Türkiyemspor Berlin: Die Weltbeweger von nebenan

Von Dennis Melzer
Türkiyemspor Berlin ist ein bemerkenswerter Klub.
© DAZN
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Der geplatzte Bundesliga-Traum

"Ich habe den Traum, irgendwann einmal mit den Frauen in der Bundesliga zu spielen", sagt Dogan. "Aber wir haben auch eine Verantwortung. Wollen wir, dass wir in der Bundesliga spielen und uns komplett vermarkten müssen? Da dürfen wir es auf unserem Weg nicht übertreiben. Der Sport soll so bleiben, wie er ist." Dogan weiß genau, wie schnell hochgesteckte Ziele auch kontraproduktive Dimensionen annehmen können. Mitte der 1980er Jahre schickte sich der Klub an, in die 2. Bundesliga aufzusteigen, unterlag im entscheidenden Spiel aber deutlich.

"Uns fehlte nur ein Punkt. Alle waren sich sicher, dass es gelingen wird. Und dann verlieren wir mit 0:5." Man sei damals an dem Ziel, in die höchste deutsche Spielklasse aufsteigen zu wollen, gescheitert. "Wir hatten zu schnell sportlichen Erfolg, aber die Strukturen sind dabei nicht mitgewachsen", sagt Dogan. "Viele deutsche Verein haben 100 Jahre Erfahrung. Wir waren erst 20 Jahre alt und kurz davor, in die 2. Bundesliga aufzusteigen. Aber wir haben drumherum keine professionellen Strukturen gehabt. Das war für uns eine Herausforderung."

Türkiyemspor in die Bundesliga? Warum nicht mit den Frauen?

Finanziell ging es für Türkiyemspor nach dem verpassten Aufstieg langsam, aber stetig bergab, wie Dogan erklärt. "2013 mussten wir Insolvenz anmelden. Und jetzt müssen wir neue Wege bestreiten. Dass wir mit den Herren noch einmal eine Chance auf einen Aufstieg in die Bundesliga haben werden, das wird es nicht mehr geben. Es sei denn, ein Sponsor investiert 100 Millionen. Aber mit unseren Mitteln wird es nicht ausreichen."

Dementsprechend setzt Dogan umso größere Hoffnungen in den Damenfußball. "Die Männer haben es nicht in die Bundesliga geschafft. Warum sollte es nicht den Frauen gelingen?"

Doch nicht nur aus sportlicher Sicht hat bei den Damen von Türkiyemspor eine enorme Entwicklung stattgefunden. Auch mit Blick auf Zusammenhalt und Wertevermittlung gehen die Spielerinnen neue, innovative Wege. Bei einer Sommerfahrt kam die Idee, dass die kleineren Mädchen jeweils eine erwachsene Spielerin, also eine Art Patin, an die Seite gestellt bekommen sollten. "Die Grundidee war es, Vorbilder zu schaffen", sagt Dogan und führt aus: "Wir haben einfach beschlossen, dass wir kleinen Mädchen eine erwachsene Spielerin an die Hand geben. Die jungen Spielerinnen haben sich jemanden ausgewählt. Und allein aus diesem einen Treffen haben sich bei vielen Patenschaften privat sehr enge Beziehungen entwickelt."

Das "Abla-Programm" von Türkiyemspor Berlin

Krüger, die für die erste Mannschaft spielt, denkt an jene Zeit zurück. "Auf einer Sommerausfahrt waren unglaublich viele kleine Mädchen dabei und nur wenige Eltern. Für die drei Trainerinnen war das anstrengend. So haben die älteren Spieler ein jüngeres Mädchen zum Aufpassen an die Hand bekommen." Abla, türkisch für große Schwester, haben sich die Frauen als Namen für das Programm überlegt. "Erst ging es nur darum, zu schauen, dass sie zum Beispiel richtig Ihr Brot schmieren. Aber wir haben schnell gemerkt, dass die kleinen Mädchen immer zu uns Frauen aufschauen, uns vieles nachmachen. Meine 'kleine Schwester' ist nun schon seit fünf Jahren an meiner Seite und wir machen vieles außerhalb des Platzes gemeinsam."

Auch Toya Bock, wie Krüger Türkiyemspor-Spielerin der ersten Stunde, schwärmt im Gespräch mit DAZN von dem Konzept. "Ich glaube schon. Unsere Gegnerinnen merken bei den Spielen, wie verrückt wir sind und wie groß der Zusammenhalt ist", sagt sie auf die Frage, ob das Abla-Programm als Paradebeispiel für andere Klubs dienen könne. "Meine 'kleine Schwester' ist beinahe zu meiner richtigen Schwester geworden. Ich bin stolz, wie sie sich entwickelt hat, mit einer klaren Willensäußerung und vor allem auch wie sie Fußball spielt."

"Bewege mehr als den Ball - bewege die Welt"

Dass die Frauen bei Türkiyemspor mit ihrem Engagement gesellschaftlich wichtige Ausrufezeichen setzen, ist auch Sportartikelhersteller Nike nicht entgangen. Auch dank des Abla-Konzeptes partizipiert die Damenmannschaft neben Superstars wie Leroy Sane oder Mario Götze an der neuen Kampagne "Helden", die mit ihrem Slogan "Du tust es nie nur für Dich" vermittelt, wie wichtig Vorbilder im Sport sind.

"Das ist eine Sache, die mich richtig stolz macht. Die Möglichkeit zu haben, unsere Message in dieser Art und Weise nach draußen zu bringen, hätten wir so nicht bekommen. Teil dieser Nike-Kampagne zu sein, kann man nicht mit Worten beschreiben", freut sich Dogan. Krüger ergänzt: "Das zeigt, dass Nike dem Thema Gewicht schenkt."

Ein Thema, das Mut machen soll. In Zeiten zunehmender Zwietracht, in Zeiten wachsender digitaler und analoger Hassschürung, in Zeiten, in denen Alltagsrassismus wieder Einzug in die Gesellschaft hält. Die Damenmannschaften von Türkiyemspor tragen stolz folgenden Leitsatz auf ihren Trikots: "Bewege mehr als den Ball - bewege die Welt."

Daran arbeiten Murat Dogan, Karla Krüger, Toya Bock und all die anderen Weltbeweger von nebenan. Jeden Tag - unermüdlich und ehrenamtlich.

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