"Die Wunde wird nie verheilen"

Von Interview: Haruka Gruber
Michael Tarnat bestritt bisher 363 Bundesliga-Spiele. Ihm gelangen je 24 Tore und Vorlagen
© Imago

Der traurige Abschied eines Urgesteins: Michael Tarnat wollte in Hannover nach 19 Profijahren seinen Vertrag um eine Saison verlängern - doch 96-Trainer Dieter Hecking lehnte ab. Und das wenige Stunden vor dem letzten Heimspiel der Saison gegen Wolfsburg (0:5). Damit beendet Tarnat seine Karriere, ohne verabschiedet worden zu sein. Der 39-Jährige über das zerstörte Verhältnis zu Hecking und 96.

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SPOX: Wie werden Sie den 16. Mai 2009 in Erinnerung behalten?

Michael Tarnat: Als einen katastrophalen Tag.

SPOX: Sie verloren mit Hannover zuhause 0:5 gegen Wolfsburg, zuvor wurde Ihnen von Trainer Dieter Hecking mitgeteilt, dass Ihr Vertrag nicht verlängert wird.

Tarnat: Nach dem Gespräch mit dem Trainer wollte ich eigentlich gar nicht gegen Wolfsburg auflaufen. Aber aus Respekt vor der Mannschaft und den Fans habe ich gespielt - auch wenn ich noch unter Schock stand. Es waren keine schönen Momente. Mir ist die gesamte Karriere durch den Kopf gegangen.

SPOX: Wie lief das Gespräch mit Hecking ab?

Tarnat: Die Mannschaft ging wie vor jedem Spiel am Samstag spazieren. Als wir wieder im Hotel waren und ich schon fast in den Aufzug gestiegen bin, hat mich Herr Hecking um ein kurzes Gespräch gebeten. Er sagte, dass ich gegen Wolfsburg spielen soll, weil ich mit meiner Passsicherheit und meinem Spielstil der Mannschaft helfen könnte.

SPOX: Und dann?

Tarnat: Danach hat Herr Hecking ganz nebenbei gesagt: "Tanne, dein Vertrag wird nicht verlängert."

SPOX: Das war's?

Tarnat: Das war's. Ich war völlig baff, als ob ich vor einen Bus gelaufen wäre. Zwei Wochen zuvor habe ich dem Trainer noch gesagt, dass ich nach diesem beschissenen Jahr mit all den Verletzungen gerne noch eine Saison dranhängen würde. Herr Hecking antwortete, dass es eng wird. Seitdem habe ich bis zum Samstag nichts gehört.

SPOX: Was war mit 96-Boss Martin Kind?

Tarnat: Zwischendurch hatte ich noch einen gemeinsamen Termin mit Herrn Kind und Herrn Hecking, bei dem ich dargestellt habe, dass ich mich nächstes Jahr ohne zu Murren auf die Bank setzen würde, um einen jungen Spieler wie Konstantin Rausch zu führen. Daraufhin wurde ein weiteres Gespräch vereinbart, das Herr Kind aus terminlichen Gründen aber abgesagt hat.

SPOX: Fühlen Sie sich fair behandelt?

Tarnat: Im Gegenteil. Es ist unwürdig und stillos gegenüber jemanden, der fünf Jahre für den Verein die Knochen hingehalten hat. Dass mein Vertrag nicht verlängert wird, ist okay. Wie man es mir gesagt hat, ist respektlos.

SPOX: Was ärgert Sie am meisten?

Tarnat: Es gab genug Zeit, um rechtzeitig die Verträge von Altin Lala und Arnold Bruggink zu verlängern oder Frank Fahrenhort, Gaetan Krebs und Salvatore Zizzo zu erklären, dass ohne sie geplant wird. Mir wurde es zum letztmöglichen Zeitpunkt vor dem letzten Heimspiel der Saison gesagt, dass ich nicht einmal eine richtige Verabschiedung von den Fans bekomme. Und das nach 19 Jahren Profi-Fußball.

SPOX: War Hecking womöglich überfordert? Immerhin muss er derzeit auch Manager-Tätigkeiten übernehmen.

Tarnat: Er kann ja nicht überfordert gewesen sein, wenn er schon vor mehreren Wochen Frank Fahrenhorst Bescheid gibt, dass er sich einen neuen Verein suchen kann. Die Entscheidung, nicht mit mir zu verlängern, fiel ja sicherlich nicht während des Spaziergangs, sondern schon zuvor. Das ist alles schleierhaft.

SPOX: Hecking hat bewusst versucht, Ihnen zu schaden?

Tarnat: Das weiß ich nicht, da müssen sie den Trainer fragen. Ich überlege mir aber natürlich, was ich ihm angetan habe, um so etwas zu verdienen. Mir ist nichts eingefallen.

SPOX: War das Verhältnis zu Hecking schon zuvor erschüttert?

Tarnat: Nein, wir hatten eigentlich ein ganz gutes Verhältnis. Ich habe immer darauf Wert gelegt, dass Dinge intern geregelt werden und nie etwas Falsches in die Öffentlichkeit dringt. Seit zwei, drei Wochen habe ich aber gemerkt, dass mir Hecking aus dem Weg geht. Ich habe den Grund schon geahnt, aber weil er mir bis Freitag vor dem Wolfsburg-Spiel nichts gesagt hat, bin ich davon ausgegangen, dass er doch mit mir plant, weil ansonsten ja mein Abschied hätte organisiert werden müssen. Da habe ich wohl falsch gedacht.

SPOX: Das Tischtuch mit Hannover ist zerschnitten?

Tarnat: Mit Worten kann der Verein nicht wiedergutmachen, was passiert ist. Die Wunde wird nie verheilen. Wenn ich in meinem restlichen Leben auf Hannover angesprochen werde, wird immer als erstes die Enttäuschung hochkommen.

SPOX: Steht Ihr Schicksal sinnbildlich für die enttäuschende Saison von 96?

Tarnat: Auf jeden Fall wirft die Geschichte einen großen Schatten auf den Verein und die zuvor schon unglückliche Außendarstellung.

SPOX: Unter anderem führten Hecking und Hanno Balitsch ihre Meinungsverschiedenheit in den Medien aus.

Tarnat: Das alles passt einfach ins Bild, das Hannover derzeit abgibt. Es ist von beiden nicht okay gewesen, Nebenkriegsschauplätze aufzumachen. Wir können von Glück reden, dass wir trotz aller Unruhen auf Rang elf stehen. Es hätte auch ganz anders laufen können.

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SPOX: Sie sprechen noch in der "Wir"-Form, dabei ist Hannover Geschichte. Wie geht es weiter? Sie sollen ein Angebot von Ihrem Ex-Klub FC Bayern haben, in der Scoutingabteilung anzufangen.

Tarnat: Ich habe mit Manager Uli Hoeneß telefoniert und wir werden uns in den nächsten Wochen zusammensetzen und nach den Turbulenzen um den Trainerwechsel diskutieren, wie meine genaue Zukunft bei den Bayern aussehen könnte. Mir wurde gesagt, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche.

SPOX: Immerhin könnten Sie Ihrem Sohn Niklas ein Trikot von Franck Ribery besorgen, wenn Sie wieder in München arbeiten.

Tarnat (lacht): Das stimmt. Mein Sohn hat mittlerweile eine stattliche Sammlung an Triktos zusammen. Und vielleicht erklärt sich Franck sogar bereit, meinem Sohn ein paar Tricks zu zeigen. Dann würde ihm der Abschied von seinen Freunden in Hannover nicht ganz so schwer fallen und mein Weggang von 96 hätte wenigsten etwas Positives.

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