Borussia Mönchengladbach hat mit dem überraschenden 1:0-Sieg beim FC Bayern München für Aufsehen gesorgt und seine Fans in Ekstase versetzt. Max Eberl sieht das Ganz eher nüchtern. Im SPOX-Interview spricht der Sportdirektor der Borussia über den Coup in München, aber auch über die Zukunftspläne des Klubs. Zudem bricht er eine Lanze für Trainer Lucien Favre.
SPOX: Herr Eberl, schön gefeiert nach letztem Sonntag?
Max Eberl: Nein. Wieso?
SPOX: Erster Sieg in München seit 16 Jahren, zweiter Sieg überhaupt erst, gelungener Saisonstart - das wären Gründe.
Eberl: Solche Statistiken sind für die Fans wunderschön, aber wir feiern erst am Ende der Saison, wenn wir was erreicht haben.
SPOX: Letzte Saison ging es mit einem 6:3-Sieg bei Bayer Leverkusen am zweiten Spieltag ähnlich gut los - dann folgte ein gewaltiger Einbruch.
Eberl: Wir werden aus diesem Sieg in München die Essenz ziehen. Es kommt in jedem Spiel auf die Leistung an, wir fangen gegen Stuttgart wieder bei Null an. Wir dürfen nicht meinen, wir hätten schon was geschafft und es ginge jetzt vielleicht mit weniger Einsatz.
SPOX: Andersrum gefragt - kann die Mannschaft solche Erfolge nach der turbulenten letzten Saison etwas besser einordnen?
Eberl: Fragen Sie mich das nach dem nächsten Spiel noch mal! (lacht) Im Ernst: Ich denke schon, dass die Mannschaft das gut einordnen kann. Wir haben schon in der Rückrunde gesehen, dass sie nach Siegen gegen Dortmund oder Hannover ruhig weitergearbeitet hat. Klar, damals ging es in jedem Spiel ums Überleben. Aber es zeigte, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
SPOX: Gegen Stuttgart hätte die Mannschaft was gutzumachen.
Eberl: Das Rückspiel gegen Stuttgart war ein Spiegelbild der ganzen letzten Saison. Wir haben zur Halbzeit 2:0 geführt, waren zu dem Zeitpunkt beste Rückrundenmannschaft. In der zweiten Halbzeit haben wir dann mit Angst im Nacken das 2:2 bekommen. Dann wurde uns ein berechtigtes Tor aberkannt, im Gegenzug gab es einen unberechtigten Elfmeter inklusive Platzverweis. Dieses Spiel beschrieb in 90 Minuten, was wir die ganze Saison über erlebt haben.
SPOX: Und das Hinspiel, das 0:7?
Eberl: Ein Debakel, bei dem man sich nach wie vor bei allen, die dabei waren, nur entschuldigen kann. Das hatte mit Bundesliga-Fußball nicht viel zu tun.
SPOX: Marc-Andre ter Stegen war in München bärenstark. Erklären Sie mal, warum der Junge schon im jungen Alter so abgeklärt ist.
Eberl: Er lebt von seiner inneren Ruhe und seiner Stabilität. Er vertraut auf das, was er kann - und das ist eine Menge. Wir haben ihn in der letzten Saison als dritten Torhüter dazu genommen, obwohl er noch in der A-Jugend hätte spielen können. Wir haben ihn auf die nächste Stufe gehoben, um seine Förderung - und damit auch Forderung - weiter voran zu treiben.
SPOX: Was zeichnet ihn aus Ihrer Sicht besonders aus?
Eberl: Als früherer Feldspieler ist er fußballerisch mit beiden Füßen sehr stark und damit auch wie Manuel Neuer ein offensiver Torwart, der vieles schon im Vorhinein erkennt. Er wird auch mal Fehler machen und mal eine falsche Entscheidung treffen, aber er ist von seinem Charakter, seiner Zielstrebigkeit und seiner Einstellung her so stark, dass er damit umgehen kann.
SPOX: Schon vor zwei Jahren, als ter Stegen mit der U 17 Europameister wurde, lobte sein damaliger DFB-Trainer Marco Pezzaiuoli dessen ausgeprägte Persönlichkeit.
Eberl: Das gilt aber auch für viele andere. Man könnte das auch auf Mario Götze ummünzen - auch er ist klar und geht unbeirrt seinen Weg, ist dabei aber bescheiden und besonnen geblieben. Viele schreien nach 'enfants terribles' oder nach bunten Vögeln. Ich lese immer wieder, wir hätten keine Führungsspieler, nur noch Gleichgesinnte. Ich sehe das anders: Wir haben tolle Jungs, die sich auf den Fußball konzentrieren und alles dafür tun, auf dem Platz Leistung zu bringen - und nicht für irgendwelche Galas. Dazu gehört Marc-Andre ter Stegen zu hundert Prozent.
SPOX: Beim DFB gibt es mit Manuel Neuer, Rene Adler und Tim Wiese eine klare Hackordnung. Dahinter stehen Talente wie Ron-Robert Zieler und ter Stegen. Wo ordnen Sie Borussias Keeper ein?
Eberl: Schön, dass wir viele junge deutsche Torhüter haben. Früher war es fast undenkbar, dass ein 19-Jähriger bei einem Bundesligisten im Tor steht. Mit der Verbesserung der Ausbildung ist auch das Vertrauen der Trainer in die jungen Torhüter über die Jahre größer geworden, weil die Qualität da ist.
SPOX: Jetzt haben Sie die Frage nicht beantwortet.
Eberl: Ich finde, mir steht es nicht zu, zu beantworten, in welcher Hackordnung er in Deutschland steht.
SPOX: Aber Sie haben eine Meinung.
Eberl: Ich habe eine Meinung, aber nicht jede Meinung muss ich kundtun. Ich werde den Jungen mit 19 Jahren sicher nicht durch meine Meinung unter Druck setzen, weil sie sowieso nicht relevant ist. Ter Stegen hat alle Jugend-Nationalmannschaften durchlaufen. Und dass er Potenzial hat, wie auch Zieler, Kevin Trapp oder Bernd Leno, ist bekannt. Sagen wir es so: Er gehört zu den großen Torhüter-Talenten Deutschlands.
SPOX: In München stand kein Neuzugang in der Startelf. Weil die Mannschaft passt oder weil die Neuen noch nicht so weit sind?
Eberl: Wir haben uns in den Jahren zuvor, als wir beispielsweise Marcell Jansen oder Marko Marin verkauft haben, beziehungsweise verkaufen mussten, viele böse Dinge anhören müssen. Nach dem Motto: 'Jetzt haltet die jungen Talente doch mal!' Dieses Jahr haben wir uns dazu entschieden, keinen Stammspieler zu verkaufen - auch wenn wir damit vielleicht 20 Millionen Euro hätten akquirieren können. Warum? Weil wir von der Mannschaft überzeugt sind, die in der Rückrunde 26 Punkte geholt hat. Jetzt geht das Geschrei plötzlich von der anderen Seite los: 'Wann kommt denn endlich mal ein Top-Transfer?' Wir haben uns für das Modell mit den vorhandenen Gerüststangen entschieden.
SPOX: Und die Neuzugänge?
Eberl: Mit den Neuen wollten wir im zweiten Schritt die Konkurrenzsituation im Kader weiter verbessern. Mit Oscar Wendt haben wir einen schwedischen Nationalspieler ablösefrei bekommen, für den man vor zwei Jahren vielleicht drei Millionen gezahlt hätte. Er ist damit vielleicht öffentlich nicht in der Kategorie 'Top-Transfer' angesiedelt - für uns aber sehr wichtig.
SPOX: Wie weit ist Wendt?
Eberl: Er ist topfit, aber deswegen muss er ja nicht automatisch gleich spielen. Durch die neue Konkurrenzsituation wollen wir erreichen, dass jeder an sein Top-Niveau kommt. Dafür haben wir diese Spieler geholt - Wendt, Zimmermann, Rupp, Leckie, Otsu, King. Junge Leute, ohne Frage - aber alle Junioren- oder gar A-Nationalspieler ihres Landes. Bei Marco Reus war das ähnlich: Den hatte am Anfang keiner auf der Liste und nach zwei Monaten war er Stammspieler.
SPOX: Klingt nach einem schlüssigen Ansatz.
Eberl: Wir können eben nicht Boateng, Rafinha und Neuer für über 40 Millionen kaufen, sondern nur durch gezielte Transfers die Qualität des Kaders weiter steigern. Für uns ist es zudem eine große Sache, dass wir die jungen Talente wie ter Stegen oder Reus gehalten haben. Fragen Sie mal Thomas Tuchel in Mainz, ob er lieber Schürrle, Holtby und Fuchs behalten hätte, statt neu einzukaufen. Oder Dieter Hecking in Nürnberg, ob er nicht lieber mit Ekici, Gündogan und Schieber weitergearbeitet hätte. Da sagen die wahrscheinlich sofort: na klar!
SPOX: Fühlen Sie zu wenig Wertschätzung dafür, dass Sie ter Stegen, Reus oder Dante in Gladbach halten konnten?
Eberl: Ich kann diese Erklärung, die ich Ihnen gerade gegeben habe, mittlerweile schon fast auswendig. Wenn man alles neutral betrachtet, kann man beide Wege gehen. Man muss dann aber auch den gewählten Weg objektiv bewerten und nicht immer nur auf den anderen Weg verweisen, den man gerade nicht eingeschlagen hat.
SPOX: Auch wenn Sie nicht der Typ dafür sind - haben Sie sich für die Entscheidung, Lucien Favre zu holen, in der Sommerpause ein paar mal selbst auf die Schulter geklopft?
Eberl: Nein. Mich hat's einfach nur gefreut, dass sich unsere Arbeit am Ende gelohnt hat.
SPOX: Was war Favres Erfolgsrezept?
Eberl: Er hat mit unseren jungen Spielern bis zum Erbrechen an Details gearbeitet, die zuvor die große Wirkung hatten, dass wir zu viele Gegentore gefressen haben. Deswegen haben wir uns auch für ihn entschieden: Weil er mit jungen Spielern etwas entwickeln kann. Trotzdem hat so manche Zeitung damals geschrieben, er sei ein reiner Aufbautrainer, den wir für die zweite Liga holen. Gladbach muss doch einen Feuerwehrmann holen, hieß es. Gott sei Dank haben wir keinen solchen Trainer geholt - sonst wären wir vielleicht abgestiegen.
SPOX: Beschreiben Sie Lucien Favre aus Ihrer Sicht von innen.
Eberl: Er ist ein ausgesprochen höflicher und zuvorkommender Mensch. Ein Fußball-Verrückter. Einer, der Fußball lebt. Einer, mit dem man Nächte lang darüber diskutieren kann. Ein akribischer Perfektionist, der in allen Bereichen das Optimum rausholen will. Er ist detailgetreu und achtet auf alles, was den Erfolg der Mannschaft beeinflussen könnte.
Seite 2: Wie Eberl die Angriffe von Effenberg und Vogts wahrgenommen hat...
SPOX: Mit ein bisschen Abstand: Wie haben Sie die turbulente Zeit vor der Mitgliederversammlung, bei der die sogenannte 'Initiative Borussia' mit Stefan Effenberg einen Machtwechsel erwirken wollte, persönlich erlebt?
Eberl: Wie jeder Mensch habe auch ich eine Psyche, die durchaus Schrammen abbekommen hat. Ich habe mich in dieser Zeit aber immer daran erinnert, dass ich alle Entscheidungen mit vollster Überzeugung gefällt habe. Ich würde heute wieder so handeln, weil ich alles immer bestmöglich abwäge und auch mit anderen Leuten darüber diskutiere. Es heißt oft: der Eberl diskutiert nicht gerne. Blödsinn. Wenn mich Stefan Effenberg oder Berti Vogts im Winter angerufen hätten: 'Max, lass uns mal reden!' - dann hätte ich das gemacht. Ich wäre ja dumm, wenn ich mich nicht austauschen würde. Ich diskutiere beispielsweise auch mit unserem Präsidiumsmitglied Hans Meyer oft über Fußball, weil mir die Meinung eines solch erfahrenen Mannes, der nicht so unter Druck steht, sehr hilfreich sein kann.
SPOX: Klingt so, als hätten Sie im letzten Jahr viel gelernt.
Eberl: Die Phase war hart und gleichzeitig lehrreich. Ich habe viele Erfahrungen gesammelt. Allen voran, dass es in unserem Geschäft darum geht, Wahrscheinlichkeiten für Misserfolg auszuschließen. Ich habe gelernt, sich auf das zu konzentrieren, was man beeinflussen kann - nämlich die Arbeit an und mit der Mannschaft. Darauf haben wir uns gemeinsam mit dem Trainer fokussiert und damit auch alles andere ausblenden können. Viele Leute haben mich gefragt, warum wir uns nicht eher gewehrt haben. Ganz einfach: Weil ich nicht die Kraft in Grabenkämpfen verbrauchen wollte, die ich so für unser gemeinsames Ziel aufbringen konnte.
SPOX: Hört sich schwierig an: Man tut sein subjektiv Bestmöglichstes, hat aber nur indirekt Einfluss auf den Erfolg der Mannschaft und steht trotzdem in der Tabelle unten drin. Kritik prasselt pausenlos auf einen ein, und dabei denkt man sich aber: Ich habe doch alles richtig gemacht.
Eberl: Ich habe nie gesagt, dass ich alles richtig gemacht habe. Ich versuche nur stets, das aus meiner Sicht Bestmögliche zu tun und so zu entscheiden, wie ich es für den Verein für richtig halte - nach Abwägung aller Faktoren. Sie wissen, wie ich Fußball gespielt habe?
SPOX: Ja.
Eberl: Ich habe bestimmt nicht immer geglänzt, aber ich habe trotzdem was geschafft.
SPOX: Das klingt jetzt gemein, Sie haben immerhin Bundesliga gespielt.
Eberl: Ich darf das über mich selbst sagen! (lacht) Es geht stets immer um Teamarbeit: So sehe ich Fußball - auf und abseits des Platzes. Alle im Verein müssen zusammen funktionieren.
SPOX: Die 'Initiative Borussia' gab recht populistisch hochgesteckte Ziele aus. Wann ist die Borussia soweit, dass man sinnvoll über Ziele wie die Rückkehr in den Europapokal reden kann?
Eberl: Man muss abwarten, ob so eine Saison mit extremen Positionsverschiebungen wie die letzte einmalig war, oder ob das zum Trend wird. Das vermag ich nicht zu beurteilen. Wir wollen uns Schritt für Schritt entwickeln, was mühsam und anstrengend ist, aber nachhaltiger, als sich jetzt einfach Fremdkapital zu besorgen und es damit zu versuchen. Was, wenn das nicht klappt? Es gibt acht, neun Mannschaften, die finanziell bessere Möglichkeiten haben als wir.
SPOX: Jetzt klingen Sie aber fast schon so wie Heribert Bruchhagen.
Eberl: Ich schätze Heribert Bruchhagen sehr. Alles, was ich von ihm lese und höre, beeindruckt mich, weil es sehr oft den Nagel auf den Kopf trifft.
SPOX: Aber wo ist bei all dem die Nische für Borussia Mönchengladbach?
Eberl: Es kommt der Punkt, an dem der Erfolg bei manch anderen Vereinen vielleicht mal ausbleibt. So manche Vereine müssen nach Misserfolgen vielleicht mal kleinere Brötchen backen. Und dann sind wir vielleicht dran.
SPOX: So etwas lässt sich aber schwer vorhersagen.
Eberl: Natürlich kann man das nicht genau terminieren. Frankfurt war sieben Jahre am Stück in der Bundesliga. Nach der letzten Hinrunde: 26 Punkte. Zum ersten Mal haben sie sich dann getraut, das Wort 'Europa' vorsichtig in den Mund zu nehmen. Und was ist passiert?
SPOX: Abgestiegen. Was also für Frankfurt gilt, gilt auch für Gladbach.
Eberl: Das gilt für viele Mannschaften - Hannover, Köln, Mainz, Gladbach. Köln und wir werden schon alleine aufgrund der Tradition oft bedrängt, nach dem Motto: 'Ihr müsst doch endlich mal wieder.' Ja, aber Schritt für Schritt. Bei uns ist doch im Verlauf der letzten Jahre trotz der miserablen Hinrunde der letzten Saison eine positive Tendenz zu erkennen.
SPOX: Zünden Sie manchmal eine Kerze an, dass sich diese Saison nicht so viele Spieler verletzen wie letzte Saison?
Eberl: Das ist für uns elementar. Ich hoffe, dass es uns nicht wieder so hart trifft. Verletzung wird es geben, aber hoffentlich nicht wieder so viele gleichzeitig und so langfristig. Eine Kerze werde ich deswegen aber nicht anzünden, weil ich weiß, dass wir in punkto Trainingssteuerung gut arbeiten.