"Jogi hat sich immer kaputtgelacht"

Jonas Schützeneder
28. Juli 201414:24
Seite an Seite: Werner Leuthard (r.) und Felix Magath beim FC Bayern Münchengetty
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Wenn Felix Magath als Quälix bezeichnet wird, ist eigentlich er gemeint: Werner Leuthard arbeitet seit Jahren als Konditionstrainer in Magaths Team. Mit SPOX spricht der Niederbayer über seine Anfänge als Coach von Steffi Graf, das Image seines Cheftrainers und lustige Autofahrten mit Joachim Löw.

SPOX: Herr Leuthard, es gibt kaum Interviews mit Ihnen. Ist das gewollt?

Werner Leuthard: Es ist ganz einfach zu erklären. Ich stehe im zweiten Glied und fühle mich dort auch wohl. Ich bin kein Marktschreier. In unserem Trainerteam steht einer vorne und gibt in der Regel die Auskünfte. Damit sind wir bisher sehr gut gefahren. Natürlich mache ich für eine interessante Anfrage, die mit mir persönlich zu tun hat, auch mal eine Ausnahme.

SPOX: Mittlerweile ist es fast zwei Monate her, dass Sie beim FC Fulham den ersten Abstieg Ihres Trainerteams hinnehmen mussten. Schon verdaut?

Leuthard: Es ist nicht so leicht, sowas zu verdauen. Es war das erste Mal für uns, aber wir haben anschließend versucht, möglichst viele Schlüsse daraus zu ziehen. Jetzt wollen wir in der neuen Situation das Beste draus machen.

SPOX: Es war eine schwere Ausgangslage, gab es trotzdem kein Zögern?

Leuthard: Nein. Die Anfrage kam zu einem Zeitpunkt, als noch alles drin war. Wie üblich hat mich Felix kurz danach angerufen und gefragt, ob ich dabei bin. Da gab es kein Überlegen und da ist es völlig deplatziert, über die Ausgangslage zu jammern. Wir haben natürlich bis zum Schluss daran geglaubt, es hat dann eben nicht gereicht.

SPOX: Woran hat es dann letztlich gelegen? Auf dem Papier war die Mannschaft ja keinesfalls schlechter als andere Konkurrenten.

Leuthard: Im Abstiegskampf entscheiden am Ende immer nur Nuancen. Da sind Punktestand und Restprogramm. Dann Verletzte und Formschwankungen. Außerdem spielt die Nervenkraft eine entscheidende Rolle.

SPOX: Was kann man als Konditionstrainer im Saisonschlussspurt noch bewirken?

Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.comLeuthard: Einiges. Die Annahme ist ja weit verbreitet: Konditionseinheiten sind hart und werden nur zu Saisonbeginn absolviert. Das ist total falsch. Man kann immer Einfluss nehmen. Es geht nicht nur darum, viel und schnell zu laufen, sondern viel mehr um Bewegungsqualität. Dazu Einzeltraining für angeschlagene oder nach Verletzung nicht fitte Spieler.

SPOX: Alle möglichst fit halten und so wenige Verletzungen wie möglich erleben. Ist das Ihr übergeordnetes Ziel?

Leuthard: Ich möchte es präzisieren: Ich will mir zuerst einen Überblick in Sachen Ausdauer, Schnelligkeit und Koordination verschaffen. In Absprache mit dem Trainerteam versuche ich dann die vorgegebenen Ziele zu erreichen. Wir wollen ein ausgeglichenes hohes Niveau im Kader. Wir wollen ein Leistungsgefälle vermeiden, deshalb teilen wir auch in Einzel- und Gruppentraining auf.

SPOX: Vor seiner Zusage bei Fulham stand Magath zwischenzeitlich auch kurz vor einer Einigung mit dem HSV, bevor es etwas überraschend London wurde. Waren Sie informiert?

Leuthard: Eigentlich nicht und das ist mir auch nicht wichtig. Ich bekomme Bescheid, sobald eine Einigung besteht und dann entscheide ich, ob ich mitmache. Die ganzen Spekulationen in so einem Fall interessieren mich nie.

SPOX: Von Wolfsburg nach London... Eine große Umstellung?

Leuthard: In puncto Umfeld schon. London ist eine Weltstadt. Da leben über 100 Nationen und knapp 15 Millionen Menschen zusammen. Das finde ich faszinierend. Dafür ist die Wohnungssuche natürlich nicht ganz einfach. Man will ja halbwegs in der Nähe des Klubs wohnen. Bisher war ich noch im Hotel, aber es sieht ganz gut aus, dass ich demnächst etwas Passendes habe.

SPOX: Trotzdem ist der Lebensmittelpunkt weiter entfernt als sonst...

Leuthard: Naja, wenn ich nach London fliege und dann per Auto heimfahre, bin ich etwa so lang unterwegs wie zuletzt von Zuhause nach Gelsenkirchen oder Wolfsburg. Mit meiner Frau ist alles so abgesprochen und wir waren uns sicher, dass wir auf jeden Fall einmal ins Ausland wollen.

SPOX: Blicken wir mal auf Ihre Karriere zurück. Die begann bei der Bundeswehr. Oft heißt es: Leuthard lebt und liebt Disziplin wegen seiner Bundeswehr-Vergangenheit. Diese Sicht ist viel zu einfach, oder?

Leuthard: Natürlich und ich bin froh, dass es angesprochen wird. Ich bin ungeheuer dankbar für diese Entscheidung. Ich bin mit 18 Zuhause ausgezogen und habe dort viel Lebenserfahrung mitgenommen. Insgesamt einfach eine Persönlichkeitsentwicklung. Und zum Thema Disziplin: Überall wo Menschen zusammen ein Ziel erreichen wollen, braucht es Disziplin.

SPOX: Danach waren Sie Tennis-Trainer. Und zwar gleich bei den ganz Großen des Sports...

Leuthard: Ja ich war als Konditionstrainer unter anderem für das Fed-Cup-Team beschäftigt. Damals spielten Graf, Huber und Rittner und die Matches waren deutschlandweit ein absolutes Highlight. Gerade Steffi Graf war beeindruckend. Sie war eine Athletin und als Persönlichkeit einzigartig. Sie musste nie motiviert werden, der Wille zum Erfolg war immer da.

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SPOX: Kurz darauf sind Sie dann zum Fußball gekommen. Auch wieder etwas zufällig.

Leuthard: So läuft es im Leben... Ich habe Fredi Bobic nach seiner Schulterverletzung betreut und ihn wieder fit gemacht. Später kam dann ein gewisser Sean Dundee zum VfB, war allerdings angeschlagen. Also rief mich Felix an, ob ich ihn im Urlaub betreuen könne. Später schickte er mir dann seine Youngster zum Einzeltraining: Kuranyi, Hleb, Hildebrand und so weiter. Die haben bei den Extra-Einheiten super mitgezogen und haben sich dadurch körperlich enorm weiterentwickelt.

SPOX: Vor Magath hatten Sie allerdings noch einen anderen bekannten Chef.

Leuthard: Damals war Jogi Löw noch nicht ganz so bekannt. Wir waren zusammen in Innsbruck und Jogi war schon damals ein erstklassiger Trainer. Heute steht er natürlich ganz anders im Fokus als früher, aber ich wusste immer, dass er überragende Fähigkeiten hat. Nach der Insolvenz des Klubs war unsere Arbeit leider beendet. Ich durfte aber später nochmal ein Jahr zusammen mit ihm in Wien arbeiten.

SPOX: Ein Schwabe und ein Niederbayer arbeiten zusammen in Österreich. Das klingt wie der Beginn eines Stammtisch-Witzes.

Leuthard: Das mag sein. Witzig war es jedenfalls oft mit Jogi. Beispielsweise sind wir abends öfter zusammen durch die Stadt gefahren. Im Radio lief dann immer österreichische Musik. Für mich als Niederbayern waren Sprache und der typische Schmäh ja nichts Besonderes, für Jogi war das allerdings ziemlich neu. Er hat sich dann regelmäßig kaputtgelacht wegen der Liedtexte. Wir mussten dann öfter stehenbleiben, weil Jogi vor lauter Lachen nicht mehr weiterfahren konnte.

SPOX: Also könnten sie theoretisch jetzt auch Konditionstrainer im Nationalteam sein?

Leuthard: Das war nie ein Thema. Ich stand 2004 bei einem der renommiertesten Klubs überhaupt unter Vertrag, beim FC Bayern. Ohnehin ist mir das Tagesgeschäft viel lieber. Es liegt in meinem Naturell, ich will jeden Tag gefordert sein. Und ich habe das große Glück, mit dem erfolgreichsten deutschen Trainer der letzten zehn Jahre zusammenarbeiten zu können.

SPOX: Also sind wir jetzt bei Felix Magath. Der nennt Sie das "Nonplusultra der Konditionstrainer". Was zeichnet Magath aus?

Leuthard: Absolute Professionalität. Einer kann sich auf den anderen verlassen. Ich kann mir nicht vorstellen, woanders zu arbeiten, solange Felix als Trainer aktiv ist. Wir kennen uns auswendig. Und Felix ist in vielen Punkten ganz anders als es dargestellt wird.

SPOX: Zum Beispiel in Bezug auf die angeblich absolutistische Arbeitsform?

Leuthard: Ja zum Beispiel. Felix schätzt Menschen, die ihm eine klare Meinung übermitteln. Er will auch keine Ja-Sager um sich herum. Wir diskutieren immer sehr intensiv und offen. Was unser Team auszeichnet: Nichts davon dringt nach außen und alle vertreten die abschließende Entscheidung. Da passt kein Blatt Papier dazwischen.

SPOX: Und die angeblich überharten Einheiten?

Leuthard: Es ist doch ganz einfach: Wir sind Trainer, weil wir junge Männer zur bestmöglichen Leistung verhelfen wollen. Dazu braucht es viel Wille und sehr viel Arbeit. Das alles passiert immer im Sinne des Vereins. Überall wo wir waren, hat die Fitness gepasst und es gab im Vergleich zu den Mitkonkurrenten sehr wenig Verletzte. Und außerdem: Wir waren mit vier verschiedenen Teams in der Champions League. Zwei davon waren davor im Abstiegskampf. Das spricht für sich.

SPOX: Mal abgesehen vom Erfolgswillen. Mit welcher Idee gehen Sie als Team an eine Aufgabe heran?

Leuthard: Ganz klar: Über allem steht der Teamgedanke. Ich möchte mal als Beispiel unsere Arbeit in Stuttgart nehmen. Wir haben damals viele Spieler aus der eigenen Jugend eingebaut. Aber wir hatten das Glück, mit Balakov und Soldo zwei erfahrene Leader im Team zu haben. Nach einer Verletzung habe ich den 36-jährigen Balakov die Europatreppe mit knapp 4000 Stufen hochgescheucht. Er hat das akzeptiert und voll durchgezogen. Was denken Sie, was das für einen Eindruck auf einen jungen Kuranyi oder Hleb gemacht hat? Der Teamgeist war absolut perfekt und nur dadurch hat sich diese Dynamik entwickelt, die uns zum Erfolg gebracht hat. Ähnlich war es später in Wolfsburg.

SPOX: Als Belohnung für die Erfolge mit Stuttgart gab es ein Angebot vom FC Bayern...

Leuthard: Das war eine tolle Erfahrung. Der FCB ist wohl der professionellste Verein überhaupt. Und die Aufmerksamkeit ist natürlich auf einer ganz anderen Stufe. Bei einem ganz normalen Berglauf waren damals 20 Kameras und unzählige Journalisten dabei. So als wären wir gerade dabei einen 8000er zu besteigen. Dafür haben wir mit Spielern wie Kahn, Lucio und Scholl gearbeitet. Eine einmalige Erfahrung.

SPOX: In diese Liste kam später noch Raul auf Schalke. Wie überzeugt man solche Topstars als Konditionstrainer?

Leuthard: Ich muss solchen Spielern nicht erklären, warum Training wichtig ist. Entscheidend ist: Wie begegne ich so einem außergewöhnlichen Spieler? Dazu braucht es persönliche und fachliche Autorität. Ein Kahn oder Raul will immer Erfolg. Ich muss ihm zeigen, dass ich von dem, was ich tue, absolut überzeugt bin und mir sicher bin, dass dieser Weg zum Erfolg führt.

SPOX: Bei all diesen Topstars: Gibt es einen Spieler, der für Sie ein absoluter Musterprofi ist?

Leuthard: Ich möchte einen hervorheben: Das ist Grafite. Er hat so eine positive Ausstrahlung und die perfekte Einstellung. So etwas habe ich nie erlebt. Grafite hatte gute Anlagen. Er hat sich die großen Erfolge aber täglich mit harter Arbeit verdient. Außerdem ist er vorangegangen. Wenn Grafite aus dem Bus ausgestiegen ist und man hat ihm in die Augen gesehen, dann war klar: Dieser Mann gewinnt heute.

SPOX: Aber Grafite war doch auch der Spieler, der bei einem Berglauf zusammengebrochen ist?

Leuthard: Ja, da hatte er einen kurzen Schwächeanfall. Aber selbst als er da völlig fertig am Boden saß, konnte er über sich lachen und hat sich bemüht, schnell auf die Beine zu kommen. Ich bin überzeugt, dass Grafite eine tragende Säule dieser Meister-Mannschaft war. Auch der junge Dzeko hat von der Persönlichkeit eines Grafite enorm profitiert.

SPOX: Sie haben als Trainer fast alles erlebt und viel gewonnen. Gibt es da noch einen offenen Wunsch?

Leuthard: Rein beruflich nicht. Ich genieße jeden Tag und hoffe, noch möglichst lange mit Felix zusammenarbeiten zu können. Da macht es auch nichts, dass man manchmal den Lebensmittelpunkt wechseln muss. Das gehört zum Trainergeschäft eben dazu. Eine exakte Lebensplanung ist eben nur temporär möglich.

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