Die Causa Stoffel Vandoorne

Stoffel Vandoorne gewann in der Saison 2015 schon fünf GP2-Rennen
© getty

Stoffel Vandoorne steht beim GP2-Rennen im Rahmen des Großen Preis von Russland der Formel 1 (alle Sessions im LIVETICKER) sein bisher größter Erfolg bevor - und gleichzeitig das Abrutschen in eine unsichere Zukunft. Das belgische Supertalent aus der McLaren-Förderung fährt unbedrängt in Richtung Titel, danach droht ihm die Arbeitslosigkeit.

Cookie-Einstellungen

108 Punkte Vorsprung vor Verfolger Alexander Rossi und 12 Podiumsplätze nach 16 Rennen. Wovon selbst F1-Weltmeister Lewis Hamilton nicht mal zu träumen wagt, macht Vandoorne möglich. Sein schlechtestes Resultat: Platz 8 beim Sprint-Rennen in Monaco.

Der 23-jährige Belgier scheint prädestiniert für einen raschen Aufstieg in die Königsklasse. Die Formel Renault 2.0 entschied er in der Saison 2012 für sich, in seiner Rookie-Saison in der Renault World Series wurde er Zweiter hinter Kevin Magnussen. Nach dem Wechsel in die GP2 sicherte er sich auf Anhieb die Vizemeisterschaft - nach vier Siegen und einem Zwischensprint von vier Pole Positions hintereinander.

"Er ist ein außergewöhnlich guter und junger Rennfahrer", sagte Gerhard Berger über Vandoorne bei Sky: "Er gewinnt unter allen Umständen. Er ist auf Stadtkursen vorne, er ist im Regen vorne. Wenn die Startaufstellung gedreht wird und er hinten starten muss, dann ist er auch wieder vorne. Der Bursche ist absolut Formel-1-tauglich."

Tausend Zufälle auf dem Weg in die Formel 1

Dass das überhaupt jemand bemerkte, beruht auf glücklichen Umständen.

"Mein Vater ist Architekt. Er hat ein Restaurant an einer Kartstrecke entworfen, deshalb kannte er den Chef ziemlich gut. Er war es, der mich zum ersten Mal in ein Kart gesetzt hat - in ein Mini-Kart natürlich, weil ich damals sehr klein war", berichtete der Belgier über seine erste Ausfahrt im Alter von sechs Jahren.

Seine Familie hatte zwar nicht das nötige Budget, doch dank einiger Sponsoren fuhr Vandoorne ab der Saison 2008 professionell. Er gewann auf Anhieb die belgische Meisterschaft und wurde ein Jahr später Vizeweltmeister im Kart.

Die nächste Fügung: Die FIA holte ihn in ihre Young Driver Excellence Academy, dort lernte er Alex Wurz kennen. Der Österreicher stellte ihn schließlich McLaren-Kommunikationschef Matt Bishop vor, der die von Vandoorne zugesandten Rennberichte an Renndirektor Sam Michael weiterleitete.

Vandoorne überzeugte: Das Team aus Woking wählte ihn für das eigene Nachwuchsprogramm aus.

Beeindruckende Statistik als Problem

Aktuell fährt Vandoorne in der höchsten Formel-Nachwuchsserie GP2 der Konkurrenz um die Ohren und kann bei noch sechs ausstehenden Rennen schon an diesem Wochenende den Titel sichern. Dass ihm die Meisterschaft noch einer streitig macht? Ausgeschlossen. Vandoorne ist trotz jungem Alter viel zu abgeklärt und fehlerlos.

So beeindruckend die Statistik auch ist, für Vandoorne bedeutet sie ein großes Problem. Er muss sich bald beim Rennfahrer-Arbeitsamt melden.

GP2-Regularien bedrohen Zukunft

Sobald ein Pilot den Titel in der GP2 geholt hat, erhält er keine Starterlaubnis mehr. So sollte verhindert werden, dass einzelne Fahrer jahrelang die Cockpits aufstrebender Talente besetzen, Erfahrung sammeln und letztlich wieder den Titel gewinnen.

Anfangs funktionierte das. In den ersten Jahren der Serie gewannen Nico Rosberg (2005) , Lewis Hamilton (2006), Timo Glock (2007), Nico Hülkenberg (2009), Pastor Maldonado (2010) und Romain Grosjean (2011) die Meisterschaft. Lediglich der zum Zeitpunkt seines Titelgewinns schon 29 Jahre alte Girgio Pantano kam anschließend nicht in der Formel 1 unter.

Doch die Situation hat sich grundlegend verändert. Mit Davide Valsecchi, Fabio Leimer und Jolyon Palmer haben alle Meister der letzten Jahre bisher keinen Formel-1-Start vorzuweisen. Der Unterschied: Sie hatten alle mindestens drei GP2-Jahre, bevor sie die Meisterschaft gewannen.

Vandoorne droht Spätzünder-Schicksal

Vandoorne, der weitaus dominanter und mit deutlich geringerer Erfahrung sämtlichen Konkurrenten enteilt, droht das gleiche Schicksal.

Noch vor der Saison 2014 schien sein Weg vorgezeichnet: Er sollte sich in der GP2 empfehlen. Mit Kevin Magnussen wurde sein Kollege im McLaren-Programm schon in die Formel 1 gezogen, während Jenson Button in seine Abschiedstour startete. Doch mit dem Einstieg von Honda änderte das Team den Plan.

McLaren kaufte Fernando Alonso ein und setzte damit auf größtmögliche Erfahrung. Magnussen war plötzlich nur Ersatzfahrer, während Vandoorne Test- und Entwicklungspilot wurde.

Kein Platz für Talente bei McLaren

Die Perspektive für das Jahr 2016? Genauso schlecht. Alonso und Button werden weiter für McLaren-Honda hinterherfahren. Für die Talente Magnussen und Vandoorne ist kein Platz. Dabei hatte der Belgier im Juli sogar den Vertrag mit seiner Management-Firma gekündigt, an der auch Cockpit-Rivale Button beteiligt ist.

"Wir können nicht akzeptieren, dass es ein Kerl, der alles gewonnen hat, nicht in die Formel 1 schafft", warnte Vandoornes ART-Teamboss Frederic Vasseur zuletzt bei Motorsport.com. Sein Teammanager Sebastien Philippe ergänzte: "Es wäre ein großes Desaster, wenn Stoffel nächstes Jahr nicht in der Formel 1 landen würde. Er hat die Konkurrenz in diesem Jahr zerstört."

F1 2016 ohne Vandoorne? "Kompletter Bullshit"

Was die Verantwortlichen noch zurückhaltend formulierten, packte Gegner Nick Yelloly in deutlichere Worte: "Ich bete, dass er es im kommenden Jahr versuchen darf, weil er supergut ist. Wenn nicht, dann wäre das kompletter Bullshit!"

Trotzdem wird es wohl nicht so kommen. Haas F1 sucht neben Romain Grosjean einen weiteren erfahrenen Piloten aus dem Ferrari-Lager, Renault wird kaum einen Fahrer aus dem Pool der Konkurrenz aufbauen, Manor braucht Geld. Das hatte Vandoorne nie.

"Es ist wichtig, den Druck zu siegen zu haben", erklärte der Belgier, warum er seine Abhängigkeit von wenigen Sponsoren nie als Hemmschuh betrachtete: "Wenn man an die Spitze kommt, in die Formel 1, und dann für ein Team wie McLaren fährt, dann wird erwartet, dass du gewinnst und um die Weltmeisterschaft kämpfst."

Vandoorne räumte bereits ein, dass er fest eingeplant hatte, ab der Saison 2016 in der Formel 1 zu starten: "Ich arbeite darauf hin, seit ich ein Kind war."

Eine unabhängige Entscheidung scheint aber unmöglich. "Ich habe einen Vertrag mit McLaren und ich bin komplett darauf konzentriert, den Job und das zu erledigen, worum man mich bittet", sagt Vandoorne.

Boullier: "Es ist ein Luxusproblem"

"Es ist ein Luxusproblem, wenn man vier gute Fahrer hat", sagte McLaren-Rennleiter Eric Boullier schon vor dem Italien-GP: "Kevin und Stoffel sind zwei sehr gute Fahrer. Wir erwarten, dass beide in der Formel 1 fahren werden. Wenn wir sie aber nicht zuhause einsetzen oder unterbringen können, dann werden wir unser Bestes geben, damit sie im nächsten Jahr Rennen fahren können."

Magnussen hat bereits mehrfach betont, gerne in der nordamerikanischen IndyCar-Serie starten zu wollen. Dort baut McLaren-Partner Honda den V6-Motor für die halbe Serie. Der Vorteil: Magnussen und Vandoorne würden keinen Rennrost ansetzen und stünden durch die kurze Dauer der US-Saison für Tests teils weiter zur Verfügung. Die Gefahr: Die Talente könnten in der Versenkung verschwinden.

Bleibt nur eine Hoffnung: Bernie Ecclestone. "Einige Teams wollen drei Autos", brachte der Formel-1-Chefpromoter bei De Telegraaf Anfang Oktober nochmals die Aufstockung des Starterfeldes ins Gespräch: "Nächsten Monat werden wir wissen, ob wir in diese Richtung vorstoßen." Im zusätzlichen Auto sollen die Teams immerhin einen jungen, aufstrebenden Fahrer einsetzen.

Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM