Der Schock beim Herbstmeister sitzt tief. Noch einen Tag vor seiner Verletzung hatte sich Ibisevic klar für einen Verbleib ausgesprochen. Jetzt steht 1899 Hoffenheim vor einem ersten großen Problem. Und vor einer grundlegenden Entscheidung.
"Es ist klar, dass wir die Sache intensivieren, wenn sich der Verdacht auf Kreuzbandanriss bei Vedad bestätigt", sagte Trainer Ralf Rangnick am Donnerstag im Trainingslager in La Manga. Nun ist die schwere Verletzung Gewissheit.
Derdiyok sagt ab
Heißt: Bei Hoffenheim überlegt man jetzt sehr genau, ob man dem in der Hinrunde überragenden Stürmer nun jemanden vorsetzt - zur Not sogar auf Kosten von Prinzipien.
Grundlage der Überlegungen: Für das Geheimziel Meisterschaft braucht Rangnick adäquaten Ersatz. Zwar redet niemand öffentlich vom Titel, aber welches andere Saisonziel sollte ein Herbstmeister - auch als Aufsteiger - denn sonst haben?
Einen ersten Vorstoß hat der Verein schon unternommen. Zum Schweizer Nationalspieler Eren Derdiyok nahm Hoffenheim bereits am Freitagabend Kontakt auf
Der 20-Jährige hat sich jedoch bereits mündlich auf einen Wechsel zu Bayer Leverkusen zur kommenden Saison geeinigt und sagte Hoffenheim ab. "Hoffenheim hat Interesse bekundet. Aber Eren steht zu seinem Wort und wird zu Leverkusen wechseln", sagte Derdiyok-Berater Volker Struth.
Langfristige Perspektive kontra kurzfristiger Erfolg
Zuletzt hatte Rangnick noch erklärt, man werde nicht den Fehler machen und versuchen, die Meisterschaft mit Hauruckaktionen auf dem Transfermarkt zu erzwingen. Der Tabellenplatz sei für die TSG zweitrangig.
"Uns geht es um die langfristige Perspektive. Falls wir im Winter noch Spieler holen, dann nur welche zwischen 17 und 22, die im Sommer eh kämen", erklärte Rangnick vielmehr. "Wir sehen junge Spieler als Blue Chips, die durch ihre Grundvoraussetzungen hochqualifiziert sind. Unsere Aufgabe ist es dann, ihnen strategisch etwas an die Hand zu geben."
Geht Hoffenheim aufs Ganze?
Das war freilich vor Ibisevic' Verletzung. Jetzt steckt Hoffenheim in einem echten Dilemma: Bleibt sich der Aufsteiger treu und setzt in der Tat nur darauf, den Kader sukzessive zu verstärken und seine Rohlinge weiter zu veredeln? Oder geht der Klub aufs Ganze und strebt die Sensation an?
Es wird eine Grundsatzentscheidung und als erstes Indiz für den weiteren Werdegang wird die Suche nach einem Ibisevic-Nachfolger dienen. Wobei sich Trainer Rangnick verschiedene Alternativen bieten.
Ein Neuzugang Eren Derdiyok jedenfalls wäre ein echter Coup: Hoffenheim hätte einen blutjungen Rohdiamanten mehr im Kader und zeitgleich einen Spieler, der nicht erst einmal sein außergewöhliches Potenzial angedeutet hat.
Das Spielsystem umstellen: Das 4-3-3 mit den beiden wendigen Vorbereitern Demba Ba und Chinedu Obasi und Ibisevic als Hauptabnehmer kommt in der Form nicht mehr in Frage.
Durchaus möglich ist aber eine Umstellung von 4-3-3 auf ein lupenreines 4-4-2 mit einer Raute im Mittelfeld. Die beiden Vorbereiter Ba und Obasi wären ihrer Stärken nicht beraubt, kämen aber dafür umso öfter selbst zum Torabschluss.
Die wirklich tragende Rolle käme aber Carlos Eduardo zu. Der Brasilianer stößt als Mischung aus zentralem offensiven Mittelfeldspieler und Stürmer immer wieder in die Räume, die Ba und Obasi in bewährter Manier reißen.
Denn: Im Gegensatz zu den beiden reinen Angreifern hat Eduardo den vielseitigeren Torabschluss, kann im und außerhalb des Strafraums gefährlich werden. Dass das 4-4-2-System funktioniert, haben die Spiele zu Beginn der Saison ohne den damals bei Olympia weilenden Obasi und natürlich der Aufstieg in die Bundesliga bewiesen.
Bleibt hier die Frage: Funktionieren Ba und Obasi auch als Duo? Die Offensivqualitäten beider sind hinlänglich bekannt. In der 2. Liga erzielte jeder jeweils zwölf Tore. Ba könnte auf Grund seiner Spielanlage durchaus die Rolle von Ibisevic einnehmen. Allerdings ist weder Ba noch Obasi so kaltschnäuzig vor dem Tor wie Ibisevic.
Was aber mindestens genau so wichtig ist: Inwiefern würde sich Hoffenheims Defensivverhalten, insbesondere das aggressive Pressing, mit nur noch zwei Stürmern ändern?
Das 4-3-3 fußt auf größtmöglicher Abstimmung und Laufaufwand und ist im Vergleich zum 4-4-2 das instabilere Gebilde. Allerdings erlauben die drei nominellen Angreifer das perfekte Konterspiel, mit dem Hoffenheim in der Vorrunde zahlreiche Gegner auskonterte.
Einen großen Vorteil hätte das 4-4-2 aber auf alle Fälle: Rangnick würde die Entscheidung zwischen Tobias Weis oder Sejad Salihovic auf einen Schlag abgenommen. Im Vierermittelfeld wäre Platz für beide.
Wellington als Ibisevic-Ersatz: Fünf Millionen Euro hat der Brasilianer im Sommer gekostet. Bei überschaubaren 26 Bundesliga- und fünf Minuten im DFB-Pokal bisher ein Flop.
Die Stunde des Brasilianers könnte jetzt schlagen - so recht daran glauben will aber auch Rangnick nicht. "Geben wir ihm noch ein halbes Jahr. Bei ihm kamen mehrere Dinge zusammen. Er hat die Vorbereitung nicht mitgemacht, seine Frau war schwanger, bekam ein Baby - vor allem hat er mit Ibisevic, Ba und Obasi starke Konkurrenten", sagte der Trainer in der "Rhein-Neckar-Zeitung".
"Ich sehe aber Fortschritte, weiß jedoch nicht, ob es schon demnächst für einen Einsatz in der Startformation reicht."
Eher unwahrscheinlich, dass Rangnick dem 20-Jährigen das Vertrauen schenkt. Wellington wurde für die Position im Sturmzentrum geholt und bringt sowohl Statur als auch Anlagen mit. Der Brasilianer wird seine Chancen bekommen. Vorerst allerdings nur als Ergänzungsspieler.
Hoffenheim geht einkaufen: "Sollte Vedad uns über einen längeren Zeitraum fehlen, hinterlässt er eine Lücke, die wir bestrebt sein müssen, zunächst von innen heraus zu schließen. Gleichzeitig denken wir natürlich auch darüber nach, das was wir im Sommer sowieso vorhatten, nämlich einen Spieler für den vordersten Bereich dazuzuholen, schon auf den Winter vorzuziehen", sagte Manager Jan Schindelmeiser der "Sport Bild".
Der Aufsteiger wird definitiv tätig werden, am Geld sollte es dabei nicht scheitern. Vielmehr geht es um die Fragen: Wer ist auf dem Markt und wer passt ins Profil? Und für welches System entscheidet sich Rangnick in der Rückrunde? Wenn der Trainer wirklich an seiner Strategie mit jungen, entwicklungsfähigen Talenten bleibt, ist der Kreis der Kandidaten sehr überschaubar. Zumal das Transferfenster nur noch gut zwei Wochen geöffnet ist.
Hoffenheims Scouting hat bis jetzt sehr gut gearbeitet - auch, weil die handelnden Personen die Transfers mit viel Weitblick, Sichtung und Vorlaufzeit planen konnten. Jetzt muss aber auf die Schnelle adäquater Ersatz her. In einer solchen Situation den richtigen Griff zu machen, zeichnet einen großen Klub aus.
Rangnick wird nicht müde zu betonen, dass die Chemie innerhalb der Mannschaft einer der Stützpfeiler des Erfolgs ist. Also muss der Neue auch menschlich zu einhundert Prozent passen und schnell zu integrieren sein. Ein Typ wie der eigenbrötlerische Theofanis Gekas von Bayer Leverkusen passt somit nicht mehr ins Raster.
Vertraut Rangnick dem 4-4-2, dann wäre Nikola Kalinic von Hajduk Split ein heißer Kandidat. Der Mittelfeldspieler wird von Hoffenheim schon seit längerer Zeit gesichtet und galt bisher als Wunschspieler für die kommende Saison. Jetzt könnte Hoffenheim aber durchaus auch schon früher zugreifen.
"Wir schränken uns gar nicht ein. Unser Blick geht selbstverständlich nach Deutschland, aber auch über Deutschlands Grenzen hinaus", lässt Schindelmeiser Raum für Spekulationen.
Bisher galt die Devise, nur Spieler zu holen, "die von einer niedrigeren oder gleichen Entwicklungsstufe zu uns kommen" (Rangnick). Im Sinne des kurzfristigen Erfolgs müsste der Leitsatz bei der Stürmersuche aber über Bord geworfen werden. Als Paradebeispiel darf die Verpflichtung von (Ex-)Nationalspieler Timo Hildebrand gelten. Der Torhüter kommt schließlich als fertiger Spieler - und als Deutscher Meister.
23 Spieler, 9 Nationalitäten: Hoffenheims Kader