SPOX: Für den Spieler hat die hohe Präsenz in sozialen Medien nicht nur Vorteile. Er macht sich zwar nahbarer, aber auch angreifbarer. Ist dadurch die psychische Belastung heutzutage noch höher?
Metzelder: Man muss den Protagonisten im Fußball schon mal erklären, dass die Tatsache, dass sie zehnmal so viel Geld verdienen wie vor zehn Jahren, nicht damit zusammenhängt, dass sie zehnmal so gut spielen, sondern dass die Relevanz dieser Sportart über alle Medien hinweg um das Zehnfache zugenommen hat. Gerade Social Media war und ist eine riesige Triebfeder. Ich kann also nicht auf der einen Seite den positiven Aspekt der massiven persönlichen Einkommenssteigerung als gegeben ansehen, und gleichzeitig massives, direktes und leider oft auch ungefiltertes Feedback beklagen. Insofern sehe ich das relativ leidenschaftslos. Die Frage ist, wie man als Verein und als Spieler damit umgeht und versucht, einfache Fehler zu vermeiden.
SPOX: Die Ausmaße, die direktes Feedback in sozialen Medien annehmen kann, sah man kürzlich bei der Werbeaktion von Oliver Kahn für seine neue Firma, für die er heftigen Gegenwind aus der Fanszene bekam. Was überwiegt in so einem Fall? "Any promotion is good promotion" oder ein angekratztes Ansehen?
Metzelder: Es geht brutal um Reichweiten. Wenn Kevin-Prince Boateng über seine Zeit bei Schalke 04 sagt, er hätte dort größere Fußstapfen hinterlassen als jeder andere Spieler zuvor, ist die Reichweite gerade über die sozialen Netzwerke gigantisch - unabhängig davon, ob das nun tendenziell positiv oder negativ bewertet wird. Und egal ob das die Leute bei Oliver Kahn gut fanden oder nicht, kann er mit der Reichweite der Ankündigung seiner unternehmerischen Tätigkeit zufrieden sein. Kurzfristig war das wahrscheinlich sogar ein PR-Erfolg. Mittel- und langfristig ist es dann eine Frage der Glaubwürdigkeit in der Zielgruppe, die er adressiert. Aber diese Reichweite hätte er mit einer einfachen Pressemitteilung nicht bekommen.
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SPOX: Also der Ansatz Reichweite über Stimmungsbild?
Metzelder: Man sieht ja, dass Fachmedien das erst einmal zerreißen. Für mich stellt sich aber die Frage, ob die Fans, die Oliver Kahn in den sozialen Netzwerken kritisieren, auch die Zielgruppe für seine unternehmerische Tätigkeit sind. Wahrscheinlich eher nicht. Insofern ist das weniger tragisch. Und auf eines kann man sich verlassen: Die digitale Welt versandet noch viel schneller als die analoge. Wenn er in zwei Monaten erste Erfolge vermeldet, interessiert der Start maximal noch das Fachpublikum.
SPOX: Wenn wir beim Thema Reputation bleiben: Auch Borussia Dortmunds Trainer Thomas Tuchel ist ein ambivalenter Fall. Auf der einen Seite wird er für seinen Sachverstand und seine Expertise gefeiert, andererseits sieht es das emotionale Publikum in Dortmund kritisch, dass er sich nicht in der Kurve feiern lässt wie sein Vorgänger Jürgen Klopp und er so unemotional ist. Wie ordnen Sie sein Auftreten ein?
Metzelder: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass im Sport einzig und alleine der Erfolg zählt. Ich habe noch keine Sitzblockade bei einer Meisterfeier gesehen. Erfolg ist der Kern des Leistungssports. Dem sportlichen Erfolg ordnet Thomas Tuchel alles unter, auch seine persönlichen Beliebtheitswerte. Ich halte ihn für einen herausragenden Fußballlehrer, der eine besondere sprachliche Begabung hat, die weniger emotional ist, aber komplizierte Sachverhalte wunderbar erklärt. Dass er nicht verlieren kann, unterscheidet ihn übrigens nicht vom Rest seiner Kollegen.
SPOX: Aber wird mir ein schlechtes Spiel nicht eher verziehen, wenn ich ein Publikumsliebling bin?
Metzelder: Klar ist das so. Aber ich denke, dass die Fans intelligent und empathisch genug sind, mangelnde Glaubwürdigkeit zu erkennen. Publikumslieblinge werden nicht von Agenturen gemacht, sondern von den Fans: weil sie sich auf dem Platz zerreißen, eine große Nähe zum Publikum haben, besonders extrovertiert oder einfach herausragende Sportler sind. Alles Aufgesetzte entlarven die Fans relativ schnell.
SPOX: Wobei es ja schon ein Unterschied ist, ob ich Publikumsliebling bei Dortmund oder bei Bayern sein möchte, oder?
Metzelder: Ja schon, aber auch beim BVB lieben sie Typen wie Marcio Amoroso oder Aubameyang dafür, dass sie 25 Tore schießen. Gleichzeitig feiern wir in einer galaktisch anmutenden Nationalmannschaft eine Jahrhundertgrätsche von Benedikt Höwedes. Die Leute wollen exzellente Leistungen sehen. Sie wollen sehen, was sie selber nicht können.
SPOX: Kürzlich hat Tuchel eine Diskussion angefacht, dass eben diese Leistung gegen seine Mannschaft zu häufig mit unfairen Mitteln verhindert wird. Wie sehen Sie die Thematik?
Metzelder: Ich halte Thomas Tuchel für viel zu intelligent, als dass er sich nicht bewusst war, was im Anschluss medial daraus gemacht wird. Ich gehe auch schwer davon aus, dass er als Trainer von Mainz 05 vor Gastspielen in München oder Dortmund zu seiner Mannschaft gesagt hat: Wir müssen aggressiv sein, eklig spielen, den Spielfluss unterbrechen und ihnen den Spaß am Fußball nehmen. Das ist doch die einzige Chance einer Mannschaft, die qualitativ limitierter ist. Eigentlich ist es ein Kompliment an die Arbeit des BVB, dass man versucht, ihr Spiel zu zerstören. In letzter Konsequenz ist es dann die Aufgabe der Schiedsrichter zu bewerten und zu sanktionieren, wenn es über einen gewissen Punkt hinausgeht.
SPOX: Aber nicht nur die Heftigkeit oder die Häufigkeit wird häufig kritisiert. Es gibt durchaus Stimmen, die gerade taktische Fouls anprangern.
Metzelder: Die Regelauslegung ist innerhalb der aktuell gesteckten Grenzen doch klar. Wenn das nicht reicht, brauchen wir eine andere Form der Bestrafung, wie zum Beispiel Zeitstrafen. Manchmal unterbinden Defensivspieler einen Konter in dem Wissen, dass der eigene Mitspieler nah genug dran ist, um nicht Rot zu kriegen. Nicht bewertet wird aber eine daraus resultierende Torchance im Überzahlspiel, weil weitere Gegenspieler mit dem folgenden Pass frei vor dem Tor wären. Damit sind ein Freistoß aus 30 Metern und eine Gelbe Karte keine angemessene Strafe. Eine fünfminütige Zeitstrafe wäre eine neue Option. Aber solange das nicht der Fall ist, ist es legitim, die Regeln auszureizen. Das nutzen ja auch Dortmund und Bayern zu ihrem Vorteil.
Christoph Metzelder im Steckbrief