Manchmal braucht es nicht viel, um für ewige Zeiten als Trottel der Nation zu gelten. Stephen "Steve" McClaren gehört zu den wenigen Menschen, die das sehr schmerzhaft am eigenen Leib erfahren mussten.
Ein bisschen Mladen Petric, noch mehr Scott Carson, ganz viel Regen und ein grässlichbunter Schirm machten einem zwar umstrittenen, aber farblos-unemotionalen Mann zu Englands Staatsfeind Nummer eins.
Charakterlos in der Schmach
Der 21. November 2007 veränderte das Leben von McClaren auf einen Schlag. Englands stolze Nationalmannschaft hatte im heimischen Wembley-Stadion die Qualifikation zur Europameisterschaft 2008 kläglich verspielt, zum ersten Mal seit 24 Jahren. McClaren war ihr Trainer.
Das 2:3 gegen die längst qualifizierten Kroaten, besonders aber die Art und Weise, wie dieses Ergebnis zustand kam und wie zögerlich und charakterlos McClaren mit der Schmach umgehen wollte, löste einen Sturm der Entrüstung aus auf der Insel.
"Viele haben es ihm damals übel genommen, dass er nicht von sich aus zurückgetreten ist. Das hat den Leuten richtig gestunken und die Stimmung aufgeheizt", erinnert sich Matt Hughes von der renommierten "Times" im Gespräch mit SPOX.
Flucht in die Provinz
Die Yellow Press war gnadenlos, teilweise unter der Gürtellinie beleidigend.
Noch in der Nacht nach dem Spiel tobte in den Internet-Foren der Hass, bei der FA gingen Morddrohungen ein gegen McClaren und all jenen, die "McClown" noch länger im Amt halten wollten. Am Morgen des darauffolgenden Tages knickte der Verband ein.
Seither ist der 49-Jährige in seiner Heimat nicht mehr erwünscht. Nicht umsonst führte ihn sein Weg zunächst nach Enschede, 150.000 Einwohner, die holländische Provinz Overijssel. Und jetzt nach Wolfsburg, 120.000 Einwohner, deutsche Provinz am Mittellandkanal.
Das ist seither seine neue Heimat. Seine Familie fühlte sich nicht mehr wohl in England, das Engagement in der gemächlichen Eredivisie bei einem eher mittelprächtigen Klub wurde als Flucht verstanden. Für die McClarens war es der Anfang eines neuen Lebens.
Titelgewinn vor Ajax
Es ist erst zehn Tage her, da trugen ihn seine Spieler in Breda auf Schultern aus dem Stadion. No Names wie Wout Brama oder Cheik Tiote, auch der Ex-Hoffenheimer Wellington verdingte sich zuletzt beim FC Twente.
Die Stars der Mannschaft sind Blaise N'Kufo, weil er Schweizer Nationalspieler ist und Ronnie Stam, weil der einen berühmten Nachnamen trägt und zufällig auch der Bruder von Jaap Stam ist.
Ajax Amsterdam schoss seine Gegner in dieser Saison kurz und klein, am Ende standen 106 erzielte und nur 20 Gegentreffer. Und trotzdem musste Hollands größter Klub den Widerspenstigen vom Land den ersten Titel der Vereinsgeschichte überlassen. Es fehlte ein Punkt, weil McClarens Mannschaft nur zwei von 34 Spielen verlor.
McClaren holt sich seinen guten Ruf wieder
Es war eine der größten Leistungen, die der Fußball in den Niederlanden erleben durfte. Und McClaren war Initiator und Baumeister einer Sensation aus der "Low-Budget-Reihe". "Du musst im Leben auch scheitern, um stärker zu werden", sagte er selbst. "Die Meisterschaft ist der Lohn für alles, was ich und meine Familie durchgemacht haben".
Sein langjähriger Weggefährte Hughes kann das nur zu gut nachvollziehen. "Er hat in Enschede überragende Arbeit abgeliefert und durch den Titelgewinn ein großes Stück an Reputation zurückgewonnen - auch in England. Den Fans hier ist sein Erfolg nicht verborgen geblieben, die Leute sind beeindruckt von seiner Leistung."
In der holländischen Einöde hat er zurückgefunden in die Erfolgsspur, in Wolfsburg soll sein Weg jetzt ähnlich weitergehen. "Bei Twente hatte er alles, was er als Nationalcoach nicht hatte. Ruhe und Zeit und vor allen Dingen: Keine Ansammlung selbstverliebter Stars", so Hughes.
"Wir wollten eine starke Persönlichkeit"
McClaren kam vom FC Middlesbrough, seine bis dato zaghaften Berührungspunkte mit den Glamourboys des Fußballs beschränkte sich auf seine Zeit als Assistenztrainer von Sir Alex Ferguson bei Manchester United.
Er hatte keinerlei Erfahrung im Umgang mit Stars, er konnte ihnen nicht seine Entschlossenheit und viel wichtiger: Glaubwürdigkeit, vermitteln. Mit den kleinen Egos in Enschede kam er viel besser zurecht - der VfL Wolfsburg konnte ein gesunder Mittelweg werden.
"Wir wollten eine starke Persönlichkeit. Das ist er", sagt Wolfsburgs Manager Dieter Hoeneß. Obwohl der eigentlich nicht dafür berühmt ist, starke Persönlichkeiten neben sich zu dulden.
Wie auch damals bei den Three Lions war McClaren auch in Wolfsburg nicht gleich erste Wahl. Erst nachdem Gerard Houllier den Wölfen absagte, orientierten sich die Verantwortlichen nach Holland.
Immerhin attestiert Hoeneß seinem Neuen "menschliche Qualitäten, Fußball-Sachverstand und internationale Erfahrung". McClarens Wirken sei "eine Erfolgsstory" und er selbst "ein guter Typ".
Vorfreude in Wolfsburg
Die Kombination zwischen Werksklub und dem angeblich so drögen McClaren sieht auf den ersten Blick fad aus, dahinter könnte sich aber eine formidable Mischung verbergen. Er will schnell deutsch lernen, seine Frau und die Kinder werden aus Enschede nach Wolfsburg ziehen.
Auch sein zukünftiges Personal findet nur lobende Worte für den neuen Chef. "Ich bin mir sicher, dass die Verantwortlichen den richtigen Mann gefunden haben", sagt Zvjezdan Misimovic.
Zwar tut man als Angestellter immer gut daran, sich so oder ähnlich über seinen Vorgesetzten zu äußern, bei Misimovic hat es aber auch den angenehmen Nebeneffekt, dass der zuletzt durchaus wechselwillige Bosnier seinen bis 2013 datierten Vertrag nun doch erfüllen will.
"Wir freuen uns drauf, dass wir einen neuen Trainer haben. Er hat schon reichlich Erfahrung gesammelt und Erfolge vorzuweisen", sagt Marcel Schäfer im Interview mit "90elf".
Parallelen zu Magath
Vor allen Dingen aber kann McClaren ein Team formen. Eine wichtige Eigenschaft für eine Mannschaft im Umbruch, die auch schon Felix Magath in Wolfsburg bis zur Meisterschaft brachte. Wie Magath gilt auch McClaren als ungeheuer ehrgeizig und ambitioniert.
So ehrgeizig, dass er die Herausforderung Premier League auf jeden Fall noch einmal wagen will. Allerdings erst später, die Offerte von West Ham United hat er mit Leichtigkeit ausgeschlagen.
"Wolfsburg soll ein weiterer Schritt zurück nach England werden. Sein Ziel kann nur sein, irgendwann wieder in der Premier League bei einem der großen Klubs zu arbeiten", sagt Matt Hughes.
"Das Bild vom 'brolly with the wally' (Trottel mit dem Regenschirm) wird es immer geben. Aber Steve McClaren ist ein guter Trainer. Und er wird es den Engländern zeigen."