Sein plakatives Auto-Kennzeichen "HD-GO 1899" lässt keine Fragen offen. Zeitweilen jedoch bevorzugt es Jan Schindelmeiser, sich kryptisch auszudrücken. Dann benützt er Fremdwörter wie "proaktiv" und "Imponderabilien" (Unwägbarkeiten) oder zitiert den französischen Philosophen Voltaire: "Alle Menschen sind klug. Die einen vorher, die anderen hinterher."
Der Manager von 1899 Hoffenheim ist hintergründig und analytisch. Ein Mann des Gleichgewichts. Selbst nach dem 1:2 bei Aufsteiger Mainz, der ersten Niederlage nach vier Siegen in Serie, verzichtete er trotz offensichtlicher Nachlässigkeiten und "fehlender Einstellung" (Torwart Timo Hildebrand) auf einen Rundumschlag.
"Sicher ist, dass eine junge Mannschaft Schwankungen unterworfen ist. Aber diese Schwankungen sind nicht mehr so extrem", verteidigte er die Mannschaft im Bewusstsein dessen, dass 1899 Hoffenheim nach wie vor ein zartes Gebilde ist.
Hoffenheim unter dem Radar
Nach dem in allen Belangen extremen Aufstiegsjahr in der Bundesliga befindet sich der Verein in der Konsolidierungsphase. Schindelmeiser und selbst der sonst so vorpreschende Ralf Rangnick halten sich in der Öffentlichkeit auffällig zurück, damit sich 1899 in gebotener Ruhe zu einem etablierten Bundesligisten entwickeln kann.
Von der juristischen Auseinandersetzung um Prince Tagoes Sporttauglichkeit und Josip Simunic' jüngstem Zwischenfall bei der kroatischen Nationalmannschaft abgesehen, wird Hoffenheim dieses Jahr in der Tat trotz teils bemerkenswerter Leistungen nur selten überregional thematisiert.
"Mir ist angenehm aufgefallen, dass wir deutschlandweit ein bisschen im Schatten stehen", sagt Rangnick. In der letzten Saison noch undenkbar, mausert sich Hoffenheim heimlich, still und leise zum Geheimfavoriten - dabei ist das Team nur unwesentlich schlechter gestartet als vergangenes Jahr.
Eduardo: Platz eins bis drei möglich
Zwar hat 1899 zwei Punkte (14 statt 16) und sechs Tore (15 statt 21) weniger auf dem Konto, dafür ging die Zahl der Gegentore um die Hälfte zurück (7 statt 14). "Wir sind in der Lage, Platz eins bis drei zu belegen", sagt Carlos Eduardo forsch.
Anders als vergangene Hinrunde, als Hoffenheim bedingungslos nach vorne stürmte und dabei die Abwehrarbeit zu vergessen schien, wirkt die Mannschaft reifer und abgeklärter. Schindelmeiser: "Es kommt auf die Bilanz zwischen Defensive und Offensive an, die kriegen wir im Moment hin."
Timo Hildebrand hielt anfangs überragend und pendelte sich zuletzt auf einem guten Niveau ein. Der neue Abwehrchef Josip Simunic gibt seinem Nebenmann Marvin Compper offenbar derart viel Sicherheit, dass dessen Unkonzentriertheiten der Vergangenheit angehören.
Weiterentwickelt haben sich auch die Außenverteidiger, ob nun in taktischer (Andreas Beck) oder spielerischer Hinsicht (Andreas Ibertsberger). Zudem werden Ausfälle in der Defensive dank der Alternativen (Per Nilsson, Christian Eichner, Isaac Vorsah) fast ohne Qualitätsverlust aufgefangen.
"Hoffenheim mit die spielstärkste Mannschaft"
Dennoch: Ein "Fußballfest" (Rangnick) bietet Hoffenheim nur, wenn die Offensivspieler an ihre Form der letzten Hinrunde anknüpfen, so wie beim 5:1 gegen Berlin. "80 Minuten lang war das der Fußball, wie ich ihn mir vorgestellt habe", sagt Rangnick. Nürnbergs Coach Michael Oenning lobt: "Hoffenheim ist mit die spielstärkste Mannschaft der Liga."
Doch genau hier liegt die Krux. In der umfassenden Nachbetrachtung der letzten Saison im Sommer kam der Trainerstab zum Schluss, dass der Absturz in der Rückrunde nur bedingt etwas mit den Verletzungen in der Abwehr wie dem Kreuzbandriss von Matthias Jaissle zu tun hatte.
"Es hat sich gezeigt, dass wir den Ausfall von Defensivspielern besser kompensieren können. In der Hinrunde haben wir 23, in der Rückrunde trotz der Verletzungen nur 26 Gegentore kassiert", erklärte Rangnicks Berater Helmut Groß im SPOX-Interview.
Doch in der Offensive, wo es anders als in der Abwehr nicht nur um Raumaufteilung, Zweikampfverhalten und kollektivem Verschieben geht, sondern auch Spontaneität und Fantasie eines Einzelnen bedarf, stößt auch Rangnicks Wirken an seine Grenzen.
"Vorne können wir individuelle Qualität nicht so gut durch mannschaftliches Arbeiten auffangen", sagte Groß - und liefert damit eine mögliche Erklärung für den von Inkonstanz geprägten Saisonstart.
Nur Maicosuel verspricht Entlastung
Eines haben Vedad Ibisevic, Chinedu Obasi und Demba Ba gemein: Alle drei sind begnadete Stürmer, die bisher aus unterschiedlichsten Gründen nicht beständig ihre bestmögliche Leistung erbrachten.
Anders als in der Abwehr jedoch fehlen veritable Vertreter. Tagoe ist keine Option, Wellington wurde ausgeliehen, Marco Terrazzino verbrachte die meiste Zeit bei der zweiten Mannschaft.
"Wir haben in allen Mannschaftsteilen richtig gute Alternativen, wir haben die Qual der Wahl", sagte Rangnick vor einigen Wochen. Für den Sturm gilt das aber nicht. Nur der schnelle und trickreiche, aber fußballerisch unreife Maicosuel verspricht etwas Entlastung.
Ähnlich dünn besetzt ist das Mittelfeld. Tobias Weis verletzt, Franco Zuculini und Boris Vukcevic zu jung: Vor allem auf den Halbpositionen klafft eine Lücke, sollten die herausragenden Eduardo oder Sejad Salihovic fehlen. Unter anderem musste bereits Ibertsberger im rechten Mittelfeld aushelfen.
Hopp fordert Europacup-Platz
"Die Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb ist unsere Vorgabe", gab Finanzier Dietmar Hopp als Ziel vor. Wenn sich in der Offensive niemand schwer verletzt, eine machbare Mission. Wenn.
Bisher sind Nachverpflichtungen im Winter kein Thema. Doch um aus den Fehlern der letzten Saison zu lernen, sollte Hoffenheims Sturm in der Tiefe verstärkt werden. Das haben die bisherigen acht Spieltage gezeigt."Alle Menschen sind klug. Die einen vorher, die anderen hinterher." Vielleicht gehören sie in Hoffenheim ja zu den Ersteren.
Hier gibt's mehr News und Infos zur TSG Hoffenheim