Im Alter von 19 Jahren machten Sie unter Ralf Rangnick Ihr erstes Bundesligaspiel. Er setzte Sie als Rechtsverteidiger ein, wechselte Sie zur Halbzeit aus und vom Kicker gab es die Note 5. Ein gelungenes Debüt sieht anders aus.
Mertesacker: Immerhin haben wir das Spiel in Köln gewonnen. (lacht) Ich hatte zuvor noch nie als rechter Verteidiger gespielt und war nach 45 Minuten völlig platt. Das war körperlich und mental alles zu viel für mich, mir war regelrecht schwarz vor Augen. Steven Cherundolo, für den ich in die Startelf gerückt war, wurde für mich eingewechselt. Anschließend hat es ein halbes Jahr gedauert, bis ich wieder eine Chance erhielt.
War es letztlich trotzdem ein positives Gefühl, den ersten Bundesliga-Einsatz auf der Visitenkarte zu haben?
Mertesacker: Ja, das war es tatsächlich. Es hat mir enorm geholfen, mich selbst einmal auf der Bundesliga-Bühne zu sehen und zu begreifen, wie hart ich dafür arbeiten und dass ich mich in allen Bereichen deutlich verbessern muss.
Wie bewerten Sie die Zeit unter Rangnick rückblickend?
Mertesacker: Rangnick und sein damaliger Co-Trainer Mirko Slomka waren gute Typen, die mir sehr geholfen haben. Rangnick ging sogar mit mir in die Schule und half bei der Organisation, wie wir beides unter einen Hut bekommen können. Es war eine unglaublich tolle Erfahrung, dass so erfahrene Menschen sich auf und außerhalb des Platzes so viel Zeit für mich nehmen. Da kann ich nur dankbar sein.
Rangnick musste Hannover jedenfalls im Laufe der Saison verlassen, Ewald Lienen übernahm. Und er schenkte Ihnen sofort das Vertrauen.
Mertesacker: Mit Ewald hat es total gepasst. Er hat uns zu einer geschlossenen, leidenschaftlichen Einheit geformt. Ich durfte in der Innenverteidigung spielen, wir haben an den letzten zehn Spieltagen das Ruder herumgerissen und den Abstieg verhindert. Es war für mich eine verrückte Zeit, in der ich zwischen Abi-Stress und Matheprüfung am Samstag in der Bundesliga Leistung bringen musste.
Wie haben Sie Lienen als Typen wahrgenommen?
Mertesacker: Als Lienen kam, hatte ich das Bild vom "Zettel-Ewald" in meinem Kopf. Dieses Bild hat sich ganz schnell verändert. Bei aller Verbissenheit, bei allem Ehrgeiz und den deutlichen Ansprachen, war er unglaublich humorvoll. Ich erinnere mich, wie er einen Tag vor einem Spiel in Sitzungen immer noch einmal die Woche zusammengefasst und alle aufs Korn genommen hat. Medienvertreter, Jiri Stajner wegen seiner Vorliebe für schnelle Autos, seinen Co-Trainer Michael Frontzeck, der nur noch mit dem Kopf geschüttelt hat, oder auch sich selbst - jeder bekam einen Spruch ab. Ewald ist ein toller Mensch mit einer tollen Balance zwischen Ernst und Spaß, der niemals vergessen hat, dass es auch außerhalb des Fußballs ein Leben gibt. Verhaltensweisen wie Lachen und Freundlichkeit waren ihm sehr, sehr wichtig. Auch deshalb bin ich bis heute in Kontakt mit ihm. Es macht einfach Spaß, mit diesem Menschen Zeit zu verbringen und sich von ihm Geschichten von früher anzuhören.
2006 wechselten Sie von Hannover zu Werder Bremen. Gab es eigentlich auch andere Angebote?
Mertesacker: Ich wusste von einem losen Interesse des FC Bayern und des Hamburger SV, habe mich aber frühzeitig für Werder entschieden. Das hatte einerseits damit zu tun, dass mich Werder-Spieler wie Miroslav Klose, Torsten Frings oder Tim Borowski, die auch in der Nationalmannschaft spielten, in die Mangel genommen und gesagt haben: "Du kommst zu uns." Andererseits hatte es mit der Bremer Führungsriege zu tun. Als ich mich mit Thomas Schaaf und Klaus Allofs unterhalten hatte, war sofort klar, wohin die Reise geht.
Apropos Nationalmannschaft. Sie wurden bereits 2004 Nationalspieler und gaben bei der Partie im Iran Ihr Debüt. Erinnern Sie sich an den Anruf vom damaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann?
Mertesacker: Ganz genau sogar, so etwas vergisst man nicht. Das war am 29. September 2004, meinem 20. Geburtstag. Ich saß bei meiner damaligen Freundin auf dem Sofa. Es war ein surreales Gefühl, plötzlich Klinsmann am anderen Ende der Leitung zu haben und ihn sagen zu hören: "Wir wollen frischen Wind in der Nationalmannschaft haben. Du bist jetzt dabei." Das hat vieles verändert.
Logischerweise wurden Sie deshalb immer bekannter. Wie sind Sie damit umgegangen, immer häufiger auf der Straße erkannt zu werden?
Mertesacker: Für mich lief es in der Zeit fast ausschließlich gut, was dazu führte, dass ich meistens eine positive Rückmeldung von den Leuten auf der Straße bekommen habe. Deshalb war es für mich okay. Und ganz ehrlich: Wenn wir schlecht waren oder verloren haben - das war auch nach meiner Zeit in Hannover so - bin ich nie in die Öffentlichkeit gegangen. Ich brauchte für mich eine gewisse Rechtfertigung, um mich blicken lassen zu können.
Eigentlich ein furchtbarer Gedanke, dass man sich sozusagen dem Volk nur dann zugehörig fühlen kann, wenn man ein Fußballspiel gewonnen hat.
Mertesacker: Da haben Sie total Recht! Aber ich habe als Spieler tatsächlich so getickt.
Haben Sie in Zeiten, in denen es nicht so lief, eigentlich die Berichterstattung in den Medien überhaupt verfolgt? Christoph Metzelder und Sie wurden als Innenverteidigung des Nationalteams beispielsweise einmal vom Boulevard als "Schnarch und Schleich" verspottet.
Mertesacker: Als junger Spieler ist es schwierig, mediale Kritik zu verdauen, weil man dazu neigt, sie persönlich zu nehmen. Das gilt vor allem dann, wenn nicht objektiv die Leistung auf dem Platz beurteilt wird, sondern es tatsächlich ins Persönliche geht. Man lernt deshalb schnell, die Zeitungen nach schlechten Leistungen beiseite zu lassen. Das bedeutet nicht, dass man nicht mit sich selbst kritisch umgehen soll - im Gegenteil. Ehrliches Feedback von Trainern oder von Freunden anzunehmen, ist wichtig.
Haben Sie solche Freunde auch im Fußball-Business gefunden?
Mertesacker: Ich habe das Glück, ab und zu nach Hannover zurückzukommen und dort noch Jungs der alten Riege treffen zu können. Beispielsweise stehe ich mit Hanno Balitsch, Steven Cherundolo, Altin Lala und Christoph Dabrowski regelmäßig in Kontakt. Das sind alles Leute, bei denen man merkt, dass sie einen auch gerne wiedersehen und mit denen man Spaß hat, sich an alte Zeiten zu erinnern.