"Juran musste zwei Liter Wodka saufen"

Peter Közle (M.) spielte mit dem VfL Bochum im UEFA Cup
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SPOX: In der Saison nach dem Aufstieg haben Sie wie schon in der Vorsaison direkt im ersten Spiel gegen Ihren Ex-Klub, den MSV Duisburg, gespielt und den 1:0-Siegtreffer erzielt. Wie emotional war dieser Auftakt?

Közle: Auch wenn mein Wechsel schon über ein Jahr her war, war es ein sehr schwieriges Spiel für mich. Die MSV-Fans haben mich immer noch gnadenlos ausgepfiffen. Aber die Bochumer haben das gemerkt und mich total unterstützt. Das hat mir viel gegeben.

SPOX: Sie haben in den ersten Spielen unter anderem gegen Schalke und Bayern gespielt, sind aber trotzdem wochenlang ungeschlagen geblieben.

Közle: Das war das Ergebnis der Euphorie und des Selbstbewusstseins, das wir aus der Aufstiegssaison mitgenommen hatten. Ein guter Start ist für einen Aufsteiger enorm wichtig, damit du nicht von Anfang an hinter der Musik herrennst. Unser Ziel war, nicht abzusteigen und irgendwann haben wir gemerkt, dass mehr drin ist.

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SPOX: Ab wann redet man in der Kabine nicht mehr über den Klassenerhalt, sondern über Europa?

Közle: In der Rückrunde kommst du an den Punkt, an dem du denkst: "Wenn jetzt alles normal läuft und du es nicht verkackst, könntest du in den UEFA Cup kommen." Aber das wurde nicht laut kommuniziert. Es war ein absolutes No-Go, in der Presse so etwas zu sagen.

SPOX: Klar, in der Presse, aber wie sah es hinter den Kulissen aus?

Közle: Es war nicht so, dass sich Toppmöller ab dem 20. Spieltag vor die Mannschaft gestellt und Parolen rausgehauen hat. Wir haben es eher laufen lassen. Ich habe damals einen Rüffel bekommen, weil ich der Erste war, der gesagt hat, dass wir in der Öffentlichkeit das Ziel UEFA Cup kommunizieren sollten. Ich hatte nämlich eine ähnliche Situation in Duisburg erlebt.

SPOX: Wie lief es dort?

Közle: Wir haben eine überragende Saison gespielt und waren nach dem 22. Spieltag Erster. Dann sind wir zu den Bayern gefahren und haben richtig Haue bekommen. Wir haben uns zu früh zufrieden gegeben. Es war eine super Stimmung, aber wir haben vergessen weiterzumachen. Jeder hat im Training einen Schritt weniger gemacht. Auf einmal waren wir Neunter. Als wir hinterher darüber nachgedacht haben, haben wir uns gewaltig in den Arsch gebissen.

SPOX: Das wollten Sie in Bochum nicht noch einmal erleben.

Közle: Irgendwann war mir Wurscht, was die anderen sagen, ich wollte in den UEFA Cup. Das ist nicht so gerne gesehen worden. Aber im Nachhinein war es gut, dass es Leute gab, die gesagt haben, wir müssen jetzt konsequent ein neues Ziel verfolgen.

SPOX: Welche Rolle spielte Klaus Toppmöller für den Erfolg?

Közle: Er war ein überragender Trainer. Er wusste, wie er uns zu führen hatte. Für mich persönlich hatte er eine riesige Bedeutung, denn der VfL Bochum war meine letzte Chance. Ich habe mich nach meiner Zeit bei Duisburg in München fit gehalten und hatte keine Angebote zu Hause liegen. Aber Toppmöller hat mir vertraut und auf mich gesetzt. Er stand vor allem in den ersten beiden Jahren zu 100 Prozent hinter mir, auch wenn mal ein paar Spiele nicht so gut waren.

SPOX: Wie war er als Typ?

Közle: Er war sehr umgänglich und hat auch mal ein privates Wort gesprochen. Man konnte mit ihm viel Spaß machen, da war er sehr locker. Aber wenn es nicht so lief, hat er verbal draufgehauen. Ich habe von ihm die eine oder andere Ansage gekriegt, die nicht von schlechten Eltern war.

SPOX: War er auch manchmal Opfer der Streiche Ihres verrückten Teams?

Közle: Nein, das nicht. Bei Mannschaftsabenden hat er gerne ein paar Bierchen mit uns getrunken, dann hatten wir eine Gaudi mit ihm. Aber morgens um 7 wollte er wieder Leistung sehen. Das war der Deal. Solange es gut lief, hat er uns an der langen Leine gehalten. Das hat die Mannschaft gebraucht. Kein Blödsinn, keine Streiche, kein Spaß? Das wäre der Untergang gewesen.

SPOX: Zur verrückten Mannschaft passten die Regenbogen-Trikots, die Sie ab dem Sommer 1997 trugen. Wie fanden Sie diese?

Közle: Zum Kotzen.

SPOX: Echt?

Közle: Ja, ganz übel. Was wir letztlich getragen haben, waren ja nicht mal die Original-Entwürfe. Ursprünglich waren selbst die Hosen und die Stutzen in diesen Regenbogen-Farben. Dagegen haben wir uns aber gewehrt. Man stelle sich vor, wir wären mit den fünf beschissensten Farben auf Gottes Erden nicht nur auf dem Trikot, sondern auch auf den Hosen und den Stutzen aufgelaufen. Furchtbar.

SPOX: Peter Peschel hat im Interview gesagt, er finde die Trikots im Nachhinein ganz kultig.

Közle: Naja, kultig sind sie, weil sie andere zum Kult machen. Für mich sind sie überhaupt nicht kultig. Ich habe unten in meinem Kraftraum alle Trikots hängen, in denen ich gespielt habe. Und wenn ich das anschaue, muss ich schon zehn Kilo weniger Gewicht nehmen. Da wird mir ganz schlecht.

SPOX: In besagten Trikots hat der VfL seine erste Europapokalsaison gespielt. Welche Erinnerungen haben Sie an die Atmosphäre?

Közle: So etwas habe ich nie wieder erlebt, nicht einmal, als Bochum später noch einmal in den UEFA Cup gekommen ist. Beim ersten Mal ist es immer am krassesten. Du hattest das Gefühl, in der Stadt brennt's. Das hätten wir gerne noch ein paar Spiele weitermachen können. (lacht)

SPOX: Sind Sie nach spektakulären Spielen wie dem 5:3 gegen Trabzon noch ins Bermudadreieck gefahren?

Közle: Das Problem war, dass die Spiele unter der Woche waren. Am nächsten Tag war Training und am Wochenende Bundesliga. Wir saßen in der Kabine und alle waren heiß, aber Toppi hat gesagt: "Jungs, wenn ich von einem von Euch erfahre, dass er morgens um 5 noch besoffen in der Kneipe sitzt, mache ich Euch die Hölle heiß." Also waren wir so professionell, dass wir im VIP-Raum noch zwei, drei Bierchen getrunken haben und dann nach Hause gegangen sind.

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SPOX: Also keine wilde Partynacht?

Közle: Der Einzige, der es gemacht hat, war Sergej Juran. Aber der ist Russe. Der hatte so viel Flüssigkeit verloren, der musste erst mal zwei Liter Wodka saufen. (lacht) Den haben sie um 5 Uhr morgens mit der Polizei erwischt. Aber er durfte das. Er hat eine Ansage und eine Geldstrafe bekommen, aber das war Sergej sowieso egal. (lacht) Wahrscheinlich wäre es für uns sowieso nicht machbar gewesen, feiern zu gehen.

SPOX: Wieso?

Közle: Als wir den Einzug in den UEFA Cup gegen St. Pauli klar gemacht hatten, wollten wir in die Stadt fahren. Also haben sich alle in den Bus gesetzt.

SPOX: Was ist dann passiert?

Közle: Wir sind ins Bermudadreieck gefahren und auf einmal standen Tausende Fans um den Bus herum. Ich bin als erster ausgestiegen - und ich war ja einiges gewohnt. Aber ich bin dann umgedreht und habe gesagt: "Jungs, das wird nichts, wir müssen woanders hin." Also mussten wir wieder rausfahren. Das ist ein Erlebnis, das dir keiner mehr nehmen kann. Das ist schon anders abgelaufen als in Zürich, als wir Schweizer Meister geworden sind. Da ist der Ruhrpottmensch emotional unvergleichlich. In dieser Zeit war jeder Fan und jeder Spieler stolz, Teil des VfL Bochum zu sein. Das ist ja mittlerweile leider Gottes nicht mehr der Fall.

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