Heiko Herrlich: Mehr als Gucci und Prada

Von Christian Bernhard
Heiko Herrlich (r.) möchte den VfL Bochum aus dem Tabellenkeller der Bundesliga führen
© Getty

Heiko Herrlich ist seit dem 11. Bundesliga-Spieltag der neue Trainer des VfL Bochum. SPOX porträtiert den 37-Jährigen, der sich nach seiner erfolgreichen Spieler-Karriere unter Matthias Sammer als Jugendtrainer beim DFB nach oben gearbeitet hat und auch abseits des Fußballplatzes mit dem erfolgreichen Kampf gegen den Krebs für Aufsehen gesorgt hat.

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Am späten Samstagnachmittag war Heiko Herrlich im rauen Bundesliga-Alltag angekommen.

Das Bochumer 1:2 gegen den SC Freiburg war zwar äußerst unglücklich - aber es war unterm Strich auch die zweite Niederlage im zweiten Spiel mit Herrlich als Chefcoach.

Die Arbeit türmt sich wie der Mount Everest vor ihm auf. "Beim 0:1 haben wir uns wie eine Jugendmannschaft verhalten", schimpfte der 37-Jährige nach der Partie energisch.

Trainer der A-Jugend in Dortmund

Mit Jugendmannschaften kennt sich der ehemalige Stürmer bestens aus. 2005 absolvierte er die Prüfung zum Fußball-Lehrer mit der Note 1,9 und trainierte dann die A-Jugend von Borussia Dortmund.

Von dort ging sein Weg weiter zum DFB. Zuerst die U 17, dann die U 19. Herrlich machte sich alsbald einen Namen bei der Arbeit mit den besten deutschen Nachwuchsspielern.

Sein Mentor: Matthias Sammer. Mit ihm hatte Herrlich zusammen gespielt, später war Sammer sein Coach beim BVB.

"Matthias ist Freund, Vorbild und schärfster Kritiker. Seine Einstellung, sein unbedingter Wille - all das hat mich schon damals in Dortmund geprägt. Wir sind in manchen Punkten seelenverwandt", sagt Herrlich.

"Wollte mich immer mit den Besten messen"

Und wie Sammer will auch Herrlich immer mehr: "Ich wollte mich seit Beginn meiner Karriere immer mit den Besten messen. Deshalb war es auch als Trainer immer mein Ziel, im Seniorenbereich anzukommen."

Um das zu erreichen, musste der gebürtige Mannheimer seinen Freund Sammer aber erst überreden. Sein Vertrag beim DFB lief noch, als der VfL anklopfte.

"Ich wusste, ich muss ihn kalt erwischen. Er musste spüren, dass er keine Chance hat, diesen Kampf mit mir zu gewinnen", erzählt Herrlich. Also nahm er den nächsten Flieger, klingelte an Sammers Tür und sagte dem verdutzten DFB-Sportdirektor, dass er "unbedingt zum VfL" wolle. Sammer ließ ihn gehen.

Krauss: "Er ist ein grundehrlicher Typ"

Bernd Krauss kennt diese entschlossene Seite Herrlichs nur zu gut. Unter dem ehemaligen Gladbach-Coach blühte der fünfmalige Nationalspieler Mitte der 90er-Jahre förmlich auf, wurde 1995 Torschützenkönig und zum Nationalspieler.

"Er ist ein grundehrlicher Typ und sehr ehrgeizig. Ich denke, dass er das alles auch von seiner Mannschaft einfordert", erzählt Krauss im Gespräch mit SPOX.

Einfach wird es aber nicht: "Seine Aufgabe in Bochum ist keine leichte, das Bundesliga-Geschäft ist ein anderes, als die Arbeit im Jugendbereich. Aber ich traue ihm das auf jeden Fall zu."

Vorzeigefigur beim DFB

Beim DFB galt Herrlich als eine Art Shootingstar und als Vorzeigefigur. Nach dem Karriere-Ende 2004 machte er schnell seine Trainerscheine.

Er stand Pate für viele soziale und integrative Projekte, wie etwa das Fußballprojekt für den Jugendstrafvollzug "Anstoß für ein neues Leben" der Sepp-Herberger-Stiftung.

Schnell kommen erste Angebote aus dem deutschen Profi-Fußball. Zuletzt vor der Saison vom 1. FC Kaiserslautern. Damals lehnte Herrlich noch ab.

Hospitanz in Barcelona

Jetzt will er sein hochgestecktes Dogma ausgerechnet beim rustikalen VfL Bochum verwirklichen: Die einfachen Dinge gut machen, schneller spielen als bisher und die "Spieler zwingen, sich nach der Ballannahme schneller vom Ball zu trennen".

Im Prinzip so wie der FC Barcelona. Mehrere Wochen hospitierte er beim amtierenden Champions-League-Sieger, sog die Denkweise der Blaugrana auf.

Kein Wunder also, dass sich Herrlich mit dem vom VfL eingeschlagenen Weg, "der unter anderem eine enge Vernetzung zwischen dem Lizenzspieler- und dem Nachwuchsbereich vorsieht", identifiziert.

Hitzfeld als größter Lehrmeister

"Ich hoffe, dass er das seiner Mannschaft weitergibt, was er unter anderem bei Ottmar Hitzfeld und mir gelernt hat", sagt Krauss.

Hitzfeld war Herrlichs größter Lehrmeister, der neue VfL-Coach schwärmt auch heute noch vom Schweizer Nationaltrainer.

"Entscheidend ist, dass du einen Zugang zu den Spielern bekommst. So wie Ottmar Hitzfeld es damals bei uns geschafft hat. Ein Gefühl des Vertrauens, ein offenes Visier, einen respektvollen Umgang mit verschiedenen Kulturen, aus denen die Spieler kommen. Und trotzdem musst du zeigen: Hier habe nur ich den Hut auf!"

Diagnose Gehirntumor

Ein Mini-Hitzfeld für Bochum. Die Verantwortlichen dort wissen, wen sie sich eingekauft haben. "Heiko Herrlich: Der Kämpfer" titelte das Bochumer Vereinsmagazin "Mein VfL".

Ein schönes Bild - und doch so traurig angehaucht. Denn ein Kämpfer war Herrlich nicht nur auf dem Platz. 2000 wurde bei ihm ein bösartiger Gehirntumor diagnostiziert. "Im Mittelhirn, bösartig, inoperabel", erinnert sich Herrlich.

Sechs Wochen lang prasselte die Strahlentherapie auf ihn ein, mergelte den Körper des durchtrainierten Profis aus. Als die körperlichen Leiden besiegt war, kamen die Selbstzweifel.

Den Krebs besiegt

"Ich bekam eine depressive Phase. Ich dachte nur noch: Hauptsache du lebst." Alles andere war ihm egal. Seine Mitmenschen, die abgebrochene Karriere, die ganze Welt. "Ich war nicht mehr gesellschaftsfähig." Erst die Geburt von Töchterchen Noomi half ihm endgültig über die schwerste Phase seines Lebens hinweg.

"Das war natürlich eine schwere Zeit. Er hatte damals auch mit mir telefoniert, ich war einer der Ersten, der es wusste", sagt sich Krauss. Doch Herrlich hat den Krebs besiegt. Mit Bescheidenheit, eisernem Willen und dem festen Glauben an Gott.

Jetzt wartet in Bochum der nächste Kampf. Logischerweise lange nicht so dramatisch, wie ein Gefecht um Leben und Tod, aber auch alles andere als einfach.

Heiko Herrlich weiß nur zu gut, wie er die Dinge einzuordnen hat. Und dass es auch in einer Vita aus der Fußball-Glitzerwelt dunkle Flecken geben kann. "Das Leben ist hart und es besteht aus Arbeit. Nicht aus Gucci und Prada. Der Fußball ist groß, aber im Vergleich zum Leben ist er so was von klein."

Heiko Herrlich im Steckbrief