Als ob er Lord Voldemort wäre. Der mächtige dunkle Magier aus den Harry-Potter-Romanen, dessen Name vor Ehrfurcht und Angst kaum einer in der Zaubererwelt auszusprechen mag.
Aber nein, er ist Clemens Tönnies. Einer der größten Fleischproduzenten Deutschlands und gleichzeitig Aufsichtsrats-Chef des FC Schalke 04. Er hört auf Beinamen wie "Kotelett-Kaiser" oder "Fleischbaron", nicht auf "Du weißt schon wer" oder "Er, dessen Name nicht genannt werden darf".
Dennoch fällt eines auf: Über Tönnies, den einflussreichsten Mann auf Schalke, wird viel geschrieben und berichtet, seine Kollegen an der Führungsspitze des Vereins jedoch vermeiden es tunlichst, seinen Namen explizit zu nennen.
Tönnies entscheidet über Müller
Wenn etwa Präsident Josef Schnusenberg oder Geschäftsführer Peter Peters vor dem Revier-Derby gegen Borussia Dortmund (20.15 Uhr im LIVE-TICKER und bei Premiere) auf die Perspektive des massiv unter Druck stehenden Managers Andreas Müller angesprochen werden, verweisen sie vornehmlich auf die Entscheidungsgewalt des Aufsichtsrats.
Wobei der "Aufsichtsrat" nur als Metapher für seinen Vorsitzenden Tönnies dient. "Ich habe Geduld. Aber man muss die Zuständigkeiten beachten", sagt Schnusenberg über eine mögliche Entlassung Müllers. Ähnlich ausweichend Peters' Antwort nach dem 1:2 in Bochum: "Ich habe eine Meinung, aber ich bin nicht zuständig."
Was soviel heißt wie: Tönnies ist THE MAN. Der Mann, der die wichtigen Entscheidungen auf Schalke trifft. Sollte sich Schalke im Schicksalsspiel gegen Dortmund rehabilitieren, verlängert sich Müllers Schonfrist. Sollte die Mannschaft enttäuschen, neigt sich Tönnies' Daumen nach unten - und Müller steht vor der Entlassung.
Druck, Druck, Druck
"In der Rückrunde wird Gas gegeben und wir werden das Tabellenbild wieder korrigieren. Unser erstes Ziel ist es, international zu spielen. Und wir wollen in der Endabrechnung vor Dortmund stehen. In dieser Reihenfolge", sagt Tönnies. Einer seiner vielen Forderungen in Richtung Müller und Trainer Fred Rutten.
Im Herbst gab Tönnies das Ziel vor, aus den letzten vier Spielen der Hinrunde zehn Punkte zu holen. Geworden sind es nur sieben. Als Chef eines Unternehmens mit 3,9 Milliarden Euro Umsatz kennt Tönnies Drucksituationen und muss damit umgehen. Genau das gleiche fordert er im Fußball.
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Versprechen am Todesbett
Dabei kam Tönnies nur zufällig zu Schalke. Das aber unter dramatischen Umständen. Im Februar 1994, als S04 der wirtschafliche Ruin drohte, ließ sich sein Bruder Bernd zum Vorstandsvorsitzenden wählen. Nur fünf Monate später verstarb Bernd Tönnies jedoch im Alter von 41 Jahren an den Folgen einer Nierentransplantation.
"Auf dem Sterbebett hat Bernd von mir gefordert: 'Kümmere dich um Schalke.' Heute steckt der blau-weiße Bazillus tief in mir!", sagt Clemens Tönnies. 1995 begann er als Aufsichtsratsmitglied, seit 2004 ist er der Boss des Gremiums.
Das Vermächtnis von Bernd Tönnies. Mit 20 Angestellten gründete er 1971 einen Großhandel für Fleisch- und Wurstwaren und baute mit seinem kleinen Bruder schrittweise ein Firmenimperium auf.
Heute sind 6000 Mitarbeiter bei den "Tönnies Fleischwerken" beschäftigt, zwei Drittel davon in Tönnies' ostwestfälischer Heimatstadt Rheda-Wiedenbrück. Allein an diesem Standort werden 20.000 Schweine täglich geschlachtet.
Harte Maloche als Rezept
Als Kind wuchs Tönnies in ärmlichen Verhältnissen auf. Er erzählt davon, dass er sich viele Jahre mit Bernd ein Bett teilen musste. Dass die väterliche Metzgerei nur "sieben Schweinchen in der Woche" geschlachtet hat. "Aber Bernd und ich - wir wollten von Anfang an richtig was auf die Beine stellen. Es hat durch harte Maloche funktioniert."
Damals noch war Clemens Tönnies nur ein Gefolgsmann seines Bruders. "Er war ungeheuer dominant. Ich habe mein ganzes Leben hinter ihm gestanden", erinnert sich Tönnies. Mittlerweile hat er dessen Spitznamen "Kotelett-Kaiser" geerbt und ist selbst zum Big Player aufgestiegen. Im Fußball und in der Lebensmittelbranche. "Ich bin ehrgeizig. Und dazu stehe ich auch", sagt er.
Putsch gegen Assauer
In der Fleischindustrie hat Tönnies den Ruf eines "harten Geschäftsmanns mit radikalem Kostenmanagement" (Handesblatt). Aber auch im Fußball verschaffte er sich schnell Respekt. Er suchte etwa als einziger die Konfrontation mit Rudi Assauer, brachte ihn öffentlich mit "Alkoholproblemen" in Verbindung und leitete so den Abschied des damals allmächtigen Schalke-Managers ein.
Als Schalke kurz darauf im Herbst 2006 in finanzielle Probleme geriet, half Tönnies mit einem 4,7-Millionen-Euro-Kredit aus. Einige Wochen später sollte Schalke als neuen Sponsor den russischen Energie-Riesen "Gazprom" vorstellen. Der Drahtzieher des größten Deals der Vereinsgeschichte: Clemens Tönnies. Sein Kommentar: "Ich glaube, dass ich eine gewisse Überzeugungskraft habe."
Klüngelei auf Schalke?
Sein wichtigster Mitarbeiter auf Schalke ist Josef Schnusenberg. Mit sanftem Druck forcierte Tönnies 2006 die frühzeitige Abdankung des damaligen Präsidenten Gerd Rehberg, damit sein Freund und Steuerberater das Amt übernehmen konnte.
Seitdem steht der Vorwurf der "personellen Verfilzung mit dem Kumpel" (Handelsblatt) im Raum - zumal den beiden Rheda-Wiedenbrücker Finanz-Experten die fußballerische Kompetenz abgesprochen wird.
"Diese Leute glauben mittlerweile, sie haben Ahnung vom Fußball. Das glaube ich aber nicht", sagt der ehemalige Widersacher Assauer. Tönnies' sportlicher Berater heißt übrigens Olaf Thon - und ist Assauers Intimfeind.
Kaum Alternativen zu Müller
Je nach Ausgang des Dortmund-Spiels wird Tönnies mit Schnusenberg und Thon besprechen wie es weitergeht. Mit Schalke. Mit Rutten. Vor allem mit Müller, den Tönnies nach der Assauer-Trennung noch zum "Mr. Schalke" aufbauen wollte. "Wir treffen keine Entscheidungen aus der Hüfte heraus - und sicher nicht alternativlos", sagt der Boss. Alternativen sind jedoch rar gesät.
Namen wie Jörg Schmadtke, Rolf Rüssmann, Christian Hochstätter oder Peter Pander gelten als zumindest potenzielle Nachfolge-Kandidaten. Alles Namen, die nicht unbedingt Tönnies' Anspruch ("Immer Erster!") entsprechen.
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Tönnies im Visier der Justiz
Die enttäuschende sportliche Situation mit dem neunten Bundesliga-Platz, dem Verpassen der Champions League, dem Ausscheiden im UEFA-Cup, den Unstimmigkeiten im Team und in der Presseabteilung, zudem die ungeklärte Situation um Müller: Tönnies, der Wirtschafts-Boss, ist mehr denn je als Fußball-Boss gefragt.
Doch ausgerechnet in der prekären sportlichen Situation wird Tönnies auch noch als Fleischproduzent massiv bedrängt. In den vergangenen Jahren liefen bereits mehrere Untersuchungen gegen seine Firma. Es ging um den Vorwurf der Schwarzgeldzahlungen, des Subventionsbetrugs, des Lohndumpings, der illegalen Beschäftigung oder der verbotenen Video-Überwachung am Arbeitsplatz. Von den meisten Anklagepunkten wurde er freigesprochen.
Im Herbst 2007 formierte das Landeskriminalamt jedoch eigens eine Ermittlungskommission wegen des Verdachts auf Betrug. Beispielsweise sollen die Waagen in den Fleischereien manipuliert gewesen sein. Das Angebot der Staatsanwaltschaft, sich schuldig zu bekennen und dafür mit einem Jahr auf Bewährung davonzukommen, lehnte Tönnies entschieden ab.
"Sie knallen ihn ab oder nicht"
Er selbst sieht sich als Opfer einer Verschwörung. Die niederländische Konkurrenzfirma "VION" hätte sich mit einem enttäuschten Ex-Manager verbündet und würde derzeit eine Übernahme vorbereiten. Sollte sich der Vorwurf jedoch erhärten, droht Tönnies nicht nur der Gang vors Gericht.
Denn sollten sich Großkunden wie "Aldi" oder "Lidl" im Zuge der Verhandlungen von ihm abwenden, steht Tönnies' Existenz als Unternehmer auf dem Spiel.
"Sie knallen ihn ab oder nicht", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" einen Wirtschafts-Insider.
Clemens Tönnies und Andreas Müller - zumindest eine Sache haben sie offenbar gemeinsam.
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