Ganz wie es beliebt?

Ben Barthmann
18. Januar 201710:49
Drei Führungsformen: Thomas Tuchel, Diego Simeone und Carlo Ancelottigetty
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Die winterlichen Trainingslager sind gerne ein Anlass zum Teambuilding. Doch wie wird die Beziehung zwischen Trainer und Mannschaft eigentlich gestaltet? Aktuelle Beispiele zeigen enorme Unterschiede.

Eine bis zwei Wochen verbringen die Klubs der Bundesliga im Winter meist in südlichen Ländern. Ein Trainingslager bietet sehr gute Voraussetzungen für Arbeit in beinahe jedem Bereich. Ob fokussiert oder nicht, letztlich wird auch immer am Teamgeist und am Zusammenhalt der Mannschaft gefeilt.

Die Trainingslager bieten aber auch einen guten Blick darauf, wie die Trainer mit ihren Spielern umgehen. Niko Kovac sah man mit einem seiner Spieler ringen, Thomas Tuchel gab ungewohnte Einblicke in sein Privatleben und Carlo Ancelotti schwitzte etwas distanziert in seine rote Jacke.

Führungsstile werden in Deutschland gerne debattiert. Da ist der überkorrekte Pep Guardiola und der viel zu nachlässige Carlo Ancelotti. Der Kumpeltyp Torsten Frings oder der fanatische Diego Simeone. Und nicht nur bei Trainern, auch bei Spielern zeigen sich deutliche Unterschiede, man denke nur an die Debatte um Michael Ballack oder Philipp Lahm zurück.

Vier Faktoren für das Endergebnis

Drei Führungsformen: Thomas Tuchel, Diego Simeone und Carlo AncelottigettyNun hat Ancelotti aber schon genauso die Champions League gewonnen wie Guardiola. Der emotionale Antonio Conte führt die Premier League an, der eher ruhige Arsene Wenger gewann diese schon Jahre zuvor. Ein Erfolgsrezept scheint es nicht zu geben. Wie entwickelt sich also ein Führungsstil?

Hier kommt man an der Betrachtung verschiedener Faktoren nicht vorbei. Der Trainer ist ein Faktor, genauso wie die Mannschaft. Selbst dann kann noch kein Patent entwickelt werden. Von Situation zu Situation wird der Trainers anders gefordert sein, besonders in einem wechselhaften Geschäft wie dem Fußball.

Letztlich spielt auch die Umwelt eine große Rolle. Was sind die Ziele des Vereins, was gibt dieser seinem Trainer vor? Ein mit stetigem Erfolg gesegneter Klub wird andere Führungsformen erfordern als ein Klub, der tagein tagaus mit negativen Meldungen durch die Medien geistert.

Der Faktor Trainer

Beginnen wir mit dem Faktor Trainer. Dieser zeichnet sich in immer durch seine individuellen Eigenschaften aus. Schon hier wird oft auf den tatsächlichen Führungsstil geschlossen, tatsächlich ist es bis dahin aber noch ein weiter Weg. Die Persönlichkeit des Trainers muss noch lange nicht über sein Auftreten in Training und Wettbewerb entscheiden.

Jürgen Klopp etwa ist ein Mann mit großem Humor und unglaublich positiver Energie. Dennoch fährt er aus der Haut, wenn die Einstellung seiner Spieler nicht stimmt oder ihm der Unparteiische sauer aufstößt. Würde man das von dem Mann erwarten, der in der Pressekonferenz ein breites Lächeln aufsetzt?

Nicht unbedingt. Authentizität ist das Stichwort, das im Zusammenhang mit dem Trainer des FC Liverpool gerne fällt. Die Spieler nehmen ihrem Trainer ein gestelltes Bild nicht ab. Neben den Eigenschaften ist jedoch auch das Verhalten entscheidend. Der Trainer geht voran und gibt mit seiner Art und Weise das Vorbild für seine Spieler.

Eigenschaften und Verhalten

Diego Simeone oder Antonio Conte könnten Atletico Madrid nicht derart emotionalisieren, ohne in sich selbst ein derartiges Feuer brennen zu haben. Doch dieses Feuer muss auch nach Außen dringen, beide müssen es in jeder Einheit, in jedem Gespräch, in jedem Spiel aufs Neue gewinnbringend vorleben.

Dieses Verhalten der Trainer kann sich über die Jahre hinweg verändern. Gemachte Erfahrungen, emotionale Bindungen oder spezielle Drucksituationen wirken auf den Coach ein und bestimmen somit sein Verhalten. Dieses wiederum wirkt auf die Mannschaft.

Man denke zurück an Bruno Labbadia und das Relegationsduell mit dem Hamburger SV gegen den Karlsruher SC. Der Trainer brannte 180 Minuten und fiel im Anschluss völlig aus seiner Führungsrolle. Angespanntheit und Leistungsdruck hatten aus ihm einen neuen Menschen gemacht.

Der Faktor Mannschaft

Der Trainer wirkt enorm auf die Mannschaft ein, das gilt jedoch auch für die andere Richtung. Autoritär oder Kooperativ, so die beiden bekanntesten Führungstheorien, hängt auch davon ab, wie das Team strukturiert ist. Muss Alex Nouri in Bremen oder Julian Nagelsmann in Hoffenheim autoritär auftreten und seinen Spielern Entscheidungen nur mitteilen?

Nouri verfügt über Routiniers wie Clemens Fritz oder Claudio Pizarro, Julian Nagelsmann befindet sich in seinem ersten Jahr als Herrentrainer. Beide werden den kooperativen Stil wählen, ihre Spieler miteinbeziehen und damit von der enormen Erfahrung und den Fähigkeiten ihres Kaders profitieren.

Auf der anderen Seiten kann eine fehlende oder unpassende Einstellung in der Mannschaft einen autoritären Trainer erfordern. Markus Gisdol trennte sich in Hamburg jüngst vom erfahrenen Emir Spahic, um einen Unruheherd auszuschließen. Dieses Prinzip lässt sich bis auf einzelne Spieler herunterbrechen.

Anpassung selbst bei Magath

Ein junger Spieler braucht vielleicht eher eine Vertrauensperson als ein bockiger Profi. Guardiola zeigte hier in den Fällen Pierre-Emile Höjbjerg und Yaya Toure zwei völlig verschiedene Seite seiner Person. Den einen nahm er in schwierigen Zeiten in den Arm, den anderen verbannte er nach einem Streit aus der Mannschaft.

Müssen wir alle gleich behandeln oder jeden unterschiedlich, um letztlich alle gleich zu behandeln? Die klare Unterteilung in autoritär und kooperativ ist also kaum möglich, sondern enorm vom Angeführten abhängig. Die Debatte um das Aussterben des harten Hunds als Trainer ist somit auch irgendwo fehl am Platz - selbst Felix Magath konnte sich auf junge Spieler einlassen.

Gleichwohl gilt das für die Debatte rund um Ancelotti. Der Italiener weiß sicherlich, was er von seinem Kader erwarten kann und lässt dementsprechend hier und da die Zügel etwas lockerer. Wird er ihnen alles durchgehen lassen? Mit Sicherheit nicht, auch beim neuen Trainer der Bayern zählt das Leistungsprinzip.

Der Faktor Situation

All das deutet auch schon in Richtung des Faktors Situation. Wie der Trainer seine Mannschaft führt, hängt letztlich auch daran, was gerade ansteht. "Da wird es ernst. Das ist harte Arbeit", sagt Gisdol über den Trainingsbetrieb. Zwischendrin darf beim Hamburger Trainer gerne gescherzt werden, um die Stimmung aufzulockern.

Als er sein Engagement in Hamburg begann, zog der Trainer sofort die Zügel an. Der HSV stand enorm schlecht da, durch ein hartes Durchgreifen sicherte Gisdol eine Umgebung, in der Leistung belohnt und Nicht-Leistung bestraft wurde. Das schafft gleichzeitig Distanz zwischen Trainer und Mannschaft, der eine neutrale Bewertung gewiss ist.

Krisenzeiten oder Hochzeiten erfordern eine Anpassung des Führungsstils. Das heißt nicht, dass in guten Phasen locker gelassen werden darf - um an dieser Stelle einen Leserbrief von Matthias Sammer zu verhindern - sondern dass sich die Führung erneut anpasst.

Anpassung von Kovac

"Ich erwarte absolute Hingabe, Leidenschaft und Disziplin. Der Druck auf die Spieler muss erhöht werden. Jeder spielt auch um seine Existenz", sagte Niko Kovac zu Amtsantritt bei einer vom Abstieg bedrohten Eintracht. Monate später steht er in der Spitzengruppe: "Alle träumen - ich nicht. Alle müssen vernünftig bleiben und nicht anfangen zu fliegen."

Galt es am Anfang noch, zu Höchstleistungen anzutreiben, geht es im Erfolg darum, diese zu erhalten und auszubauen. Lothar Linz, Mentalcoach der Hockeynationalmannschaft, erklärt in seinem Buch Erfolgreiches Teamcoaching ein Mittel, um Mannschaften vor vermeintlich einfachen Spielen auf den Boden zu holen.

Der eigenen Mannschaft sagen, dass sie ohnehin gewinnen wird und keine besondere Vorbereitung benötigt. Protestiert das Team, geht die Einstellung in die richtige Richtung. Nimmt die Mannschaft das einfach hin, ist der Trainer gefragt, diese Stimmung zu hinterfragen.

Der Faktor Umwelt

Bliebe ein allerletzter Faktor, der allgemein im Sport entscheidend ist. Umwelt sind in diesem Fall Fans, Vereinsführung, die Ansetzung oder der Wettbewerb. Simeone könnte bei der TSG 1899 Hoffenheim keine Arbeit machen, wie er sie bei Atletico Madrid macht.

Das liegt zum einen am Schnitt von 25.000 Zuschauern pro Heimspiel, zum anderen aber auch schlicht daran, dass Simeone eine Vereinslegende ist. Ähnlich wie Zinedine Zidane bringt ihm das von vorherein enormen Respekt und Anerkennung sowie eine größere Freiheit in seiner Gestaltung ein.

Simeone hat die Rojiblancos komplett umgekrempelt, das geht weit über die erste Mannschaft hinaus. Ähnlich ist es bei Torsten Frings in Darmstadt. Aus Tradtion anders, sagt man dort gerne. Beim FC Bayern könnte Frings im Abschlussspiel wohl nur schwerlich selbst mitkicken. SPOXspox

Das Tussi-Leibchen

Für die Lilien mag das aber genau richtig sein. Es ist eine Frage der Umgebung, in der sich der Trainer bewegt. Dirk Schuster überzeugte mit seinem rosa Tussi-Leibchen, das einem Spieler nach Leistung zugeteilt wurde. Andernorts hätte man wohl Sexismus gerufen (7. Kommentar).

Oftmals gibt der Verein einen Korridor vor, in dem sich Spieler und Trainer bewegen dürfen. Diesen gestaltet letztlich jedoch auch der Trainer selbst mit. Luis Enrique schuf beim FC Barcelona einen enorm strengen Strafenkatalog und scheut sich nicht, Spieler mehr oder weniger komplett aus dem Kader auszuschließen. Auch das spielt mit hinein in den Faktor Umwelt.

Hinzu kommen Rituale, Symbole und Umgangsformen, die sich in der Gegend oder im Klub etabliert haben. Nicht nur Profivereine bringen inzwischen ihre eigene Identität auf den Markt, diese muss auch der Trainer aufnehmen, um im Gesamtbild zu glänzen.

Führung ist...

Aus vier Faktoren ergibt sich somit eine schier unüberblickbare Spannweite an verschiedenen Führungsstilen. Völlig einordnen kann man keinen der Trainer in eine Schublade und sollte man auch gar nicht erst versuchen. Letztlich ist nur wichtig zu wissen, worauf Führung aufbaut.

Führung ist Vertrauen. Führung ist Kompetenz. Führung ist vor allem Konstanz. Eine Mannschaft muss zu ihrem Trainer aufsehen, sich bei ihm gut fühlen und von seinem Wissen überzeugt werden, nicht von seinen Belohnungen und Strafen. Ist der Trainer sprunghaft in seiner Darstellung, ist alles umsonst.

Formen der Führung finden sich beinahe überall. Deshalb zum Abschluss eine Denkaufgabe aus dem aktuellen Geschehen: Warum hat Thomas Tuchel die Kapitänsfrage im Trainingslager Borussia Dortmunds neu eröffnet?