Matthias Langkamp hat 2011 mit 27 Jahren seine Karriere als Fußballprofi beenden müssen. Sein Bruder ist Sebastian, Stammspieler bei Hertha BSC. Matthias Langkamp spielte in der Bundesliga für Arminia Bielefeld und den VfL Wolfsburg. Im Interview spricht der ehemalige Abwehrspieler über sein aktuelles Leben, Tränen wegen einer Fanta in Costa Rica, provokante SMS an seinen Bruder und Schlägereien in Griechenland.
SPOX: Herr Langkamp, Sie spielten ab 2004 in der Bundesliga für Arminia Bielefeld und den VfL Wolfsburg, kickten in der Schweiz bei Grasshopper Zürich sowie bei Panionios Athen in Griechenland und beendeten vor fünf Jahren Ihre Karriere beim Karlsruher SC. Wie weit weg fühlt sich das alles an?
Matthias Langkamp: Fünf Jahre schon? Wahnsinn, wie die Zeit verfliegt. Ich habe mittlerweile genügend Abstand zum Fußball gewonnen. Die beiden ersten Jahre waren sehr schwer für mich, weil das Karriereende sehr plötzlich kam und keineswegs geplant war. Ich hatte aber leider am Ende durchgehend körperliche Probleme und konnte nur noch mithilfe von Spritzen auflaufen.
SPOX: Ihr im Juni 2011 auslaufender Vertrag beim KSC wurde nicht verlängert. Was ist anschließend passiert und wie kam der Entschluss, die Karriere zu beenden, genau zustande?
Langkamp: Ich war zunächst drei Monate lang vereinslos. Dann wurde ich zu einem Probetraining bei den Vancouver Whitecaps in der MLS eingeladen. Darauf war ich total heiß und bin sofort hingeflogen. Zwei Wochen lang habe ich dort trainiert und es lief auch ganz gut. Leider bin ich dann durch den Medizincheck gefallen.
SPOX: Was war der Grund?
Langkamp: Ich hatte schon zwei Operationen an der Achillessehne hinter mir, den Verantwortlichen war das Risiko plötzlich zu hoch. Ich habe dann noch einen letzten Versuch bei meinem Heimatverein Preußen Münster unternommen. Doch schon im ersten Training habe ich gemerkt: Es geht nicht mehr. Die Kickschuhe sind noch auf dem Heimweg im Müll gelandet und das war's dann. Seitdem habe ich auch nur ein Mal wieder gegen einen Ball getreten. Das war in der Halle mit ein paar Kumpels und ich habe mir sofort einen Muskelfaserriss zugezogen. (lacht)
SPOX: Was haben Sie unmittelbar nach dem Schlussstrich unter Ihre Laufbahn gemacht?
Langkamp: Ich bin gleich am nächsten Tag nach Costa Rica abgehauen.
SPOX: Urlaub also?
Langkamp: Teilweise. Ich habe mich in einer Sprachschule angemeldet, um Spanisch zu lernen. Letztlich wohnte ich neun Monate lang am Strand in einer 35 Quadratmeter großen Blechhütte bei einer Frau und ihrem zehnjährigen Sohn. Das war eine total geile Zeit.
SPOX: Das würde bestimmt nicht jeder behaupten, der zuvor die zahlreichen Annehmlichkeiten im Leben eines Profifußballers gewohnt war.
Langkamp: Ich habe mir damit aber eine Antwort auf die Frage gegeben: Wer bin ich ohne Fußball überhaupt? Ich bekam eine ganz neue Sicht auf das Leben. Nach einiger Zeit habe ich mich aber auch gefragt: Was bist du denn für ein Idiot?
SPOX: Weshalb?
Langkamp: Die Menschen dort haben kaum Geld, sind aber 1000 Mal glücklicher als ich. Wie kann das sein? Da musste ich mich erst einmal selbst fünf Mal ohrfeigen. Es gab dort schon einige Momente, in denen mir bewusst wurde, wie gut es uns in Deutschland eigentlich geht.
SPOX: Welcher Moment fällt Ihnen da am ehesten ein?
Langkamp: Wir haben uns in der Hütte einen Kühlschrank geteilt. Ich hatte mir eine Fanta gekauft und die Flasche dort hineingestellt. Als der Sohn die gesehen hat, lief er mit Tränen in den Augen zu seiner Mutter und fragte, ob er einen Schluck davon haben könne. Er hatte noch nie in seinem Leben eine Fanta probiert, er kannte das nur von Werbeplakaten. Das ist einer der Momente, die ich nie vergessen werde und die mich auf den Boden der Tatsachen zurückholten.
SPOX: Nach Ihrer Rückkehr haben Sie sich ein Standbein in der Immobilienbranche aufgebaut und vermieten zusammen mit einem Geschäftspartner unter anderem Fincas auf Mallorca. Wie sind Sie dazu gekommen?
Langkamp: Ich wollte bei der Firma eines Kumpels einsteigen und habe deshalb vor drei Jahren einige Anteile erworben. Seitdem bin ich dort dabei und studiere nebenbei Sportmanagement. Zusätzlich haben wir gerade ein neues Start-up unter dem Namen "sockprise" gegründet. Ich war bereits während meiner Karriere häufig auf Mallorca und habe dort viele Freunde und Bekannte. Durch ein Praktikum und einige Fortbildungen habe ich mich in diese Branche eingearbeitet. Jetzt kann ich immer mal ohne schlechtes Gewissen dort hinfliegen und sagen: 'Sorry, ich muss arbeiten.' (lacht) spox
SPOX: Wie eng ist noch der Kontakt zu ehemaligen Mitspielern aus dem Fußball?
Langkamp: Den gibt es eigentlich kaum noch. Zu einem Kollegen habe ich noch regelmäßig Kontakt und er zählt auch zu meinen besten Freunden. Sonst ist nicht viel übrig geblieben. Man kennt sich zwar, aber das beschränkt sich meist auf ein Hallo und Tschüss. Mir ist auch klar geworden, dass es da häufig komplett an der Menschlichkeit gefehlt hat.
SPOX: Den Gedanken, nach der Karriere im Fußball bleiben zu wollen, hatten Sie also nie?
Langkamp: Nein. Das wäre wohl der einfachste Weg gewesen, aber ich konnte und kann mir das nach wie vor nicht vorstellen. Die Freiheit und das Leben, das ich derzeit habe, möchte ich auf keinen Fall eintauschen. Ich bin glücklich über den Abstand, den ich gewonnen habe, möchte jetzt aber auch nichts für alle Zeiten ausschließen.
SPOX: Ihr jüngerer Bruder Sebastian spielt seit 2013 bei Hertha BSC. Wie nah stehen Sie sich?
Langkamp: Wir haben ein super Verhältnis, ich besuche ihn regelmäßig in Berlin. Ich freue mich sehr, wie gut es derzeit für ihn läuft. An meinem Beispiel konnte er sehen, dass es auch ganz schnell in eine andere Richtung gehen kann. Mein Karriereende hat ihn, aber auch unsere gesamte Familie, mit Sicherheit beeinflusst. Ich war zu der Zeit auch ziemlich ungenießbar.
SPOX: Inwiefern?
Langkamp: Es war einfach eine totale Stresssituation. Ich wusste nicht, wie es weitergehen würde und dazu kamen noch die körperlichen Probleme. Ich war auf alles und jeden sauer und nicht gerade der beste Gesprächspartner.
SPOX: Ihr Bruder steht als Bundesligaspieler öffentlich stark unter Beobachtung. Ist er vielleicht auch mal ein bisschen neidisch auf die Freiheit, die Sie jetzt haben?
Langkamp: Das glaube ich überhaupt nicht. Sein Beruf ist ja nicht schlecht zu reden. Momentan erlebt er wohl die schönste Zeit in seinem Leben. Ich habe es ja auch bis zum Ende geliebt. Wenn man dann noch Erfolg mit seiner Mannschaft hat, geht es kaum besser.
SPOX: Sebastian ist niemand, der für große Schlagzeilen sorgt. Nach dem Spiel bei Borussia Dortmund am 7. Spieltag sorgte seine doch sehr theatralische Einlage dafür, dass Emre Mor vom BVB die Rote Karte sah. Wie sah das für Sie aus?
Langkamp: Ich glaube, er hat sich in dem Moment selbst am meisten erschrocken. Mein Bruder ist bekanntlich ein sehr fairer Spieler, deshalb hat er sich nach dem Spiel auch umgehend öffentlich entschuldigt. Die zwei, drei provokanten SMS, die ich ihm anschließend geschickt habe, konnte ich mir allerdings auch nicht verkneifen. (lacht)
SPOX: Wer war denn früher der Talentiertere der beiden Langkamps?
Langkamp: Er war ja in der A-Jugend schon Kapitän beim FC Bayern, da war ich noch im kleinen Bielefeld. Man hat ihm den Sprung schon eher zugetraut als mir. Im Nachhinein war das auch nicht verkehrt, denn mit der Karriere, die er mittlerweile hingelegt hat, kann ich ja nicht einmal im Ansatz mithalten.
SPOX: Immerhin sind Sie 2005 U21-Nationalspieler geworden und bald danach vom VfL Wolfsburg verpflichtet worden.
Langkamp: Ich war mit 21 noch ein ganz junger Kerl und wollte eigentlich in Bielefeld bleiben. Der Verein wollte das aber gar nicht. Mittlerweile weiß ich auch warum. Da hatten viele Leute und Berater ihre Finger im Spiel und es gab Abmachungen untereinander. Heute dürfte das längst gang und gäbe sein.
SPOX: Bei den Wölfen kamen Sie nur auf einen Einsatz und wurden nach einer Spielzeit in die Schweiz verliehen. Haben Sie den Wechsel bereut?
Langkamp: Das vielleicht nicht, er kam aber definitiv zu früh für mich. Es war zu diesem Zeitpunkt die falsche Entscheidung. Ich war entweder nicht richtig fit oder habe selbst geschludert. In dieser Zeit kam es auch zur Trennung von der ersten großen Liebe und so weiter. Ich bin dann nach Zürich gegangen und dort lief es bis zur Winterpause auch super. Ich war Stammspieler und wir standen an der Tabellenspitze, doch dann stoppte mich ein Bandscheibenvorfall.
SPOX: Das war Ihre erste Station im Ausland, Stuttgart-Legende Krassimir Balakov war Trainer der Grashoppers. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?
Langkamp: Balakov war sehr speziell. Unter ihm hatte ich nach dem Auslaufen zum ersten Mal in meiner Karriere einen höheren Puls als bei den Läufen in der Saisonvorbereitung. Das ging teilweise in irrem Tempo eine Stunde lang und er lief immer vorne weg. Irgendwann bin ich zu ihm gegangen und meinte: 'Trainer, so kann ich mich nicht erholen. Wie soll ich denn in zwei Tagen wieder trainieren können?' Das fand er dann nicht so gut. (lacht)
SPOX: Anschließend kehrten Sie für ein Jahr zur Arminia zurück, 2008 folgte dann der Wechsel nach Griechenland. Wie ging es dort zu?
Langkamp: Das war mit Sicherheit meine interessanteste Station. Ewald Lienen war Trainer und hat mich geholt. Das erste halbe Jahr lief ganz gut. Ich habe regelmäßig gespielt, doch dann wurde Lienen entlassen.
SPOX: Angeblich unter mehr als kuriosen Umständen.
Langkamp: Absolut. Wir hatten in Lampros Choutos einen damaligen griechischen Superstar im Team. Zumindest dachte er, er wäre der Superstar. Er hatte bei Inter Mailand gespielt und wenn er mal Lust hatte, kam er zwei Mal pro Woche zum Training und fuhr dann mit dem Ferrari vor. Die anderen Spieler kamen alle mit einem vom Verein gesponserten Fiat. Wenn er trainiert hat, drehte er mit seinem eigenen Coach ein paar Runden auf dem Nebenplatz und gesellte sich dann zum Abschlussspiel zu uns.
SPOX: Wie ist Lienen damit umgegangen?
Langkamp: Es war halt der Kapitän mit der Nummer zehn und noch dazu der Schwiegersohn des Präsidenten. Deshalb spielte er natürlich auch immer. Es kam dann eine Phase, in der es nicht gut lief. Wir haben ja quasi auch immer nur zu zehnt gespielt, denn er bewegte sich kein Stück und machte, was er wollte. Bei einem Abschlusstraining gab ihm Lienen dann mal kein Leibchen für die A-Mannschaft. Das hat ihm weniger gefallen und plötzlich hat er mitten auf dem Platz vor allen Leuten den Co-Trainer zusammengeschlagen. Der musste dann wirklich vom Platz getragen werden.
SPOX: Und dann?
Langkamp: Wir spielten gegen PAOK Saloniki und unser Kapitän stand logischerweise nicht im Kader. Wir haben gut gespielt, aber knapp verloren. Daraufhin wurde das gesamte Trainerteam entlassen. Beim nächsten Training stand der Typ wieder als Mannschaftskapitän auf dem Platz. Es kam ein griechischer Trainer, unter dem ich noch ein Spiel gemacht habe und dann war ich außen vor. Ich habe auch drei, vier Monate lang kein Gehalt mehr bekommen. Nach einem längeren Rechtsstreit wurde mein Dreijahresvertrag schließlich aufgelöst.
SPOX: Brutale Geschichte. Haben Sie noch eine auf Lager?
Langkamp: Ich erinnere mich an ein Heimspiel, zufälligerweise auch gegen PAOK, das wir durch einen völlig berechtigten Elfmeter in der Nachspielzeit mit 1:2 verloren. Nach dem Spiel wurde der Schiedsrichter von fünf Gestalten, die niemand kannte, mitten in den Katakomben vermöbelt. Ein Krankenwagen hat ihn abtransportiert. Ich war fassungslos, denn anschließend wurde der Vorfall unter den Tisch gekehrt und keiner wollte etwas davon gewusst haben. Manchmal saßen wir Spieler auch stundenlang im Stadion fest, weil an den Ausgängen Fans mit Knüppeln gewartet haben. Das war schon der reine Wahnsinn.
SPOX: Das dürfte eine der Erfahrungen sein, weshalb Sie über den Abstand zum Profigeschäft ganz froh sind, oder?
Langkamp: Auf jeden Fall. Vorteilhaft ist es auch, dass ich mich nach einem Spiel nicht mehr vor ein Mikrofon stellen und jedes Mal aufs Neue denselben Blödsinn erzählen muss. Ich kann jetzt meine Meinung sagen, ohne dass mir gleich jemand ans Bein pinkelt.
SPOX: Wie blicken Sie heutzutage beispielsweise auf Interviews mit Spielern, die unmittelbar nach Schlusspfiff geführt werden?
Langkamp: Die schaue ich mir schon lange nicht mehr an. Von Saison zu Saison, vom ersten bis zum letzten Spieltag werden diese Interviews immer auf die gleiche Weise geführt und inhaltlich kommt auch immer dasselbe nichtssagende Gefasel heraus. Die Zuschauer freuen sich dann zwar, Spieler XY reden zu hören, aber sie kapieren offenbar gar nicht, was da eigentlich genau abläuft. Doch was willst du als Spieler auch machen? Du hockst in deinem goldenen Käfig und musst den Regeln folgen - so schade das auch ist.
SPOX: Hatten Sie als aktiver Spieler Probleme im Umgang mit der Presse?
Langkamp: Nicht immer, aber es kam vor. Als in Wolfsburg das Spiel gegen meinen Ex-Verein Bielefeld anstand, war ich für die Startelf vorgesehen, obwohl ich zuvor oft draußen saß. Drei Tage vor dem Spiel hat mich ein Journalist zu den Gründen für meine Reservistenrolle befragt. Ich habe dann eine Antwort gegeben, die man auch zu meinen Ungunsten interpretieren konnte - falls man das wollte. Tags darauf stand das Zitat in der Zeitung und dann hat mich Trainer Holger Fach aus dem Kader gestrichen.
SPOX: Mit oder ohne konkrete Begründung?
Langkamp: Ohne. Meine wortwörtliche Aussage war: 'So genau weiß ich auch nicht, weshalb ich derzeit nicht spiele.' Der Journalist hat es mir dann eben so ausgelegt, als würde ich damit den Trainer attackieren. Das war natürlich auch irgendwo jugendliche Dummheit. Ich war aber immer jemand, der öfter mal seine Meinung gesagt hat, auch wenn ich im Nachhinein besser meine Klappe gehalten hätte.
SPOX: Haben Sie den Journalisten noch einmal zur Rede gestellt?
Langkamp: Ja. Einige Tage später habe ich ihn wieder getroffen und gesagt, dass man das auch hätte anders schreiben können. Er meinte nur: 'Tja, da hast du wieder etwas gelernt.'