Eigentlich sprach alles für einen flauschigen Vormittag an der Säbener Straße. Der Himmel präsentierte sich im schönstem Blau, die Vögel pfiffen ihre Frühlingslieder von den Bäumen, die Angestellten des FC Bayern grinsten vergnügt und Hermann Gerland stellte wie immer seine Hütchen auf den Trainingsplatz.
Frostig war die Stimmung nur im fensterlosen Presseraum. Um 12 Uhr, high noon quasi, schritten Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Karl Hopfner und Christian Nerlinger vor die Presse und verkündeten das Aus von Louis van Gaal. Zum zweiten Mal.
Der finale Schritt der sofortigen Beurlaubung sei als "Ausdruck der Unzufriedenheit und Sorge" zu sehen, sagte Rummenigge. Der Effekt, den man sich vor einem Monat durch van Gaals Vertragskürzung bis Saisonende erhofft hatte, sei nicht eingetreten.
"Die Blockade, die wir bei den Spielern festgestellt haben, ist nicht gelöst worden", berichtete der Vorstandsboss und fasste anschließend zusammen: "Wir haben zu dieser Entscheidung keine Alternative mehr gesehen."
Hoeneß beißt die Zähne zusammen
Uli Hoeneß saß während Rummenigges Ausführungen farblos daneben und biss die Zähne zusammen. Seine Unterlippe beschrieb dabei einen formidablen Abwärtsbogen, seine Augen blickten unstet im Raum umher. Bis Hoeneß selbst das Wort ergriff und dem Tribunal, das die vier Herren auf dem Podium bereits physisch verkörperten, eine Stimme gab.
"Ich sehe seit Weihnachten ein riesiges Problem", begann Hoeneß seinen fast zweiminütigen Monolog und machte anschließend keinen Hehl daraus, wie sehr ihm der Trainer in letzter Zeit ein Dorn im Auge gewesen war.
"Mit der Entscheidung, Jörg Butt aus dem Tor zu nehmen, ging die Scheiße los, auf Deutsch gesagt", polterte es vom Podium. "Der gestrige Tag war das Ende eine Kette und deswegen musste der Vorstand reagieren, denn das kann man sich nicht länger anschauen."
Kraft-Patzer "Ironie des Schicksals"
Mit der Torhüterentscheidung hatte van Gaal laut Hoeneß angefangen, sich sein eigenes Grab zu schaufeln. Dass Butts Nachfolger Thomas Kraft nach Hannover nun auch in Nürnberg patzte, nannte Rummenigge süffisant "Ironie des Schicksals".
Dennoch wirkte Hoeneß' Begründung ein wenig konstruiert. "Grundsätzlich liegt die Aufstellung in der Trainerkompetenz", hatte Rummenigge zuvor noch gesagt. Wieso wird dem Trainer dann von oben in selbige reingeredet und ihm ein Strick daraus gedreht, wenn er den "Rat" des Vorstands nicht befolgt?
Den Fehler von Kraft in Nürnberg als Anlass zu nehmen, hat jedenfalls im Nachhinein etwas von Besserwisserei. Nach dem Motto: Ich hab's ja gleich gesagt.
Van Gaal für Fan-Unruhe verantwortlich?
Hoeneß verkündete am Sonntag: "Wir wollen mit unserer Kritik nicht ins Detail gehen, wir müssen sachlich bleiben." Trotzdem machte der Präsident den scheidenden Trainer gleich für eine Reihe von Vorkommnissen verantwortlich.
Durch die Kraft-Entscheidung sei "Unruhe in der ganzen Abwehr entstanden. Und vor allem das Thema mit Manuel Neuer hätte sich hier nie so hochgeschaukelt. Wir hätten nie ein Problem in der Südkurve bekommen", meinte Hoeneß. "Wir haben uns also Probleme gemacht, die völlig unnötig waren und den ganzen Verein durcheinander gebracht haben."
Der Schuldige ist aus Sicht des Vorstands und des Präsidenten in van Gaal gefunden: "Er ist genau auf diese Problematik vom gesamten Vorstand hingewiesen worden. Er hat nichts daraus gelernt. Er hat unseren Rat, dieses Thema wirklich genau zu beachten, nicht angenommen. Gestern war das Fass übergelaufen. Es gibt da einen Spruch: Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht. Gestern ist er gebrochen", schloss Hoeneß.
Spieler pro van Gaal? "Das ist ein Märchen"
Warum der Vorstand van Gaal allerdings nicht schon vor vier Wochen entlassen hatte, darauf konnte keiner der anwesenden Herren eine vernünftige Antwort geben - die Interimslösung Andries Jonker wäre schließlich auch damals schon verfügbar gewesen.
"Eigentlich war es unser Wille, diese Saison mit Louis van Gaal zu Ende zu spielen, allerdings unter einer Kondition: Dass dieser dritte Platz nicht extrem infrage gestellt wird", führte Karl-Heinz Rummenigge an. Die Beurlaubung habe van Gaal im Übrigen "professionell und ohne emotionale Regung" aufgenommen.
Der Niederländer hatte zuvor stets betont, keinen Grund für einen Rücktritt zu sehen, solange er noch das Vertrauen der Spieler habe. "Dass die Spieler hinter ihm standen, ist ein Märchen", meinte Hoeneß nun. Rummenigge wollte Gerüchte, dass Spieler selbst zum Vorstand gekommen seien und für eine Ablösung des Trainers appelliert hätten, "zumindest nicht dementieren".
Hoeneß: "Zwangsjacke abstreifen"
Dass Mario Gomez sich zuletzt öffentlich Sorgen über die Außendarstellung des Vereins gemacht hatte, quittierte Hoeneß eiskalt. "Zunächst sollten sich die Spieler um ihre eigene Form kümmern. Wenn sie Probleme haben, die sich nicht auf den Sportplatz beziehen, dann können sie gerne zu uns kommen und sich aussprechen."
Ansonsten seien die Spieler dazu aufgefordert, ihren Teil dazu beizutragen, die Außendarstellung des Vereins zu optimieren - "denn da hat es in den letzten Wochen an einigem gefehlt". Ebenso gefehlt habe dem FCB seit langer Zeit der Spaß. "Nicht nur bei uns, auch bei den Spielern", sagte Hoeneß, der nun eine "Explosion" erhofft.
"Ich erwarte, dass die Zwangsjacke, in der die Spieler seit Monaten stecken, abgestreift wird. Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass wir schon am Sonntag eine andere Mannschaft sehen werden", so der Präsident, der bei dem "ein oder anderen Spieler" in den letzten Wochen die "pure Angst" im Nacken bemerkt haben will. "Ich gehe davon aus, dass diese Angst sofort beendet ist."
Jonkers "bemerkenswerte Antrittsrede"
Dass mit Andries Jonker nun ausgerechnet van Gaals langjähriger Weggefährte die Wende zum Guten bringen soll, verwundert dann aber doch.
"Es ist für ihn ein großer Schritt, seine Karriere ist sehr eng mit der von Louis van Gaal verbunden. Aber er musste nicht lange überlegen. Er ist hundertprozentig davon überzeugt, dass wir alle gemeinsam unser Ziel, den dritten Platz, erreichen werden. Genauso sind wir davon überzeugt", sagte Sportdirektor Christian Nerlinger.
Laut Rummenigge habe Jonker bereits vor der Mannschaft eine "bemerkenswerte Antrittsrede" gehalten. "Er hat gesagt, dass er das Gute übernehmen werde, aber auch Dinge ändern werde, die seiner Meinung nach zu ändern sind", so Rummenigge, der als Interimslösung einen Mann haben wollte, "der die Verhältnisse kennt und weiß, was in dieser Situation zu ändern ist".
Jonker zukünftig Amateurtrainer - Butt wieder zurück ins Tor?
Was Jonker konkret ändern will, habe er der Mannschaft schon mitgeteilt. Der Öffentlichkeit wollte Rummenigge dies allerdings nicht preis geben.
Wohl aber, dass Jonker im Gegensatz zu van Gaal und den mit ihm beurlaubten Assistenten Frans Hoek, Jos van Dijk und Max Reckers eine Zukunft bei Bayern haben könnte.
Rummenigge: "Wir können uns vorstellen, dass er im nächsten Jahr die Amateurmannschaft übernimmt. Hermann Gerland wird zweiter Assistent bei Jupp Heynckes werden. So ist es geplant."
Ob nun auch wieder ein Torhüterwechsel weg von Kraft und hin zu Butt geplant ist, wollte niemand bestätigen. "Das weiß ich doch nicht", sagte Hoeneß schmallippig. Seine Augen sagten jedoch etwas anderes.
Der Kader des FC Bayern München
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