Catenaccio - die dunkle Seite des Fußballs

Von SPOX/Andreas Renner
Helenio Herrera (r., mit Sandro Mazzola) spielte mit Inter in den 1960er Jahren Catenaccio in Perfektion
© Imago
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Mit dem offensivstarken Linksverteidiger Facchetti war Inters Spiel nicht nur auf Verhindern angelegt. Die Italiener konnten sich offensiv auf absolute Ausnahmekönner verlassen.

Aki Schmidt, der mit Borussia Dortmund 1964 im Halbfinale des Europpapokals der Landesmeister an Inter scheiterte, erinnert sich bei SPOX: "Facchetti war ein Modellathlet auf der linken Seite, Corso vor ihm ein wunderbarer Techniker, Mazzola im Sturm unglaublich schnell und Suarez dahinter der Regisseur. Das waren vier echte Granaten. Die hätten in jedem Spiel drei oder vier Tore schießen können. Aber das haben sie gar nicht versucht."

Libero Picchi dagegen war meilenweit vom eleganten, spielstarken Liberotyp eines Franz Beckenbauer oder Franco Baresi entfernt. Picchi war ein Ausputzer, der keine Probleme damit hatte, den Ball schmucklos ins Seitenaus zu befördern. (siehe Grafik)

Herreras Sklaven

Der BVB schied gegen Inter aus, weil ein 2:2 zu Hause nicht genug war, um die 0:2 Niederlage aus Mailand auszugleichen. Schmidt: "Wir waren selbst in einer Riesenverfassung, aber Inter war eigentlich unschlagbar. In Deutschland war damals gerade die Bundesliga gegründet worden. Wir waren ja noch gar keine Profis."

Im Gegensatz zu Inter, das von "Sklaventreiber Herrera" (Schmidt) auf einen für damalige Verhältnisse unglaublichen Fitnessstand gebracht worden war. Und taktisch top eingestellt war. Schmidt: "Ich machte damals gerade den Fußballlehrer in Köln, zusammen mit Hennes Weisweiler. Und wir haben damals Inters Taktik seziert. Wir wussten genau, was uns erwartet."

Trotzdem war gegen die in allen Belangen fitteren Italiener kein Kraut gewachsen. Schmidt: "Beim 2:2 in Dortmund war für uns etwas drin. Aber auch da haben die ganz früh ein Tor gemacht und standen dann hinten drin. Und in Mailand hatten wir keine Chance."

Gezielter Tritt in die Männlichkeit

Auch wenn die Begleitumstände skandalös waren. Dortmunds Hoppy Kurrat, der Gegenspieler von Regisseur Suarez, entnervte den Spanier so, dass der ihm einen gezielten Tritt in die Männlichkeit versetzte. Direkt vor den Augen des Schiedsrichters.

Schmidt: "Ich stand nur drei Meter entfernt, der Schiedsrichter fünf. Und das hat alle Welt gesehen. Aber der Schiri hat nichts gemacht. Hinterher hieß es, er habe von Inter eine goldene Uhr bekommen. Jedenfalls wurde er lebenslang gesperrt. Aber: Das war nicht der Grund, dass wir verloren haben."

Pillen im Kaffee

Dass Catenaccio bis heute als die Antithese des schönen Fußballs gilt, hat mehrere Gründe. Zum einen stellte Herrera selbst fest, dass seine vielen Nachahmer zwar seine Defensivtaktik übernahmen, aber seine Offensivprinzipien vernachlässigten. Und so viel Langeweile produzierten.

Und zum anderen waren da die unappetitlichen Gerüchte rund um die italienischen Teams, Inter im Besonderen. Ehemalige Spieler berichteten von Pillen, die Herrera seinen Akteuren verabreichte. Erst direkt, später in Kaffee aufgelöst.

Auch von Schiebung war die Rede. So soll es damals eine relativ kleine Gruppe von Schiedsrichtern gegeben haben, die auffällig oft  Spiele italienischer Klubs in europäischen Wettbewerben leitete. Und die Partien, die von dieser Gruppe gepfiffen wurden endeten überdurchschnittlich häufig positiv für die Italiener.

"Verdammter Wehrdienst"

Herrera selbst war ebenfalls ein umstrittener Charakter. So nahm er seine Spieler rigoros an die Kandare, diktierte den Spielerfrauen den gewünschten Ernährungsplan und führte den sogenannten "Ritiro" ein, der vorsah, dass die Spieler die drei (!) Tage vor den Spielen im Hauptquartier des Klubs verbringen mussten, um sich voll auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren.

Manche klagten, dass sie ihre Zimmergenossen öfter sahen als ihre Ehefrauen. Alles war reguliert und als der englische Stürmer Gerry Hitchens den Klub verließ beschrieb er das mit folgenden Worten: "Es ist so, als ob man aus dem verdammten Wehrdienst entlassen wird." Herrera legte Wert auf Fitness und perfekte Vorbereitung. Und war einer der ersten Trainer, der Dossiers über die Gegner anlegte.

Quälix Herrera

"Man hat mir vorgeworfen tyrannisch und absolut gnadenlos gegenüber meinen Spielern zu sein. Aber ich habe lediglich Dinge eingeführt, die später von jedem Verein kopiert wurden: Harte Arbeit, Perfektionismus, physisches Training, Ernährungspläne und drei Tage Konzentration vor jedem Spiel."

Klingt irgendwie nach einer Seelenverwandtschaft mit Felix Magath. Eins hat er uns ganz sicher hinterlassen: Die ewige Diskussion nämlich, ob es Fußball wirklich nur darum geht, um jeden Preis zu gewinnen.

Um jeden Preis gewinnen stand jedenfalls nicht auf der Agenda des holländischen Fußballs. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewann unser heutiger fußballerischer Erzfeind nämlich so gut wie nie. Das änderte sich erst in den 60er Jahren. Mit einem Spieler namens Johan Cruyff, der am Freitag im Mittelpunkt steht...

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