Bruno Labbadia wechselt von Bayer Leverkusen zum Hamburger SV. Labbadias Bilanz bei Bayer ist desolat, die HSV-Fans sind skeptisch - für die Hamburger Verantwortlichen war er dennoch der Wunschkandidat. Warum eigentlich?
Man kann niemanden überholen, wenn man nur in seine Fußstapfen tritt. Das hat Bruno Labbadia zwar selbst nie so gesagt, doch das Bonmot beschreibt sehr gut die rastlose Entschlossenheit, mit der der 43-Jährige bisher seine Trainerlaufbahn ehrgeizig vorangetrieben hat.
Labbadia ist ein fast fanatisch zielbewusster Karrierist, der es innerhalb von nur sechs Jahren als Fußballlehrer von ziemlich weit unten nach ziemlich weit oben geschafft hat. Mit Darmstadt startete er 2003 in der Oberliga Hessen, es folgte ein Jahr in der 2. Liga bei Fürth, schließlich wechselte er im Sommer 2008 in die Bundesliga zu Bayer Leverkusen.
"Ich bin von meinem Weg überzeugt"
Nun also der Hamburger SV. Ein Traditionsverein mit dem selbstformulierten Anspruch, zu den 20 Top-Adressen in Europa zu zählen. Labbadia beerbt dort Martin Jol - und er wird sich auch hier nicht lange damit aufhalten, in die Fußstapfen des charismatischen Niederländers zu treten. Er wird auch in Hamburg vielmehr seine eigenen Spuren hinterlassen.
"Ich habe eindeutige Vorstellungen davon, wie mein Stil aussehen soll. Ich bin von meinem Weg überzeugt, und halbe Sachen liegen mir nicht", sagte Labbadia noch zu seiner Leverkusener Zeit zu SPOX. Und diese Vorstellungen decken sich offenbar mit denen der Hamburger Führungsgremien, die einstimmig für den neuen Coach votierten - und ihn mit einem Drei-Jahres-Vertrag ausstatteten werden.
Fans sind skeptisch
Die Fans dagegen sind skeptisch. Nach der von Jol symbolisierten Aufbruchstimmung, ist die Verpflichtung für die meisten ein gefühlter Rückschritt. Labbadias bisweilen leicht egozentrischer Modernisierungseifer hat ihm zudem nicht nur Sympathien eingebracht. Der Emporkömmling gilt mit seinen kategorischen Konzepten bisweilen als eitel und fast klinsmännisch borniert.
Sein konsequenter Weg nach oben hat auch dadurch einen Beigeschmack. Bei allen drei Stationen stieg Labbadia aus laufenden Verträgen aus. Vor allem in Darmstadt und Leverkusen gab es dabei jeweils Kompetenzstreitigkeiten mit den Vorgesetzten.
"Ich hasse es, von anderen geleitet zu werden", sagt der 43-Jährige auch von sich selbst: "Ich bestimme das Geschehen - nicht die anderen." Ein Perfektionist, der selbst die Kontrolle will. Am besten über alles.
Desolate Bilanz
Allerdings sehen viele ihn noch immer als Anfänger. Nur ein Jahr Bundesliga - und das endete, gemessen an den bloßen Fakten, mit einer ziemlich desolaten Bilanz: die sportlichen Ziele in der Bundesliga weit verfehlt, ein zerrüttetes Verhältnis mit der Mannschaft und ein öffentlich ausgetragener Rosenkrieg mit dem Management.
Dazu fehlen dem Neuling mutmaßlich die nötigen Kontakte, um für prominentere Transfers den Lockvogel zu spielen. Vor allem aber fehlt Labbadia de facto einfach die Erfahrung.
Allerdings: "Die Erfahrung ist nicht entscheidend", begrüßt Günter Netzer - noch immer der erfolgreichste Manager der HSV-Geschichte - die Verpflichtung: "Wichtig ist nur, ob die Philosophie des neuen Trainers mit der Vorstellung des HSV übereinstimmt."
Labbadia: "Das Ego ist für mich der größte Antrieb"
Der kleinste gemeinsame Nenner ist dabei vermutlich ganz banal: der Wille erfolgreich zu sein. Und den hat Labbadia zweifelsohne. Vielleicht verfolgt er ihn sogar noch unbedingter als viele seiner Kollegen: "Ich bin in erster Linie Egoist, ich will Erfolg. Das Ego ist für mich der größte Antrieb überhaupt im Menschen."
Der HSV weiß also, was er in Sachen Philosophie erwarten kann. Mit seiner vermeintlichen Besessenheit hat sich Labbadia bereits in seinem ersten Jahr in der Bundesliga nachweislich ein klares Profil erarbeitet. Eigentlich schon fast ein ganzes Portfolio an Klischees.
Labbadia, der überehrgeizige Workaholic, der jeden Morgen eine Stunde joggt und dabei seine Telefonate erledigt. Labbadia, der kompromisslose Perfektionist, der akribisch Videos analysiert und Laktatwerte studiert. Labbadia, der penible Tüftler, der stundenlang Freistöße trainieren lässt und Laufwege mit dem Lineal aufzeichnet.
Und Labbadia, der Disziplinfanatiker, der seine Spieler 10 Stunden am Tag auf dem Vereinsgelände haben will und von seiner Mannschaft eben jenen unbedingten Ehrgeiz erwartet, der ihn selbst auszeichnet.
Jarolim: "Wir brauchen eine harte Hand"
"Ein Spieler muss sich stets als letzte Instanz sehen und wissen: 'Hinter mir kommt keiner mehr, niemand wird mein Fehlverhalten ausbügeln.' Da gibt es keine Kompromisse", verlangt der Trainer. Dass er dabei viel verlangt, weiß er selbst - und das weiß auch der HSV.
Angeblich war gerade das einer der Hauptgründe, weshalb er zum Wunschkandidaten wurde. Demnach vermissten die Verantwortlichen in der Schlussphase der abgelaufenen Saison die letzte Leidenschaft und die Siegermentalität in der noch unerfahrenen Mannschaft.
"Wir haben eine junge Mannschaft, wir brauchen daher ganz sicher wieder eine harte Hand", sagte auch Kapitän David Jarolim dem "Hamburger Abendblatt", nachdem er von der Verpflichtung Labbadias erfahren hatte.
Lernwillig - auch lernfähig?
Allerdings zerbrach in Leverkusen gerade an dieser harten Hand jede Menge Porzellan. Die Mannschaft distanzierte sich, fühlte sich bevormundet, zeitweise auch ganz einfach körperlich überfordert. Und tatsächlich muss sich der Trainer fragen lassen, weshalb die Bayer-Elf in der Rückrunde vor allem physisch immer wieder einbrach.
Doch immerhin sagt Labbadia von sich selbst, er sei sehr lernwillig. Wenn er auch lernfähig ist und die richtigen Schlüsse aus den Turbulenzen der letzten Wochen und Monate zieht, bietet er dem HSV sicher keine schlechte Perspektive.
Denn eine offensive Spielphilosophie wünscht sich nicht nur Hamburgs Vorstandsriege. Gepaart mit dem nötigen Erfolg sollte er damit auch die so skeptischen Fans für sich gewinnen können.