Altbewährtes und ein neues System

Stefan Rommel
10. August 201019:11
Thomas Schaaf ist seit 1999 Cheftrainer bei Werder. Zuvor coachte er das Amateurteam der BremerGetty
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Nach vielen Jahren im 4-4-2-System mit Raute hat Werder Bremens Trainer Thomas Schaaf in der vergangenen Saison auf mehr Flexibilität gesetzt. Jetzt will Schaaf das variable Spiel seiner Mannschaft um eine Facette erweitern. SPOX zeigt, welche taktischen Varianten Werder Bremen hat.

Mit einem großen Kader geht Thomas Schaaf in die neue Saison. 33 Profis hat Schaaf nominell im weiteren Kreis der ersten Mannschaft, darunter insgesamt 19 Mittelfeldspieler und Angreifer.

Sehr auffällig ist dabei das bisher dezente Vorgehen auf dem Transfermarkt. Bremen baut sein Stadion weiter um, dazu steht der eine oder andere Spieler noch auf der Gehaltliste, der da eigentlich nicht mehr stehen sollte.

Große finanzielle Sprünge sind deshalb nach einem Jahr ohne Champions-League-Gelder nicht möglich. Lediglich der Wechsel von Marko Arnautovic ließ die Konkurrenz aufhorchen. Bis jetzt.

Özils Zukunft weiter offen

Denn Mesut Özils Zukunft bestimmt einige Amtshandlungen in der näheren Zukunft doch nachhaltig. Geht der Regisseur, ist sofort wieder frisches Geld da, um etwa auf der Außenverteidigerposition noch nachzubessern. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Außerdem zieht sich der Transfer des Brasilianers Wesley jetzt auch schon einige Zeit hin, ohne dass Werder Vollzug melden könnte.

Ungeachtet der noch zu lösenden Personalfragen peitscht Trainer Schaaf sein Pensum auf dem Trainingsplatz weiter durch, probiert neue Systeme, stellt Spieler um und integriert die WM-Fahrer nach und nach.

Längst weg von der Mittelfeld-Raute

Bis vor gut einem Jahr war Werders Spielsystem ein auf einen zentralen Regisseur zugeschnittenes 4-4-2 mit Raute. Erst Johan Micoud, später Diego prägten fast eine Dekade.

Dann verschrieb Schaaf seiner Mannschaft mehr Flexibilität - und will dieses variable Spiel in der kommenden Saison offenbar noch um eine Facette anreichern.

Werders Spielsysteme und das dazu passende Personal im Überblick.

Werder Bremen im 4-2-3-1:

Nach einer mehrwöchigen "Testphase" hat sich dieses System im Laufe der letzten Hinrunde etabliert. Damit bestritt Werder den "Bremer Herbst" mit 21 Pflichtspielen am Stück ohne Niederlage.

Torhüter Tim Wiese ist unantastbar. Der Nationalspieler ist zwar erst seit ein paar Tagen wieder im Training und kassierte gleich im ersten Spiel nach seinem Urlaub gegen Fulham fünf Stück, trotzdem ist Wiese natürlich die absolute Nummer eins in Bremen.

Dahinter hat Christian Vander weiter den zweiten Startplatz - auch wenn Sebastian Mielitz etwas nähergerückt ist. Torhüter Nummer vier bleibt Felix Wiedwald.

Die Abwehr ist dieselbe geblieben wie im letzten Jahr - was allerdings nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal sein muss. Es ist auch den eher durchschnittlichen (Offensiv-)Leistungen der beiden Außenverteidiger Sebastian Boenisch und Clemens Fritz geschuldet, dass Werder nur noch sehr selten auf das 4-4-2 zurückgreift.

Das Mittelfeld mit insgesamt fünf Spielern ist das Herz des Systems. Bei drei offensiv ausgerichteten Mittelfeldspielern ist die defensive Absicherung noch wichtiger als in jeder anderen Variante. Neben Routinier Torsten Frings hat sich der bissige Philipp Bargfrede längst als unverzichtbar erwiesen und gestandenen Spielern wie Tim Borowski oder Daniel Jensen im Zentrum den Rang abgelaufen.

Davor spielen Aaron Hunt, Mesut Özil und Marko Marin variabel, rochieren viel, lassen sich mal fallen, mal gehen sie abwechselnd mit in die Spitze. Das schafft jede Menge Räume und ist schwer auszurechnen. Besonders den spiel- und dribbelstarken Mittelfeldspielern Marin und Hunt kommt ihre offensive Ausrichtung zugute.

Zudem macht es den Mittelfeldblock in der Defensive kompakter, wenn sich zumindest zwei der drei Künstler nur ein paar Meter fallen lassen und so die beiden Sechser unterstützen. Die Außenspieler übernehmen den Job der Außenverteidiger zum Teil mit.

Sollte Özil den Verein doch noch verlassen, steht mit Hunt bereits dessen Nachfolger als Spielgestalter im Kader. In der Vorbereitung zeigte Hunt durchaus, dass er in die Rolle hineinwachsen kann.

Mit Claudio Pizarro steht im Angriff ein technisch starker Stürmer, der sowohl im Spielfluss eingebunden werden kann als auch bei der gewöhnlichen Flanke aus dem Halbfeld gefährlich wird.

Für das etablierte Personal ist das 4-2-3-1 das geeignetste Konzept, zumal Arnautovic sowohl im offensiven Mittelfeld als auch in vorderster Front eingesetzt werden kann und mindestens eine gute Option ist - wenn nicht sogar mehr. Dazu muss er aber sein selbstbezogenes, eigensinniges Spiel ändern und mannschaftsdienlicher machen.

Ein Problem: Mindestens drei Stürmer sitzen hier nur auf der Bank. Neben Arnautovic trifft es auch noch Hugo Almeida und Sandro Wagner. Völlig raus ist Markus Rosenberg, der bei einem entsprechenden Angebot den Verein sofort verlassen kann.

Ein anderes Problem: Arnautovic hat schon in den ersten Wochen für Stunk gesorgt und steht durch seine hohe Ablösesumme (sechs Millionen Euro) zusätzlich unter Druck. Der Österreicher ist ein Mysterium, weil er so begabt und doch so uneinsichtig ist und muss sich ganz schnell in seine Rolle einfinden, um nicht noch mehr Unruhe in die Mannschaft zu tragen.

Werders Varianten: 4-4-2 und 4-3-3

Werder im 4-4-2:

Die Ausweich-Variante, die nur noch in seltenen Fällen zum Einsatz kommt. Zuletzt funktionierte die Aufteilung in der sehr starken ersten Halbzeit beim Test gegen Fulham aber sehr gut.

Besonders die Doppel-Sechs und Hunt fanden gut zueinander, das Bremer Eigengewächs interpretierte seine Rolle ähnlich wie Özil, auf halblinks oder im Zentrum hinter den Spitzen. Weitere Alternativen für die Offensive sind Borowski und Jensen. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Eine wichtigere Rolle im Offensivspiel kommt hier den Außenverteidigern zu, die mehr nach vorne machen müssen. In der Zentrale fehlt ein Spieler, was auch für die beiden Sechser mehr Arbeit bedeutet, zudem kann es wegen der geänderten Raumaufteilung öfter nicht mit den Abständen zwischen den Mannschaftsteilen oder einzelnen Spielern passen.

Ein Vorteil für das traditionell offensiv geprägte Bremer Spiel ist der zweite Stürmer als Unterstützung für Pizarro. Almeida passt derzeit am besten zum Peruaner, weil er neben Pizza noch Robustheit, Schnelligkeit und Wucht mitbringt.

Der Portugiese pokert derzeit auch um einen neuen Vertrag, Gerüchte etwa über einen Wechsel zu Lazio Rom scheinen eher bewusst gestreut als wirklich ernsthaft zu sein. Die Bereitschaft Almeidas, bei Werder zu bleiben, ist auf jeden Fall da.

Arnautovic ist Pizarro vom Spielertyp sehr ähnlich und annähernd so schussgewaltig wie Almeida. Seine Eskapaden verschlechtern die Chancen des Österreichers aber enorm. Marin als zweite Spitze, wie zum Beginn der letzten Saison öfters probiert, kommt eher nicht mehr in Frage.

Werder im 4-3-3:

Trainer Schaaf ließ in der Vorbereitung noch ein System einstudieren, das allerdings gerade für eine Mannschaft wie Werder Bremen viele Gefahren in der Rückwärtsbewegung birgt.

Besonders gegen Fulham war es geradezu offensichtlich, wie nach der Umstellung von 4-4-2 auf 4-3-3 die Balance zwischen den Mannschaftsteilen völlig weg war und die alten Werder-Klassiker auftraten: Eine zu hoch stehende Abwehr, ohne Unterstützung aus dem defensiven Mittelfeld.

Die Folge waren zu viele Kontersituationen für den Gegner, der die Bremer einige Male förmlich überrannte, um dann zu Eins-zu-eins-Situationen vor Wiese zu kommen.

Offensiv könnte die Variante enorm viel Druck auf den Gegner ausüben. Mit Marin (links), Arnautovic (rechts) und Pizarro (zentral) wirbeln vorne drei Spieler, dahinter lenkt Özil (oder Hunt) das Spiel aus der Mitte.

Jetzt sind aber zwei echte Abräumer dahinter nötig, die nur Bargfrede und Frings heißen können. Für Borowski , Jensen oder Hunt bleibt dann kein Platz - auch wenn Hunt in der Vorbereitung selbst auf der Position ganz gute Ansätze zeigte.

Die Abwehr muss sich auf mehr Arbeit einstellen. Prödl, der die komplette Vorbereitung absolviert hat, war damit gegen Fulham aber ziemlich überfordert und Sinnbild der Bremer Orientierungslosigkeit.

Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass die Offensivspieler ihren defensiven Aufgaben so gut wie gar nicht mehr nachkamen und die Abwehr nur die letzte Instanz war, die dem Gegner dann vollkommen chancenlos ausgeliefert ist.

Nach derzeitigem Stand der Dinge kann das 4-3-3 keine Variante zum Spielbeginn sein, weil es viel zu risikoreich ist. Außerdem konnte der Plan durch die kurze Vorbereitung, einige Verletzungen und den verspäteten Einstieg der WM-Teilnehmer nicht optimal einstudiert werden.

Sehr wahrscheinlich will Schaaf mit dem 4-3-3 die Möglichkeit haben, auf bestimmte Spielsituationen (einen Rückstand) mit spielerischen Mitteln zu antworten und die gute alte Brechstange nur noch in Ausnahmefällen bemühen.

Dann ist eine Umstellung auf 4-3-3 durchaus sinnvoll, die Spieler kennen das System und ihre Lauf- und Passwege dann zumindest in Ansätzen. Werder will nach dem festgefahrenen 4-4-2 mit Raute noch um eine Option flexibler werden.

Hier geht es zurück zu Teil eins: Werder im 4-2-3-1