Die Formel-1-Saison 2015 verspricht Spannung: Fünf Weltmeister, drei Deutsche, ein Haufen talentierter Neulinge. SPOX-Redakteur Alexander Maack bewertet nach jedem Grand Prix die fahrerischen Leistungen von Sebastian Vettel, Lewis Hamilton, Fernando Alonso und Co. und stellt sein persönliches Driver-Ranking auf. Teil 15: Der Russland-GP in Sotschi.
Platz 1, Nico Rosberg: Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich Nico Rosberg für sieben Runden überhaupt Punkte geben darf. Ich habe mich dafür entschieden. Und nach dem Entschluss stand fest, dass der Vizeweltmeister an diesem Wochenende eine absolute Topplatzierung verdient hat. Seine überlegen eingefahrene Pole Position nutzte Rosberg perfekt aus.
Er erwischte einen guten Start und machte anschließend, wie schon am Samstag vorgeschlagen, die Innenbahn dicht. Lewis Hamilton konnte so dank des Windschattens neben ihn fahren, hatte aber nicht den Hauch einer Chance auf ein Überholmanöver. Ob Rosberg ohne den Defekt seines Gaspedals gewonnen hätte? Höchstwahrscheinlich. Überholmanöver in Sotschi bei gleichem Material sind kaum möglich.
Allein die herausragende Leistung im Qualifying und das Zusammenspiel mit seinen Ingenieuren bei der Setuparbeit nach der stark eingeschränkten Fahrzeit im Training verdienen eine Auszeichnung. Hätte Rosberg mehr erreichen können? Nein. Unglücklich, dass er seinen zweiten Tagessieg im Driver-Ranking ausgerechnet bei dem Grand Prix feiert, indem er die letzten Hoffnungen auf die Fahrer-WM begraben musste.
Platz 2, Valtteri Bottas: Über das Ende seiner Punktejagd werde ich beim Härtefall Kimi Räikkönen noch genug schreiben. Zu Bottas' Leistung gilt festzuhalten: Sie kam an Rosbergs heran. Der Finne stellte seinen Williams mit einem starken Qualifying vor die schnelleren Ferrari. Er musste zwar Räikkönen beim Start vorbeilassen, holte sich Platz 3 aber nach der ersten Safety-Car-Phase zurück.
Da sein Williams die Reifen stärker forderte als die Ferrari, verlor Bottas den Kampf gegen Sebastian Vettel. Räikkönen hielt er sich aber bis zum Schluss auf Abstand. Sein Überholmanöver gegen Sergio Perez in der vorletzten Runde vor Turn 13 war zudem kompromisslos und gut. Hätte er es allerdings schon zu Beginn des Umlaufs vorbei geschafft, wäre der Iceman wohl nie herangekommen. Aber rechtfertigt das einen Punktabzug? Für mich nicht.
Platz 3, Sergio Perez: Die Poker-WM entfällt. Der Gewinner steht schon fest. Perez fuhr in Sotschi ein hochriskantes Rennen und wechselte bereits nach zwölf Runden die Reifen und fuhr danach ins Ziel. Problematisch daran: Force India war davon ausgegangen, dass die Reparaturen der TecPro-Barrieren nach Grosjeans Abflug einige Runden länger dauern würden. Perez musste die Reifen deshalb nach dem zweiten Restart extrem schonen, um überhaupt die Zielflagge zu sehen.
Er brachte es fertig und wurde von Räikkönen mit dem Podestplatz belohnt. Der Zeitpunkt könnte nicht passender sein, zwei Heimrennen stehen an: Erst der USA-GP in Austin, der seit der Premiere von vielen Mexikanern besucht wird, dann das Comeback des Autodromo Hermanos Rodriguez in Mexiko City.
Platz 4, Sebastian Vettel: Im Ferrari hätte Vettel nach dem Qualifying vor Bottas stehen müssen. Sein Auto war besser. Die Abzüge bei der Bewertung seiner Leistung machte der Heppenheimer allerdings im Rennen wieder gut, nachdem er den schlechten Start und den damit verbundenen Platzverlust gegenüber Teamkollege Räikkönen mit einem harten und gleichzeitig fairen Manöver ausgeglichen hatte.
Vettel fuhr den Pace-Vorteil des superweichen Reifens aus, als Bottas ihm durch den früheren Boxenstopp freie Fahrt gewährte. So holte er sich Platz 2. Mehr zu erreichen, war durch Mercedes' Pace ohne äußere Einflüsse unmöglich. Vettel fuhr zum elften Mal in der laufenden Saison aufs Podium - öfter als in seinen Weltmeisterjahren 2010 und 2012. Er ist Zweiter in der Fahrer-WM. Allein diese Fakten sollten diejenigen ins Grübeln bringen, die immer noch an seiner Klasse zweifeln.
Platz 5, Felipe Nasr: Saubers Brasilianer hat mich schon zu Beginn der Saison überzeugt. Doch nach dem Monaco-GP änderte sich etwas. Nasr holte nur noch in Österreich einen Driver-Ranking-Punkt. Seine Form in Russland war allerdings deutlich besser. Er fuhr das zweitbeste Resultat seiner Formel-1-Laufbahn ein.
Der Grund dafür könnte einerseits der Asphalt in Sotschi sein, der dem des Red-Bull-Rings in Spielberg ähnelt. Oder liegt es an den Umbauarbeiten im Sauber-Team? Nasr arbeitet wieder Paul Russell zusammen, der ihn schon während der Wintertests über Funk beraten hatte. Der Wechsel zahlte sich aus: Teamkollege Marcus Ericsson hatte der frühere Williams-Testfahrer wieder im Griff.
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Platz 6, Jenson Button: McLaren-Honda nutzte Sotschi als Experimentierfeld. Mit unterlegener Antriebseinheit rechnete sich in Woking ohnehin niemand Chancen auf Punkte aus. Doch Button staubte zwei Zähler ab, obwohl er im Gegensatz zu Teamkollege Fernando Alonso keinen überarbeiteten Honda-Motor bekommen hatte.
Den Geschwindigkeitsunterschied zur Konkurrenz an einigen Teilen der Strecke bezifferte Button selbst auf über 40 km/h. Verteidigungschancen auf den Geraden? Fehlanzeige. Er bezeichntete sich selbst als "lahme Ente" und traf es damit ziemlich gut. Respektabel war, dass Button trotzdem einen Lotus und einen Williams im Qualifying hinter sich ließ. Und: Er hängte Alonso ab. Der Spanier war 0,404 Sekunden langsamer.
Platz 7, Carlos Sainz jr.: 46 G wirkten auf den Rallye-Weltmeister-Sohn bei seinem Unfall im 3. Freien Training. Wer kann sich darunter wirklich etwas vorstellen? Sainz wiegt offiziell 66 Kilogramm. Mit anderen Worten: 2970 Kilogramm, fast drei Tonnen, drückten beim Einschlag unter den TecPro-Barrieren auf ihn ein.
Der Spanier zeigte Skispringer-Qualitäten und ließ sich nicht davon abbringen, am Sonntag zu starten. Er gab zu, dass ihm in den ersten zehn Runden schwindelig war. Aber nachdem er das Visier geöffnet hatte, sei alles wieder gut gewesen. Sainz fuhr stark, fuhr auf sicherem Punktekurs vor Teamkollege Max Verstappen, bis seine Bremsscheibe explodierte und er abermals in Turn 13 abflog.
"Wenn wir heute ins Ziel gekommen wären", sagte er nach dem Rennen, "wären wir Helden geworden." Etwas viel Pathos, aber ich widerspreche hier nicht. Sich nach diesem Abflug wieder ins Auto zu setzen und von Beginn an so ein Tempo aufzulegen, nötigt Respekt ab. Da dürfte selbst Niki Lauda seine Kappe ziehen.
Platz 8, Daniel Ricciardo: Für Ricciardo gilt ähnliches wie für Perez. Er setzte gut die Strategie um, die Reifen schon während der ersten Safety-Car-Phase zu wechseln. Zudem war er es, der dem Mexikaner den Kampf um Platz 3 ermöglichte. Der Australier hielt Bottas 15 Runden lang auf, wodurch Perez weiter vorn zumindest etwas Tempo rausnehmen konnte. Erst ein Defekt stoppte seinen Kampf um einen Platz unter den ersten Sechs.
Platz 9, Lewis Hamilton: Ein mehr als nur durchschnittliches Wochenende für den Weltmeister. Für seine Verhältnisse sogar ein richtig schlechtes. Hamilton konnte Rosberg im Qualifying nicht das Wasser reichen. 0,320 Sekunden fehlten ihm in Q3 auf Rosberg. Für Silberpfeil-Verhältnisse ist das ein riesiger Unterschied. Durchschnittlich liegt Hamilton seit seinem Wechsel zu Mercedes weniger als eine Zehntelsekunde vor seinem Teamkollegen.
Auch wenn Hamilton das Rennen gewann, ist seine Leistung beim Russland-GP für mich keiner Spitzenplatzierung würdig. Sicher, er machte keine Fehler und brachte den angeschlagenen Mercedes halbwegs intakt ins Ziel. Allein die Tatsache, dass beide Silberpfeile in Q1 auf einen Run mit den superweichen Reifen verzichten konnten und trotzdem das Klassement anführten, ist aber ein ziemlich eindeutiges Indiz für ihre Überlegenheit.
Immerhin: Beim nächsten Grand Prix im US-amerikanischen Austin kann Hamilton seine dritte Fahrer-WM bereits ziemlich locker eintüten. Er muss gleichzeitig zwei Punkte mehr als Rosberg und neun mehr als Vettel holen. Mit anderen Worten: Gewinnt Hamilton und wird Vettel gleichzeitig nicht Zweiter, ist Weltmeisterschaft selbst rechnerisch entschieden.
Platz 10, Felipe Massa: Der Brasilianer fuhr in seinem Williams von Platz 15 bis auf Rang 4 vor. Beeindruckend. Doch die Grundlage für seine starke Performance legte Massa am Samstag selbst, weil er das Qualifying verpatzte. Bei zwei Versuchen in Q2 hätte er sich im ersten Run keinen Fehler leisten dürfen und danach eine Lücke zum Vordermann verschaffen müssen.
Mit dem Williams in Sotschi so früh die Segel zu streichen, ist ein dicker Minuspunkt. Am Sonntag hielt sich Massa aus Schwierigkeiten heraus, ohne Räikkönens Brechstangen-Angriff, wäre er allerdings auch nur Sechster geworden.
Härtefall, Kimi Räikkönen: Der Iceman sprach nach dem Rennen von einem Rennunfall. Bottas habe ihm eine Lücke gelassen. Ich konnte beim besten Willen keine erkennen. Der Williams-Pilot bremste Turn 2 normal an, sein Landsmann war deutlich hinter ihm. Ob Räikkönen die Kurve überhaupt bekommen hätte, ohne Bottas von der Straße zu schieben, sei dahingestellt.
Sicher ist, dass Räikkönen keinesfalls neben Bottas war. Er war weit dahinter und hätte zurückziehen müssen. Nicht umsonst traf das linke Vorderrad des Ferrari den rechten Hinterreifen des Williams. Der Iceman brachte sich mit seiner Aktion nicht nur um den verdienten Lohn für ein eigentlich grundsolides Wochenende und machte Mercedes vorzeitig zum Weltmeister, er beendete auch Bottas' Rennen. Das war sportlich unfair und hatte mit Racing nichts zu tun.
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