"Sonst ist das Treiben am Geißbockheim ja überschaubar... aber als der überdimensionale Bohrkopf angekarrt wurde... und die Zufahrtsstraße aufgerissen wurde... das war wirklich... wie im Kino", erzählt Boris Notzon, der für den ganzen Wirbel verantwortlich war.
Dabei sollte nicht ein Loch in einen gigantischen Meteoriten gebohrt, sondern lediglich ein Internet-Kabel verlegt werden. Aber was heißt hier lediglich.
"Das war ein Riesenakt", so Notzon. "Dafür verfügen wir jetzt über eine extrem schnelle 1-Gigabit-Internet-Leitung und die nötigen technischen Vorraussetzungen für unsere Projekte."
Die Vernetzung des Fußballs mit der Wissenschaft
Der 1. FC Köln. Upgedatet auf die Version 2.0. Der 1. FC Köln. Auf den Spuren des AC Mailand.
Etwas mehr als ein Jahr ist es her, als der Bundesliga-Aufsteiger nach dem Vorbild des "Milan Labs" das sogenannte "Sportslab" gründete. Notzon, Initiator und Leiter des Laboratoriums, ist seitdem beauftragt, den Verein von Grund auf zu modernisieren. Die Verlegung der Internet-Pipeline war dabei nur der Anfang.
"Ich habe einmal in einem Fachmagazin über das Milan Lab gelesen und mir die Frage gestellt, warum bislang kein deutscher Verein auf die gleiche Idee gekommen ist", sagt der 28-Jährige.
Viele Details kennt er nicht über die sportmedizinische Betreuungs- und Forschungsabteilung der Rossoneri - immerhin wird das unterirdische Milan Lab einer Geheimdienstzentrale gleich hermetisch von der Öffentlichkeit abgeschirmt - doch das Leitmotiv des Instituts fasziniert Notzon: Die Vernetzung des Fußballs mit den neusten Errungenschaften aus Wissenschaft und Technik.
Köln meets Science Fiction
Und dementsprechend verpasste sich der FC ein Upgrade. Von der medizinischen Abteilung bis zur Leistungsdiagnostik, von der Trainingslehre bis zur Taktikschulung: Köln rüstete in allen Bereichen mit der neusten Hardware aus der IT-Branche auf.
Im Besprechungsraum der Jugendteams wie auch der ersten Mannschaft stehen zum Bespiel Smartboards von rund zwei Metern Durchmesser, an denen die Trainer per Touchscreen-Funktion wie TV-Experten direkt am Bildschirm taktische oder trainingsmethodische Vorgaben einzeichnen können. Pädagogik meets Science Fiction.
"Wir sehen Sportslab als ein modernes Fußball-Labor, in dem nicht nur medizinische Daten oder Tracking-Ergebnisse ausgewertet werden sollen. Heutzutage ist es eine Pflicht, alle technischen Möglichkeiten zu nutzen, um zukünftig wettbewerbsfähig zu sein", so die Devise von Manager Michael Meier.
Beispiellose Scoutingdichte
Das Herzstück des Sportslabs ist die neu installierte Scouting- und Spielanalyse-Abteilung. Basierend auf einer komplexen IT-Infrastruktur mit einer Festplatten-Kapazität von 15 Terrabyte zeichnet der FC rund um die Uhr Fußball-Partien aus allen erdenklichen Ligen auf und lässt diese mit Hilfe einer speziellen Software von 25 studentischen Aushilfskräften analysieren.
"Bei keinem mir bekannten Verein ist die Scoutingdichte so hoch wie bei uns. Wir haben 17.000 Spieler in unserer Datenbank registriert, zudem wird von uns angestrebt, jedes internationale Team mindestens dreimal pro Halbjahr zu beobachten", sagt Notzon. "Dadurch kann sich die sportliche Führung selber einen Eindruck über einen möglichen Neuzugang verschaffen und ist nicht auf Werbevideos der Spielerberater angewiesen."
Dementsprechend begeistert die Reaktion von Trainer Daum: "Das ist wie im Western. Ich hänge ein Steckbrief mit der Überschrift 'Wanted' aus, und per Knopfdruck bekomme ich zum Beispiel alle Rechtsverteidiger, die mindestens 1,80 Meter groß, kopfballstark und Rechtsfuß sind."Generell sei das Sportslab ein Schlüssel, um "unser Frühwarnsystem zu verbessern", so Daum. "Im heutigen Fußball ist es nicht mehr so, dass bei Transfers der Große den Kleinen schlägt, sondern der Schnelle den Langsamen."
Hauptsache Multimedia
Ein weiteres Fundament der rheinischen Technokratie: Die individuelle Videoaufbereitung für die Spieler der ersten Mannschaft. So verfügt jeder Akteur über einen mobilen Multimedia-Player, auf dem Trainings- und Ernährungspläne als PDF-Datei oder Video-Zusammenschnitte des nächsten Gegners abgespeichert werden.
"Unserem Torwart Faryd Mondragon haben wir zum Beispiel beim Elfmeter von Wehens Ales Kokot Hilfestellung geleistet. Der Schuss ging nach links - genauso wie die letzten drei Strafstöße von Kokot. Die hat sich Faryd vorher auf seinem Archos-Gerät angeschaut - und dann den Elfer pariert", erzählt Notzon.
Übrigens: Um auf andere Gedanken zu kommen, können sich die Spieler auf den Universal-Abspielgeräten zur Abwechslung vom drögen Fußball-Alltag auch ganz normale Filme anschauen. Armageddon soll gut sein.