SPOX: Philipp Wollscheid, Sie sind eine der großen Entdeckungen dieser Bundesliga-Saison. Nach einer Karriere im Profi-Fußball sah es für Sie allerdings lange nicht aus.
Philipp Wollscheid: Da ist was dran. Mein Karriereverlauf ist schon eher ungewöhnlich. Bis ich 18 war, habe ich nur in Dorfvereinen gespielt. Man kann schon sagen, dass ich darum kämpfen musste, überhaupt die Chance zu kriegen, mal in den Profi-Fußball hineinzuschnuppern.
SPOX: Als Sie 20 waren, hat Ihnen Ihr damaliger Verein 1. FC Saabrücken mitgeteilt, dass man Ihnen nicht zutraut, sich in der Regionalliga durchzusetzen.
Wollscheid: Dort sollte ich nur noch in der Verbandsliga spielen. Perspektivspieler in der zweiten Mannschaft haben sie das genannt.
SPOX: Der Traum vom Profi-Fußball schien damit schon geplatzt, ehe er überhaupt begonnen hatte.
Wollscheid: Es war natürlich nicht leicht, aber aufgeben kam für mich nicht in Frage.
SPOX: Was haben Sie getan?
Wollscheid: Als Oberliga-Spieler, der in Saarbrücken auch erst zum Ende hin zum Einsatz kam, war ich nicht so gefragt. Es lagen keine Angebote auf dem Tisch. Deshalb musste ich mir etwas überlegen. Zusammen mit meinem Berater Guido Nickolay habe ich dann entschieden, mich über Probetrainings bei anderen Klubs zu empfehlen. Und in Nürnberg hat das dann zum Glück auch gleich geklappt.
SPOX: Die Initiative für den Wechsel nach Nürnberg ging also eher von Ihnen aus?
Wollscheid: Ich hatte zunächst keine Anfrage vom Club. Mein Berater hat in Nürnberg dann einfach mal angefragt, ob er mich ins Probetraining schicken darf. Ich habe drei Tage mittrainiert und offenbar einen guten Eindruck hinterlassen. Der Club entschied sich, mir ein Angebot zu machen, das ich nach kurzer Überlegung angenommen habe. Mike Frantz, den ich aus Saarbrücken kannte, hat mir ein bisschen was über den Club und die Leute hier erzählt. Er meinte, das sei genau das Richtige für mich. Und das hat sich im Nachhinein ja auch bestätigt.
SPOX: Sie haben lange in kleinen Vereinen gespielt und von der intensiven Nachwuchsförderung im deutschen Fußball deshalb nur wenig mitbekommen.
Wollscheid: Dinge wie Nachwuchsleistungszentrum oder Jugendinternat sind an mir vorbeigegangen. Es geht anscheinend auch ohne, aber es fehlt einem dann doch einiges, vor allem im körperlichen oder taktischen Bereich.
SPOX: Zum Beispiel?
Wollscheid: Ich hatte vor dem Wechsel nach Nürnberg beispielsweise noch wenig Ahnung, wie das in der Viererkette alles zu funktionieren hat. Ich habe früher im Mittelfeld gespielt. In Saarbrücken bin ich in die Innenverteidigung gerutscht und habe da dann einfach gespielt. Aber so richtig gelernt habe ich das nicht. Da hat mir Nürnbergs U-23-Trainer Rene Müller schon viel beigebracht.
SPOX: Kein Fußball-Internat, kein Nachwuchsleistungszentrum - sind Sie froh, dass Sie eine "normale" Jugendzeit hatten, wenn Sie sehen, worauf viele Ihrer Kollegen verzichten mussten?
Wollscheid: Ich hatte damals natürlich auch nicht die Chance, zu einem Bundesliga-Verein zu gehen. Aber wenn ich sie gehabt hätte, hätte ich es wohl nicht durchgezogen.
SPOX: Warum?
Wollscheid: Der 1. FC Kaiserslautern war der große Verein bei uns in der Gegend. Ich habe das teilweise mitbekommen, wenn die Leute mit 14 oder 15 von zuhause weggegangen sind und ihren Freundeskreis zurücklassen mussten. Dazu wäre ich in dem Alter nicht bereit gewesen, glaube ich. Für mich war meine Jugendzeit sehr wichtig, ich möchte diese Zeit nicht missen. Ich bin in geordneten Verhältnissen aufgewachsen. Ich bin froh, dass ich solange zuhause wohnen und mit meiner Familie und meinen Freunden zusammen sein konnte. Das war sehr wichtig für mich, auch wenn ich dadurch fußballerisch sicher etwas verpasst habe.
SPOX: 2009 haben Sie Ihre Heimat dann Richtung Nürnberg verlassen und spätestens jetzt hat sich die Entscheidung auch ausgezahlt. Seit der Rückrunde sind Sie Stammspieler. Mit Ihnen ist der Club die zweitbeste Rückrunden-Mannschaft und stellt die zweitbeste Abwehr der Liga. Das scheint auch an Ihnen zu liegen.
Wollscheid: Das würde ich jetzt nicht so sagen. Wir sind als Mannschaft viel stabiler geworden. Das hängt eher weniger mit einzelnen Personalien zusammen. Wir funktionieren als Team sehr gut und verstehen uns auch außerhalb des Platzes hervorragend. Das ist auch unserer Erfolgsgeheimnis.
SPOX: Jetzt stellen Sie Ihr Licht aber schon ein wenig unter den Scheffel.
Wollscheid: Es ist nun mal so, dass ich mir nicht so viele Gedanken über mich selbst mache. Ich tausche mich regelmäßig mit den Trainern und Mitspielern darüber aus, was okay war und was man noch besser machen muss. Und da gibt es immer einiges zu tun.
SPOX: Auf dem Platz sind Sie weniger zurückhaltend. Sie dirigieren Ihre Nebenleute auch oder geben lautstark Kommandos.
Wollscheid: Als ich im Winter 2010 erstmals bei den Profis im Trainingslager dabei gewesen bin, haben mir hinterher Presse-Leute gesagt, dass hier ein junger Spieler lange nicht mehr so selbstbewusst aufgetreten ist. Das war mir gar nicht so bewusst. Ich bin eben der Meinung, dass auf dem Platz alle gleich sind. Und deshalb darf und muss ein 17-Jähriger auch einem 34-Jährigen mal ein Kommando geben, wenn er etwas sieht. Da mache ich mir keine Gedanken, wie die Außendarstellung dabei ist. Das ist mein Verständnis vom Fußball, dass man sich auf dem Platz gegenseitig coachen muss. Und dabei spielt alt oder jung überhaupt keine Rolle.
SPOX: Sie haben in Ihren ersten Spielen gleich gegen Weltstars wie Raul oder Ruud van Nistelrooy gespielt. Spielt es auch keine Rolle, wer Ihnen da gegenüber steht?
Wollscheid: Im Spiel habe ich keine Hemmungen. Da ist mir egal, wer mein Gegenspieler ist. Da bin ich auch genug mit meiner Mannschaft und mir beschäftigt. Ich merke auch gar nicht, ob ich jetzt gegen einen Spieler von Weiden oder gegen einen von Hamburg oder Schalke spiele. Hinterher denke ich aber schon mal: Ist ja cool, jetzt habe ich gegen einen Star wie Raul gespielt.
SPOX: Nach dem Pokalspiel auf Schalke haben Sie sich sein Trikot geschnappt.
Wollscheid: Eigentlich wäre ich natürlich lieber mit einem Sieg nach Hause gefahren, als mit seinem Trikot. Aber Raul ist ein Riesen-Spieler und es machte mich schon stolz, dass er mir sein Trikot gegeben hat.
SPOX: Haben Sie als Kind für ihn geschwärmt?
Wollscheid: Wie bei vielen war mein Idol früher Zinedine Zidane. Ich habe ja auch im Mittelfeld gespielt, von daher hat das auch gepasst. Auch wenn ich wusste, dass er für mich unerreichbar ist. (lacht)
SPOX: Jetzt sind Sie Abwehrspieler. An welchem Kollegen orientieren Sie sich jetzt?
Wollscheid: Ich versuche natürlich überall etwas mitzunehmen, vor allem bei den langen, schlaksigen Typen, wie ich selbst einer bin. Sami Hyypiä gefällt mir zum Beispiel sehr gut. Er ist zwar nicht mehr so schnell, aber von seinem Passspiel von hinten raus kann man sich einiges abschauen. Auch wie sich andere lange Verteidiger gegen kleine, wuselige Stürmer verhalten, beobachte ich sehr genau.
SPOX: Dieter Hecking hat Sie vor einiger Zeit mal mit dem jungen Per Mertesacker verglichen.
Wollscheid: Er ist sicher auch ein Spieler, an dem man sich orientieren kann. Ich habe ja ähnliche körperliche Voraussetzungen wie er und schaue deshalb schon auch genau hin, wenn ich ihn sehe.
SPOX: Bei allem Respekt vor Hyypiä oder Mertesacker, aber will man als junger Spieler nicht eher sein wie Pique, Vidic oder früher Cannavaro?
Wollscheid: Mit Cannavaro kann ich mich ja nun gar nicht vergleichen.
SPOX: Weshalb?
Wollscheid: Der ist ja einen halben Meter kleiner als ich (lacht). Es macht doch keinen Sinn, sich an einem Spieler zu orientieren, der ganz andere körperliche Voraussetzungen hat als man selbst. Deshalb gucke ich eher auf die langen Leute. Pique gehört da ganz sicher auch dazu. Sein Passspiel ist überragend.
Das ist Philipp Wollscheid