Mit über 30 Millionen Euro in der Hand plant Felix Magath die Transfer-Offensive. Raul und ein Spielmacher sollen kommen - doch es gibt noch etliche weitere Baustellen. Ein Südamerikaner könnte viele Probleme lösen.
Es war ein unerwarteter Segen inmitten des schweißtreibenden Trainingslagers im österreichischen Irding. Vor dem Testspiel gegen Linz am Mittwochabend (2:0) bekamen die Spieler des FC Schalke 04 von ihrem Cheftrainer Felix Magath den kompletten Tag bis 16.30 Uhr frei.
Einige in der Mannschaft gingen auf eine Radtour, andere unternahmen einen Spaziergang, testeten die Bade- und Saunalandschaft des Teamhotels oder spielten Tischtennis und Golf. Eine willkommene Abwechslung bei all der Plackerei - wahrscheinlich auch für Magath selbst, der so etwas mehr Zeit hatte, um die Planungen für die kommende Saison zu konkretisieren.
Zwar hat Magath den Machtkampf mit Aufsichtsrats-Boss Clemens Tönnies für sich entschieden und weiß nach Horst Heldts Verpflichtung für den Vorstand einen neuen Vertrauten an seiner Seite, doch bei der Suche nach neuen Spielern hat der 56-Jährige noch einige kniffligen Aufgaben zu lösen.
Immerhin: Dank des von Tönnies bewilligten Transfer-Budgets von angeblich 25 Millionen Euro, der aus Hamburg zu erwartenden Ablöse für Heiko Westermann über 7,5 Millionen Euro und durch die eingesparten Lohnkosten nach dem Weggang von Kevin Kuranyi, Marcelo Bordon, Gerald Asamoah und Vicente Sanchez gehört Schalke plötzlich zu den Big Spendern im deutschen Fußball. Außerdem würde ein Verkauf von Rafinha weitere Millionen generieren, obwohl dessen Marktwert nach all den Absagen angeblich interessierter Klubs gesunken sein dürfte.
Aber was genau plant Magath? Der Transfer-Check.
Das Tor
Aktuell: Manuel Neuer, Mathias Schober
Perspektivspieler: Lars Unnerstall
Der einzige Mannschaftsteil, bei dem bereits früh Klarheit bestand. Neuer ist vorerst unverkäuflich und Schober gefällt sich in der Rolle des zuverlässigen Backup-Routiniers. Nur bei der Nummer drei gibt es einen neuen Namen: Der deutsche U-20-Nationalkeeper Mohamed Amsif sucht beim Zweitligisten FC Augsburg einen neue Chance und strebt dort mittelfristig die Jentzsch-Nachfolge an.
Der neue Vertreter des Vertreters heißt Lars Unnerstall, feierte am Dienstag seinen 20. Geburtstag und wurde von Schalkes zweiter Mannschaft hochgezogen.
Das Tor: Neuer, Schober und ein Newcomer
Die Abwehr: Schalkes Zwillings-Sorgenkinder
Das Mittelfeld: Wer wird der neue Maestro?
Der Sturm: Gesucht - ein Brecher für Raul
Innenverteidigung
Aktuell: Christoph Metzelder, Benedikt Höwedes, Kyriakos Papadopoulos, Joel Matip, Tore Reginiussen
Als ob es eines Beweises bedurft hätte, wie tief Schalke letzte Saison in der Innenverteidigung besetzt war, gab der Verein in diesem Sommer mit Westermann, Bordon und Carlos Zambrano gleich drei gelernte Innenverteidiger ab - und nahm als Ersatz lediglich Real-Bankspieler Metzelder sowie den erst seit dem Februar volljährigen Papadopoulos unter Vertrag.
Papadopoulos eilt aus Griechenland der Ruf eines Jahrhundert-Abwehrtalents voraus und er deutet sein immenses Potenzial in der Vorbereitung an. Nur: Ist er schon soweit, um im Notfall einen der gesetzten Innenverteidiger Metzelder/Höwedes zu vertreten?
Sein ebenfalls 18-jähriger Kollege Matip bewährte sich letztes Jahr bereits in der Bundesliga, auch wenn er vorwiegend im defensiven Mittelfeld zum Einsatz kam. Für die kommende Saison ist Matip aber wohl für das Abwehrzentrum eingeplant. Der norwegische Winter-Zugang Reginiussen spielte in den letzten Monaten keine Rolle, umso wichtiger wird für den 24-Jährigen die Vorbereitung.
Was sollte sich tun?
Fast jeder Top-Klub verfügt über eine Vier-Mann-Rotation in der Innenverteidigung. Schalke macht mit Metzelder/Höwedes/Papadopoulos/Matip keine Ausnahme. Außer, dass dass S04-Quartett extrem jung ist, selbst Höwedes wurde erst in diesem Jahr 22. Metzelder verfügt mit seinen 29 Jahren immerhin über Routine, doch angesichts seiner langen Krankenakte bleibt ein Restrisiko.
Sprich: Schalke geht ein Innenverteidiger ab, der sich mit der Reservisten-Rolle anfreundet - aber im Verletzungsfall eine erfahrenere Alternative zu Papadopoulos und Matip darstellt. Magath hingegen sieht offenbar keinen Bedarf, von einem Interesse an einem neuen Spieler für das Abwehrzentrum ist nichts bekannt.
Außenverteidigung
Aktuell: Rafinha, Atsuto Uchida, Tim Hoogland (alle rechts), Christian Pander, Lukas Schmitz (beide links)
Perspektivspieler: Marvin Pachan (rechts)
Schalkes Zwillings-Sorgenkinder. Dass für die linke Seite Verstärkung nötig ist, war spätestens nach der erneuten Verletzung des so anfälligen Pander offensichtlich. Backup Schmitz erledigte seinen Job in der Vorsaison mit viel Herzblut, ein gelernter Linksverteidiger ist er jedoch nicht und erfüllt daher wohl auch nicht die Anforderungen für die Champions League.
Aber auch die rechte Abwehrseite gibt Grund zu Kummer. Die beiden Zugänge Hoogland und Uchida sollten sich angesichts der vermeintlichen Perspektivlosigkeit von Rafinha in einem fruchtbaren Konkurrenzkampf um die offene Stelle bewerben.
Aber: Hoogland droht den Saisonstart wegen einer Kniereizung zu verpassen und Uchida ist von Magaths Trainingspensum derart überfordert, dass er womöglich wegen der hohen Belastung an Grippe erkrankt ist. Der "Kicker" berichtet bei Uchida sogar von "gravierenden athletischen Mängeln".
Was wiederum Magath dazu zwingen könnte, den zum Verkauf stehenden Rafinha beim Saisonauftakt in Hamburg aufzubieten. "Die Position macht mir mehr Sorgen als gedacht", sagt Magath, der nach etlichen Zweifeln an Rafinhas Integrität plötzlich sagt: "Rafinha bauen wir voll ein." Das Problem jedoch: Auch Rafinha plagen Verletzungsprobleme (Wade), weswegen er nicht mit nach Irding gereist war.
Was sollte sich tun?
Die Priorität hat die Linksverteidiger-Position. "Hier sind wir noch nicht so aufgestellt, dass wir in der Champions League antreten können", sagt Magath. Denn während Rafinha trotz disziplinarischer Verfehlungen und fragwürdiger Berufseinstellung internationales Format verkörpert, fehlen links die Alternativen. Pinola wäre ein Kandidat gewesen, doch er blieb lieber in Nürnberg. Für Neu-Mainzer Fuchs wiederum hatte Magath offenbar keinen Bedarf. Umso mehr schmerzt der anbahnende Wechsel von Westermann, der zwar nicht gerne als Außenverteidiger aushalf, seine Aufgabe auf beiden Seiten jedoch sehr ordentlich löste.
Die Kandidaten
Jorge Fucile: Wäre die Ideallösung, von dem Magath sagt: "Ein sehr interessanter Mann." Kann links wie rechts verteidigen, ist zweikampfstark, setzt offensiv Akzente und gehörte bei der WM zu den Leistungsträgern des Überraschungs-Vierten Uruguay. Der Haken: Der 25-Jährige vom FC Porto wird von etlichen Klubs umworben und dürfte nicht unter acht, neun Millionen Euro zu bekommen sein.
Marcel Schäfer: Wurde in Wolfsburg von Magath zum Nationalspieler geformt und zeigte in der Meister-Saison 2008/09 teils überragende Leistungen. Defensiv solide, vorne mit gefährlichen Flanken und Freistößen. Marktwert trotz einer mäßigen Vorsaison: fünf bis sieben Millionen Euro.
Reto Ziegler: Mit einer angeblichen Ablösesumme von vier Millionen Euro recht preiswert. Bereits als ewiges Talent gebrandmarkt, spielte der 24-Jährige eine gute Serie-A-Saison für Sampdoria und gehörte bei der WM zu den Besseren bei der Schweiz. Gelernter Mittelfeldspieler.
Sascha Riether: Ein Typ, der genau in Magaths Beuteschema fällt. Fleißig, bescheiden und taktisch gut ausgebildet. Schalke war bereits vor einem Jahr an ihm interessiert, damals aber stellte sich Wolfsburg quer. Riether sieht sich zukünftig aber nicht als Außenverteidiger, sondern will lieber im zentral-defensiven Mittelfeld auflaufen.
Das Tor: Neuer, Schober und ein Newcomer
Die Abwehr: Schalkes Zwillings-Sorgenkinder
Das Mittelfeld: Wer wird der neue Maestro?
Der Sturm: Gesucht - ein Brecher für Raul
Das defensive Mittelfeld
Aktuell: Ivan Rakitic, Peer Kluge, Christoph Moritz, Jermaine Jones, Vassilios Pliatsikas
Perspektivspieler: Danny Latza
Magath verfügt dank Rakitic und dessen erfolgreicher Transformation vom offensiven zum defensiven Mittelfeldspieler über einen spielstarken, aber mittlerweile auch bissigen Sechser, der nicht zufällig neben Neuer und Metzelder als Kandidat für die Kapitänsbinde gilt.
Aber: Die Alternativen sind für die Champions League zu durchschnittlich (Kluge), zu jung (Moritz) oder haben sich schwer verletzt (Jones, Pliatsikas), weswegen offen ist, in welchem Zustand sie zurückkehren.
Was sollte sich tun?
Die Kernfrage: In welcher taktischen Formation läuft Schalke zukünftig auf? Für das von Magath präferierte 4-4-2 in der Raute bewerben sich Rakitic, Kluge, Jones und wie letztes Jahr Matip um den Posten als alleiniger Sechser, auf den Halbpositionen jedoch sehen sie sich weniger. Rakitic beispielsweise bringt alle Voraussetzungen für eine 7 oder 8 mit, will sich aber auf das zentral-defensive Mittelfeld konzentrieren.
In einem 4-2-3-1 oder in einer flachen 4-4-2 könnten immerhin zwei Sechser zum Einsatz kommen - wobei in diesem Fall der ideale Partner zu Rakitic fehlt. Kluge ist solide, aber doch etwas bieder für höhere Ansprüche, Moritz sowie Matip sind unerfahren und über Jones verbietert sich angesichts seiner 13-monatigen Pause ein endgültiges Urteil.
Verpflichtet Magath daher einen weiteren Mittelfeldspieler, der zentral-defensiv und auf den Halbpositionen gleichermaßen einsetzbar ist? Ein Szenario: Im Zuge der Gehaltskostensenkung wird auch Top-Verdiener Jones abgegeben, die eingesparten Millionen werden in einen weniger talentierten, dafür aber fitten und günstigeren Neuzugang investiert.
Kandidat
Aleksandar Ignjovski: 19-jähriges Talent von Zweitligist 1860 München - und mit einer Ablöse von ein bis zwei Millionen Euro außerdem noch preiswert. Nicht unbedingt der Fein-Techniker, aber ein geborener Leader mit Kämpferherz. Gab nach Lovins Kreuzbandriss den Chef im Mittelfeld und zeigte in 30 Einsätzen meist ordentliche bis gute Leistungen. Wäre im 4-4-2 mit Raute auch eine Option für die Halbpositionen. Neben Schalke sollen jedoch Florenz und Napoli Interesse am serbischen Junioren-Nationalspieler haben.
Das offensive Mittelfeld
Aktuell: Alexander Baumjohann, Junmin Hao, Levan Kenia, Albert Streit, Carlos Grossmüller
Perspektivspieler: Predrag Stefanovic
Für Magath die Schlüsselposition, die es zu besetzen gilt. Immer wieder betonte er in den letzten Monaten, dass ihm nur das Fehlen eines hochkarätigen Spielmachers davon abhielt, dauerhaft auf das 4-4-2 mit Raute umzustellen. Baumjohann sollte sich zu einem solchen entwickeln, aber offensichtlich fehlt nach einem höhepunktlosen ersten Halbjahr auch Magath das Zutrauen in den Ex-Bayern.
Eine zumindest mittelfristig perfekte Besetzung wäre der 19-jährige Kenia, der bereits viele Voraussetzungen für einen Weltklasse-Maestro erfüllt, dem aber andererseits die körperliche Robustheit fehlt. Der Chinese Hao ist ein Mann für die Außen, die jungen Holtby und Moravek wurden zwecks Kader-Entschlackung verliehen. Die aussortierten Millionen-Gräber Streit und Grossmüller sitzen nur noch ihren Vertrag ab.
Was sollte sich tun?
Simpel: Einen neuen Zehner verpflichten. Magath jedoch gibt trotz der zur Verfügung stehenden Millionen zu bedenken: "Es gibt ja nicht mehr viele Spielmacher in dieser Qualität. Einen Top-Mann für diese Position zu verpflichten, ist eine Frage des Preises."
Kandidaten
Zvjezdan Misimovic: Erst unter Magath wandelte sich der schon immer begnadete Misimovic zu einem der besten und vor allem konstantesten Spielmacher Europas. Der Bosnier jedoch liebäugelt angeblich mehr mit Florenz, außerdem wurde er zuletzt von Wolfsburgs Manager Dieter Hoeneß als unverkäuflich deklariert. Oder alles nur Geschacher? Mögliche Ablöse: zwischen zehn und zwölf Millionen Euro.
Ibrahim Afellay: Sollte in Eindhoven ähnlich wie Rakitic zum defensiven Mittelfeldspieler umgeschult werden, seine Stärken liegen aber eindeutig in der Offensive, ob nun hinter den Spitzen oder auf dem linken Flügel. Der 24-Jährige, der Hamburg abgesagt hat, kostet rund zehn Millionen Euro.
Das Tor: Neuer, Schober und ein Newcomer
Die Abwehr: Schalkes Zwillings-Sorgenkinder
Das Mittelfeld: Wer wird der neue Maestro?
Der Sturm: Gesucht - ein Brecher für Raul
Der Sturm
Aktuell: Jefferson Farfan, Erik Jendrisek, Edu, Mario Gavranovic, Besart Ibraimi
Perspektivspieler: Bogdan Müller, Marvin Pourie, David Loheider
So erfreulich die Abgänge der üppig honorierten Kuranyi, Sanchez und Asamaoh aus finanzieller Sicht waren: Plötzlich fehlt im Sturm die Qualität und die Quantität. Neuzugang Jendrisek erwies sich in der vergangenen Saison als zuverlässiger Torjäger, dies jedoch nur für Kaiserslautern in der 2. Liga. Bei der WM, seiner ersten Bewährungsprobe auf höchstem Niveau, spielte der Slowake unscheinbar. Im Duell der Backup-Stürmer hinterlässt Gavranovic einen wesentlich besseren Eindruck als Ibraimi, der angeblich wegen desolater Trainingseindrücke nicht mit ins Vorbereitungslager durfte.
Der einzig verbleibende Top-Stürmer Farfan plagt sich wiederum mit Muskelproblemen und hat massig Kredit verloren, nachdem er unentschuldigt die erste Trainingswoche verpasste. Dass Magath den Peruaner plus eine Ablöse im Tausch für Misimovic angeboten haben soll, verwundert daher nicht.
Der Gewinner im Sturm heißt daher: Edu. Der immer etwas ungelenk wirkende Brasilianer erzielte beim 2:0 gegen Linz beide Tore, genauso wie den Siegtreffer beim 1:0 gegen den polnischen Pokalsieger Bialystok.
Was sollte sich tun?
Sollte der Raul-Wechsel wie erwartet vollzogen werden und Magath tatsächlich auf ein 4-4-2 mit Raute umstellen, fehlt Schalke ein großer, kantiger Stoßstürmer, der anders als der technisch beschlagene, dafür nicht besonders robuste Raul eine physische Präsenz ausstrahlt. Farfan hingegen könnte mit seiner Statur und Spielanlage zu sehr dem Spanier ähneln.
"Wir werden auf jeden Fall noch einen zweiten Angreifer verpflichten. Welcher das sein wird, hängt davon ab, ob Raul zu uns kommt oder nicht", sagt Magath.
Kandidaten
Raul: Anfangs wurde es als ein haltloses Gerücht eingeschätzt, zu unwirklich erschien es, dass einer der größten spanischen Fußballer aller Zeiten es nur erwägen würde, in den Ruhrpott zu ziehen. Nach erfolgreichen Verhandlungsrunden scheint ein Wechsel aber plötzlich nur noch Formsache zu sein. Raul ist ein Strafraum-Fuchs und steht für Tore, andererseits wurde er letzten Monat 33 Jahre alt und besitzt nicht mehr die Spritzigkeit vergangener Tage. Dennoch sagt Magath: "Er spielt eine wichtige Rolle in meinen Planungen. Ich würde ihn in den Mittelpunkt meiner Offensive stellen."
Guillaume Hoarau: Wäre eine gute Lösung, um den freien Posten des Sturmbrechers zu besetzen. Gehandicappt von einem Innenbandriss im Knie erzielte der 1,91 Meter große Angreifer von Paris Saint-Germain letzte Saison lediglich sechs Tore in 22 Spielen, im Jahr davor wies der 26-Jährige mit 17 Treffern (33 Spiele) seine Gefährlichkeit aber bereits nach. Veranschlagte Ablöse: zehn Millionen Euro.
Das Tor: Neuer, Schober und ein Newcomer
Die Abwehr: Schalkes Zwillings-Sorgenkinder