplagt haben.
Zulieferer hatten vor dem Companies Court in London einen Antrag auf Prüfung der Liquidität von Lotus gestellt. Seitdem wurde der Termin immer wieder verschoben, weil das Team im Hintergrund mit Renault um die Übernahme des Rennstalls verhandelt.
Gerichtsvollzieher in der Box
Doch die Nebenkriegsschauplätze wurden immer mehr. Beim Ungarn-GP lieferte Pirelli die Reifen erst, nachdem Lotus offene Rechnungen beglichen hatte. Und nach dem Belgien-GP konnte der Rennstall nicht wie geplant nach Monza weiterreisen: Gerichtsvollzieher hatten das Material beschlagnahmt, weil Ex-Testpilot Charles Pic eine Rechnung in Höhe von 800.000 Dollar einklagte. Er hatte weniger Testeinsätze bekommen als ausgemacht.
"Unsere Rechtsabteilung kümmert sich derzeit um den Fall. Ich bin überzeugt, dass wir zu einer angemessenen Lösung kommen", betonte Teameigner Gerard Lopez: "Wir werden eine freundschaftliche Lösung finden. Dann geht die Show weiter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es am Sonntag Probleme geben wird, wenn wir die Strecke verlassen wollen."
Er irrte sich. Vier Tage standen die LKW in Spa in der Auslaufzone herum. Motorsport aktuell berichtete, Renault habe interveniert. Die Franzosen sollen ebenso vor dem Londoner Gericht als Bürgen eingesprungen sein. Mercedes stundete angeblich eine Rate für die Motorenlieferungen.
Lotus-Geldprobleme altbekannt
Der Geldmangel ist in Enstone ein altbekanntes Problem. "Sicher", antwortete Kimi Räikkönen am Freitag des Abu-Dhabi-GP 2013 auf die Frage, ob er einen Boykott der letzten beiden Saisonrennen in Betracht ziehe: "Irgendwo muss ich einen Strich ziehen. Wenn es darüber hinausgeht, ist es nicht mehr mein Fehler." Schon die Medientermine am Donnerstag hatte der Iceman geschwänzt, ohne sein Team zu informieren. Lotus hatte sein Gehalt nicht überwiesen.
Direkt nach dem Start kollidierte Räikkönen mit dem Caterham von Giedo van der Garde. "Ich habe es irgendwie hingekriegt, den Caterham zu berühren", sagte er. Absichtlich? Jedenfalls vertrat sein Landsmann Heikki Kovalainen ihn bei den letzten Rennen. Michael Schumacher hatte abgesagt. Offiziell unterzog sich Räikkönen einer Rückenoperation, bevor er seinen Dienst bei Ferrari antrat.
Erster Übernahme gescheitert
Schon damals stand eine Übernahme im Raum. Allerdings handelte es sich beim Interessenten nicht um Renault sondern um "Quantum". Hinter der ursprünglich "Infinity" genannten Investorengruppe steckte angeblich der Sultan von Brunei.
Schon im Juli 2013 war der Verkauf angekündigt worden. Erst im November folgten weitere Informationen: "Der Deal ist durch", gab der Geschäftsführer bekannt: "Wir mussten Wege finden, die nötigen Mittel so zu transferieren, dass unsere Investoren keine Probleme bekommen."
Ein eindeutiges Zeichen für höchstmögliche Kreditwürdigkeit? Zumindest war Ende Januar 2014 noch immer kein Cent in Luxemburg angekommen, wo Lopez' Lotus-Besitzergesellschaft Genii Capitals ihren Sitz hat. Sein Team erklärte den Deal als endgültig gescheitert.
"Wenn wir die Finanzierung von Lotus vollbracht haben, dann werde ich jeden einzelnen dieser Blogger und Journalisten, die mir geschadet haben, zur Rechenschaft ziehen", drohte Quantum-Geschäftsführer Mansoor Ijaz noch kurz danach: "Wollen mal sehen, wer dann noch eine große Klappe hat." Allerdings wurde es ruhig. Sehr ruhig. Totenstill.
Maldonado als Retter
Pastor Maldonado brachte zur Saison 2014 dank seines Privatsponsor eine hübsche Summe Geld nach Enstone. Lotus hatte die finanziellen Argumente in Höhe von geschätzten 40 Millionen Euro den sportlichen von Nico Hülkenberg vorgezogen.
Der bestätigte Schuldenberg betrug schon damals 135 Millionen Euro. Teamchef Eric Boullier und die Topingenieure um James Allison suchten das Weite und heuerten bei McLaren und Ferrari an. Die Motorenlieferungen durch Renault endeten nach einem Jahr, obwohl die Zusammenarbeit für 2014 und "darüber hinaus" angekündigt war. Mehrmals hatten die Franzosen angedeutet, dass Lotus den Zahlungsverpflichtungen nicht nachkam.
"Ich weiß nicht, was sie mit ihrem Geld tun. Wir geben den Teams fast 900 Millionen Dollar pro Jahr", wunderte sich Bernie Ecclestone im November und schloss einen Rettungsfonds für die strauchelnden Teams aus: "Alle wissen, wie die Konditionen sind. Also müssen sie ihr Geschäft nach ihrem Einkommen führen. Wenn sie mehr ausgeben, als sie bekommen, ist das kein guter Weg, ein Unternehmen zu führen."
Maldonado als Retter II
Immerhin: Dass Lotus den Vertrag mit dem 30 Jahre alten Maldonado kürzlich bis zum Ende der Saison 2016 verlängerte, dürfte den Finanzplan für die letzten Rennen dieses Jahres entschärft haben.
In Singapur waren die Autos aus Enstone noch mit Frontflügeln unterwegs, denen nach starker Abnutzung der Lack fehlte. Positive Ablenkung schafft nur Entwicklungspilotin Carmen Jorda. Sie sichert mit blondem Haar und anderen überzeugenden Attributen Aufmerksamkeit. Doch was kommt danach?
Worauf wartet Renault eigentlich?
Renault hat vor Wochen die Absichtserklärung unterschrieben, sein altes Werksteam wieder zu übernehmen. Doch noch immer ist nichts passiert. Dabei haben die Franzosen die Grundlagen bereits geschaffen: Weil sie das Spnsoring ihrer Nachwuchsklasse beenden, werden Millionen frei. Nissan-Luxusmarke Infiti und Total stehen nach dem Red-Bull-Renault-Aus als Sponsoren zur Verfügung.
Konzernchef Carlos Ghosn ließ im Hintergrund mit Bernie Ecclestone verhandeln, um den Status als privilegiertes Team und damit Bonus-Millionen aus dem Prämientopf zugesichert zu bekommen. Da das aktuelle Concorde Agreement zwischen Formel-1-Rechteinhaber CVC und den Teams allerdings bis 2020 läuft, kann Ecclestone nicht einfach Gelder für Renault abzweigen.
Grosjean flüchtet
Romain Grosjean hat schon die Konsequenzen aus der Hängepartie gezogen und wird am Dienstag als Fahrer des neuen Teams Haas F1 vorgestellt. Noch am Montag muss Lotus 3,6 Millionen Euro Steuern für die Monate Juni, Juli und August nachzahlen. Der zuständige Richter hatte bereits bei der letzten Anhörung am 18. September erklärt, dass es keine weitere Vertagung geben wird.
"Soweit ich weiß, sind sich die potenziellen neuen Teilhaber der Deadline bewusst. Und soweit ich weiß, wird die Deadline eingehalten", sagte Geschäftsführer Matthew Carter gegenüber Autosport und gab zu: "Wir befinden uns in einem Schwebezustand, bis wir wissen, dass der Deal abgeschlossen ist."
Vielleicht hat sich Lotus durch die eingesparte Hospitality-Miete immerhin die für die Steuerschuld fehlenden Pfund zusammengespart. Oder Renault springt doch noch ein. "Ich würde mir wünschen, dass sie Lotus übernehmen oder einen neuen Rennstall gründen", sagte Ecclestone Autosport: "Ich möchte sie nicht verlieren, sie gehören schon so lange dazu."
Kalender und WM-Stände 2015 im Überblick