17 Trainerstationen in 26 Jahren: Hannovers U23-Coach Michael Krüger hat nicht nur auf dem Papier viel erlebt. Mit SPOX spricht er über ein richtungsweisendes Abkommen mit Peter Neururer, seine irrwitzigen ersten Schritte in Ägypten, den Status "Nationalheld", aber auch die Schattenseite des Jobs: Korruption, Lebensgefahr und seine sehr besorgte Familie.
SPOX: Herr Krüger, Sie sind zurück in Deutschland und nun U23-Trainer bei Hannover 96. Schaut man sich Ihre Vita an, stellt sich aber eigentlich nur die Frage: Wann zieht es Sie wieder ins Ausland?
Michael Krüger: Ich glaube nicht mehr. Als ich letztes Jahr aus Ägypten zurückkam, habe ich beschlossen, dass ich jetzt oft genug weg war. Mein Wunsch war es seit längerer Zeit, für den letzten Abschnitt meiner Karriere in den Nachwuchs zurückzukehren. Dass sich diese Möglichkeit in Hannover ergeben hat, ist für mich ideal. Nach all dem Reisen bin ich wieder bei meiner Familie und meinen Freunden.
SPOX: Seit Beginn Ihrer Cheftrainerlaufbahn 1989 waren Sie für 14 verschiedene Vereine tätig, unter anderem den VfL Wolfsburg, Eintracht Braunschweig und Alemannia Aachen. Haben Sie Ihre fußballerische Heimat noch nicht gefunden oder sind Sie einfach ein Globetrotter?
Krüger: Ein Globetrotter bin ich mit Sicherheit nicht, denn vieles hat sich im Laufe der Zeit einfach so ergeben. Der Wechsel zu Braunschweig, nachdem ich drei Jahre die U23 des VfL trainiert hatte, war eine riesige Chance. Mit dem Aufstieg in die 2. Liga haben wir dann auch eine schöne Erfolgsgeschichte geschrieben. Ich war dennoch nie einer der Trainer, die sich ihre Klubs nach Belieben aussuchen konnten. Deshalb war es wichtig, sich durch gute Arbeit für weitere Anstellungen zu empfehlen.
SPOX: Ihre Trainerlizenz haben Sie 1987 unter anderem mit Horst Hrubesch, Michael Henke und Peter Neururer gemacht. Mit Letzterem bildeten Sie von 1987 bis 1989 das Trainerteam auf Schalke. Wie hat er Sie in Ihrer Arbeit geprägt?
Krüger: Das fing schon bei unserem Kennenlernen an, das höchst kurios verlief.
SPOX: Inwiefern?
Krüger: Wir haben einmal gegeneinander gespielt - er als Abwehrspieler des STV Horst-Emscher, ich als Stürmer für den FC Paderborn. Ich habe ihn im direkten Duell fürchterlich eingedreht, wofür er sich recht schnell revanchiert hat. Denn es ist ja bekannt, dass Peter kein guter Kicker war, dafür aber ein umso besserer Treter. (lacht) Auf dem Lehrgang 1987 haben wir uns wiedergesehen und es ist schnell eine Freundschaft entstanden. Als wir ein paar Wochen später in nicht mehr ganz nüchternem Zustand um die Häuser zogen, haben wir uns geschworen: Wer zuerst den Sprung ins Profi-Geschäft schafft, holt den Anderen nach.
SPOX: So sind Sie beim FC Schalke gelandet?
Krüger: Genau. Peter hat den Verein übernommen und in der 2. Liga gehalten. In der neuen Saison wurde ich sein Co-Trainer. Solche Kapriolen waren früher wohl eher möglich.
SPOX: Trotz Ihrer guten Referenzen in Deutschland überraschten Sie 1995 plötzlich mit der Entscheidung, nach Ägypten zu wechseln und die Arab Contractors zu trainieren. Was bewegte Sie zu diesem außergewöhnlichen Schritt?
Krüger: Ich hatte auch ein Angebot vom VfL Wolfsburg für den Co-Trainer-Posten bei Willi Reimann, den ich noch aus meiner aktiven Zeit bei Hannover kannte. Zur gleichen Zeit lag mir aber auch ein schriftliches Angebot aus Kairo vor.
SPOX: Und Sie entschieden sich für das Ausland?
Krüger: Nicht direkt. Kurz nach Weihnachten fuhr ich zum VfL, um mir alles anzuhören. Der damalige Fußballchef Wolfgang Heitmann, der auch mein Freund war, empfahl mir, mich während der Vertragsgespräche weder zu bescheiden, noch zu gierig zu verhalten. Ich habe den VW-Bossen aber signalisiert, nur für den teuersten aller möglichen Verträge anfangen zu wollen. Auf der Heimfahrt klingelte mein Handy und Heitmann sagte mir, ich könne direkt anfangen.
SPOX: Warum taten Sie es nicht?
Krüger: Der Flug nach Ägypten war schon gebucht und ich dachte mir: Wann kann ich schon mal umsonst nach Kairo fliegen? Zudem war ich einfach neugierig und wollte erst einmal schauen, was mich erwartet. Das war auch mit dem VfL so abgesprochen. Ich kann aber nicht leugnen, dass ich bei der Ankunft am Flughafen in Kairo durchaus ein mulmiges Gefühl hatte.
SPOX: Wie kam es plötzlich dazu?
Krüger: Es fing schon damit an, dass man mir sagte, man würde mich am Flughafen abholen. Als ich gelandet bin, warteten viele Menschen mit Namensschildern in der Ankunftshalle - für all die Touristen. Ich habe vergeblich nach meinem Namen gesucht, ihn aber nicht gefunden. Ein Schild mit der Aufschrift "Kroga" klang zwar ähnlich, sicher konnte ich mir aber nicht sein. Erst als alle Menschen weg waren und dieser Kerl mit dem "Kroga"-Schild noch da stand, wusste ich Bescheid.
SPOX: Verlief das erste Treffen mit den Klub-Verantwortlichen ähnlich kurios?
Krüger: Definitiv. Ich muss zugeben, ich war über die sportliche Situation des Vereins überhaupt nicht informiert. Über das Internet war es damals noch nicht möglich, die Tabelle oder Statistiken einzusehen.
SPOX: Sie wussten also gar nicht, dass der Verein gegen den Abstieg spielte?
Krüger: Nein und es war auch gar nicht so einfach, das von den Verantwortlichen zu erfahren. Mister Gamal, der Manager des Klubs, erzählte mir auf Nachfrage, man stünde im Mittelfeld der Tabelle. Erst als ich weiter nachhakte, erfuhr ich, dass der Verein auf dem 14. von 16 Plätzen stand, also einem Abstiegsplatz. Das nächste Problem war: Das für den Klub entscheidende Spiel fand gegen den al Ahly Sports Club statt, quasi den FC Bayern Ägyptens. Den letzten Sieg gegen diesen Verein hatte es 15 Jahre zuvor gegeben.
SPOX: Und Sie entschieden sich, den Job trotzdem anzunehmen?
Kürger: Irgendeine Stimme sagte mir: Ja, mach es! Es hätte auch gar nicht zu mir gepasst, wenn ich in dem Moment nicht den Risiko-Weg gewählt hätte. Den bin ich eigentlich immer gegangen.
SPOX: Sie haben das Spiel sensationell gewonnen.
Krüger: Mit 2:0. Das war ein Rieseneinstand für mich, wenngleich ich leider nicht mehr die Möglichkeit hatte, nach Hause zu fliegen, um mich von meiner Familie zu verabschieden. Eine Stunde nach dem Vertragsgespräch begann die Arbeit mit der Mannschaft.
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SPOX: Der Fußball, der dort gespielt wurde, hatte sicher wenig mit dem zu tun, wie man ihn in Deutschland kannte.
Krüger: Das würde ich so gar nicht sagen. Es war nicht so, dass ich meinen Spielern erst einmal beibringen musste, einen Fuß vor den nächsten zu setzen - im Gegenteil. Gerade von den Nordafrikanern wurde damals schon sehr guter Fußball gespielt. Arab Contractors war ein sehr strukturierter Klub, alle Verantwortlichen waren gebildete Leute, die gut Englisch sprachen. Was ihnen noch fehlte, waren vor allem die deutschen Tugenden wie Disziplin und Pünktlichkeit. Auch waren sie es nicht gewohnt, dass knallharte Entscheidungen gefällt wurden. Deshalb holten sie mich.
SPOX: Sahen Sie durch diesen Wechsel aber nicht trotzdem auch die Gefahr eines persönlichen sportlichen Abstiegs?
Krüger: Nein, absolut nicht. Ich habe mich dort sehr schnell sehr wohl gefühlt. Ein Jahr nachdem ich übernommen hatte, gewannen wir sogar schon den Afrikacup der Pokalsieger. Plötzlich war ich ein Nationalheld. Dabei war der Weg ins Finale schon verrückt genug. Was ich dort an Korruption erlebte, hätte ich mir vorher nie erträumen lassen.
SPOX: Erzählen Sie eine Anekdote.
Krüger: In der ersten Runde mussten wir nach Ruanda, nachdem wir das Hinspiel in Kairo nur mit 2:1 gewonnen hatten. Nach 90 Minuten stand es 0:0, sodass der Schiri eine Viertelstunde länger spielen ließ. Als ich aufstehen wollte, um meine Meinung dazu kundzutun, legte mir ein Soldat seine Kalaschnikow auf die Schulter und sagte nur: "Sit down." Abends beim Bankett fragte ich den Schiedsrichter, wie viel er bekommen hatte. Da zeigte er mir stolz seine Rolex.
SPOX: Waren Sie schockiert oder mussten Sie schmunzeln?
Krüger: In dem Moment hat es mich nicht schockiert, da wir eine Runde weiter waren. Alle Korruption hatte nichts genutzt. Trotzdem sind das Momente, die haften bleiben.
SPOX: Die Erfahrung in Ägypten war offenbar nicht extrem genug. Gleich dreimal zog es Sie in den vergangenen sieben Jahren in den Sudan zum SC Al-Merreikh. Fanden Sie dort ähnliche Bedingungen vor?
Krüger: Insgesamt hatte ich auch dort eine wundervolle Zeit mit einer tollen Truppe. Es hat mir Spaß gemacht. Der afrikanische Kontinent ist unglaublich schön, weshalb ich über die aktuelle Entwicklung in einigen Ländern wirklich sehr traurig bin. Risikofrei war der Job bei Al-Merreikh aber auch nicht.
SPOX: Sie kamen einmal sogar nur knapp mit dem Leben davon.
Krüger: Das war 2008 vor unserem letzten Spiel vor der Sommerpause. In einem kleinen Hostel, nicht weit vom Stadion, hatten wir einen Besprechungsraum, in dem wir uns immer vor unseren Spielen trafen. An diesem Nachmittag hörten wir aber plötzlich Schüsse und auf den Straßen stiegen Rauchschwaden auf, die immer näher kamen. Erst nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass eine Gruppe von schwerbewaffneten Rebellen versuchte, in Khartum einzufallen. Die Situation war komplett dramatisch. Nicht weit von uns entfernt schlug eine Panzerfaust ein, durch die auch bei uns die Fensterscheiben zu Bruch gingen. Über das Handy hatten wir Kontakt zu unserem Präsidenten, der uns nur empfahl, uns einzuschließen, zu verstecken und irgendwie zu überleben.
SPOX: Wie entkamen Sie der brenzligen Lage?
Krüger: Wir mussten alle Lichter und den Strom ausstellen, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Somit war auch die Klimaanlage aus. Erst um Mitternacht hat uns ein Militärkonvoi dort rausgeholt. Wir sind an brennenden Autos und enthaupteten Körpern vorbeigefahren. Diese Bilder werde ich nie vergessen.
SPOX: Waren Sie sich der Qual bewusst, die Ihre Familie hier in Deutschland nach diesen Erzählungen durchlebte?
Krüger: Während sich diese Szenen abspielten, wusste niemand etwas davon, da wir nicht telefonieren konnten. Als ich sie später in der Nacht informierte, waren sie natürlich geschockt, jedoch flog ich ja nach dem Spiel, das dennoch am nächsten Tag stattfand, wieder nach Hause und konnte alles in Ruhe erzählen.
SPOX: Trotz dieses Erlebnisses flogen Sie noch zweimal zurück in den Sudan, um als Trainer zu arbeiten.
Krüger: Meine Familie und Freunde hielten mich für bekloppt. Natürlich kann man so etwas nur machen, wenn alle dahinter stehen, sonst ist es vielmehr eine ehefeindliche Geschichte. (lacht) Bis auf diesen Zwischenfall habe ich mich dort aber nie bedroht oder unsicher gefühlt. Der Verein ist mir beim ersten Mal ans Herz gewachsen. Das war der Grund, weshalb ich wieder zurückgegangen bin, als man mich gerufen hat. Jedoch weiß ich auch, dass ich in einigen Situationen einen Schutzengel hatte. Man soll sein Glück auch nicht überstrapazieren, weshalb ich das Kapitel Ausland für mich nun abgeschlossen habe.
SPOX: Wenn Sie sich heute mit Ihren Trainerkollegen, die ausschließlich in Deutschland arbeiteten, vergleichen, fehlt Ihnen da ein wenig die Anerkennung für Ihre Arbeit?
Krüger: Unter den Kollegen habe ich nicht das Gefühl, dass es belächelt wird. Von der breiten Öffentlichkeit wird man schon eher in eine Schublade gesteckt. Ich habe im Ausland sieben Titel gewonnen, was hier nicht wirklich registriert worden ist. Das ging aber nicht nur mir so. Es gibt einige Trainer, die ihre Sache im Ausland durchgezogen haben: Rainer Zobel oder Reiner Hollmann, zum Beispiel. Tatsache ist aber, dass die Arbeit in Afrika viel schwieriger ist als hier in Deutschland.
SPOX: Dass Sie hierzulande immer noch geschätzt werden, zeigt Ihr Engagement bei Hannover 96. Mit dem Profi-Bereich haben Sie aber abgeschlossen?
Krüger: Ich beschäftige mich damit nicht, denn die Arbeit in der U23 macht mir großen Spaß und ist auch das, was ich machen wollte. Ich spekuliere auch gar nicht auf irgendeine Interimsstelle bei den Profis. Im Gegenteil, ich würde mich sehr freuen, wenn Michael Frontzeck noch viele Jahre für die erste Mannschaft arbeiten würde, denn er leistet großartige Arbeit und ist ein richtig guter Typ.
SPOX: Auch Ihr Kreis muss sich aber irgendwann wieder schließen. Gibt es keine Überlegungen, sich noch einmal mit Neururer zusammenzutun?
Krüger: Nein, gibt es nicht. Dadurch, dass ich mit 17 Jahren in Hannover Jugendspieler war, hat sich mein persönlicher Kreis auch eigentlich schon geschlossen. Das Schöne ist aber: Man weiß nie, was die Zukunft bringt. Wenn morgen einer käme und mir drei Millionen netto bietet, müsste ich vielleicht auch noch einmal überlegen.
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Michael Krüger im Steckbrief