Explosionsgefahr: Die Krise von 1899 Hoffenheim ist auch eine Krise des Führungszirkels. Trainer Holger Stanislawski, Manager Ernst Tanner und Mäzen Dietmar Hopp widersprechen sich in den wichtigen Fragen und lassen irritierte Fans zurück. Hat die Konstellation eine Zukunft? Nach nur einem Sieg aus zehn Spielen regiert die Angst vor dem Absturz.
Die Rolle von Trainer Holger Stanislawski
Bereits vor seinem ersten Arbeitstag im Sommer 2011 hatte sich Holger Stanislawski mit Aufgaben beladen, die weit über die üblichen Verantwortlichkeiten eines Bundesliga-Trainers hinausgehen. Der Anspruch von Mäzen Dietmar Hopp für diese Saison lautete: Siege seien entscheidend, doch ähnlich wichtig wäre es, dass die Mannschaft den Erfolg mit einer attraktiven Spielweise erreicht, weil nur auf diese Weise der Verein an Akzeptanz gewinnen würde. Ein Ansinnen, das Stanislawski mit ähnlich ehrgeizigen Aussagen stützte.
Er wolle Hoffenheim im einstelligen Tabellenbereich halten und gleichzeitig mit der Abgabe von gut verdienenden Leistungsträgern Kosten sparen. Sportlicher Ersatz solle aus der eigenen Jugend/U 23 kommen. Deswegen war es ein Hauptanliegen, den schwierigen Übergang in den Profibereich zu erleichtern.
"Hoffenheim braucht eine neue Identität", sagte Hopp in der Hoffnung, dass der Verein durch das Wirken des charmanten Stanislawski sympathischer wahrgenommen wird und Zuschauer mobilisiert werden.
spoxNur: Die Überzeugungskraft, mit der Stanislawski seit jeher assoziiert wurde, ging in den letzten Wochen verloren. Und damit auch seine Authentizität - zumindest in der Öffentlichkeit.
Vor allem verwundet es, wie oft er seine Ansprache gegenüber der Mannschaft verändert. Zum Saisonstart kritisierte er über die Maßen sein Team, obwohl es wie erhofft erfolgreichen und attraktiven Fußball zeigte. Als Hoffenheim sich im ersten Tief wiederfand, nahm er die Spieler wiederum auffällig in Schutz, nur um später wieder deren Schwächen anzuprangern.
Die Rückrunde dient als Beleg. Das 1:3 in Dortmund bewertete er noch positiv ("Wir können erhobenen Hauptes vom Platz gehen"), nur um nach dem 2:2 gegen Augsburg mit der Mannschaft abzurechnen und sie zu verhöhnen: "Teilweise hatten wir ein Zweikampfverhalten wie im Amateurfußball in der untersten Klasse. Aber damit tue ich wahrscheinlich keinem Amateurspieler recht", sagte er. Oder: "Wir haben in allen Bereichen Defizite: Körpersprache, taktische Disziplin. Der ein oder andere ist gar nicht bereit, Dinge umzusetzen auf dem Platz, die wir unter der Woche trainieren, die wir seit Monaten vorgeben."
Erstaunliche Worte, bedenkt man, dass Stanislawski noch Ende November gegenseitigen Respekt einforderte. Nachdem Ryan Babel von Torwart Tom Starke kritisiert wurde ("Er könnte langsam anfangen, Punkte für uns zu holen"), musste dieser sich vor dem Trainer rechtfertigen. "Es geht nicht, dass einzelne Spieler andere öffentlich kritisieren", sagte Stanislawski.
Doch er selbst nutzt nun vermehrt die Strategie, in den Medien einzelne Spieler zu schwächen. Die Tore von Vedad Ibisevic, dem einzigen gefährlichen Stürmer der Saison, "hätten vielleicht auch andere reingemacht", sagte Stanislawski. Chinedu Obasi und Gylfi Sigurdsson, ebenfalls im Winter wegtransferiert, gab er zur Verabschiedung mit, dass "sie einfach keinen Bock mehr hatten".
Vor wenigen Wochen betonte Stanislawski noch, dass es im Team "keine arroganten Arschlöcher" gebe und alles "gute Jungs" wären.
Dass Stanislawski Anfang Dezember den Stars mit der Bank gedroht hatte und dennoch der unter anderem angesprochene Babel seinen Stammplatz nicht verlor, passt zum unglücklichen Bild, das Hoffenheim und Stanislawski dieser Tage hinterlassen. Es fehlt die Stringenz - und das nicht nur in der Außendarstellung.
Stanislawski selbst vernimmt die zunehmend kritischere Berichterstattung und die abnehmende Zuschauerzahl mit Zynismus. "Draußen leiden einige unter Realitätsverlust", sagte er vor dem BVB-Spiel in einer zwölfminütigen Pressekonferenz, die von anwesenden Journalisten als "Brandrede" bezeichnet wurde. "Die Welt soll ja 2012 untergehen, aber hier scheint sie schon untergegangen. Als wären wir abgestiegen. Mir geht das Negative absolut gegen den Strich."
Und den Zuschauern gibt er mit, dass er sich mehr Unterstützung wünschen würde. Angesprochen sollten sich nicht nur die VIPs fühlen, deren vermeintliches Desinteresse er seit langem anmahnt, sondern auch die normalen Fans, die sich im Fall des Misserfolgs zu schnell abwenden würden: "Man muss aus Überzeugung für die Mannschaft zusammenstehen."
Angesichts der vielen "Baustellen", wie es Stanislawski formuliert, wirkt er nach über einem halben Jahr ob des Stillstands ernüchtert, wenn nicht sogar zermürbt. Im Anschluss an das Augsburg-Spiel dachte er laut über einen Rücktritt nach: "Da fängt man als Trainer an, sich Gedanken zu machen."
Teil 1: Die Rolle von Trainer Holger Stanislawski
Teil 2: Die Rolle von Manager Ernst Tanner
Teil 3: Die Rolle von Mäzen Dietmar Hopp
Die Rolle von Manager Ernst Tanner
Hoffenheim entschied sich mit Bedacht dazu, mit Stanislawski einen Trainer zu verpflichten, der eine ähnlich starke Persönlichkeit mitbringt wie Manager Ernst Tanner. In der Hoffnung, dass durch die Reibung aneinander positive Energie entsteht.
Die ersten sieben Monate der Zusammenarbeit verliefen jedoch ernüchternd. Beide vermieden einen offenen Konflikt, dennoch sind Differenzen in der Bewertung von Spielern und Situationen allzu offensichtlich. "Ich bin geradlinig und ehrlich, manchmal aber auch etwas stur und dickköpfig. Einige stören sich daran, aber ich sehe es nicht ein, warum ich mich verändern soll", sagte Tanner vor dem Saisonstart im SPOX-Interview.
Entsprechend bezog er Position und widersprach - wenn nötig - dem Trainer. Und das in einer Häufigkeit, die verblüfft. Stanislawski plädierte für einen Verbleib des im Sommer vertragslosen Tobias Weis ("Er ist ein Spielertyp, der uns gut tut"), Tanner teilte diesem die Trennung mit. Stanislawski befürwortete im Winter das sofortige Kommen von 1860-Stürmer Kevin Volland, Tanner verschob es auf den Sommer. Stanislawski rüffelte Torwart Starke nach dessen Kritik an Ryan Babel, Tanner bewertete sie als "nicht schlimm".
Vereint werden beide zumindest im Bestreben, Hoffenheim finanziell zu konsolidieren. Stanislawski erklärte Ibisevic, Obasi und Sigurdsson für verzichtbar, Tanner fand Abnehmer und füllte den Kader mit Nachwuchskräften auf: Sandro Wieser (19 Jahre), Stefan Thesker (20), ab kommender Saison Michael Gregoritsch (18).
Dass in der Winterpause aber Mäzen Hopp nach Tanners gescheiterten Verhandlungen mit dem VfL Wolfsburg um den Kauf von Srdjan Lakic selbst über VW-Boss Martin Winterkorn in Kontakt trat mit Felix Magath und eine Einigung erzielte, schwächte die Position des Managers.
Unter Verweis auf die zu hohe Ablöse für Lakic hatte Tanner einen Transfer als nicht für realisierbar erklärt, wenig später wurde der Kroate nach Hopps Intervention ausgeliehen - das jedoch für einen Betrag, der deutlich über dem in der Bundesliga üblichen Satz liegt: Obwohl der in dieser Saison torlose Lakic nur die Rückrunde in Hoffenheim spielt und der Verein keine anschließende Kaufoption besitzt, wird eine Million Euro an Wolfsburg gezahlt. Seltsam: Nach "Bild"-Informationen hatte Tanner zuvor noch ein Ausleihgeschäft ausgeschlossen.
Die Vermutung liegt nahe, dass im Führungszirkel die Qualität der Mannschaft unterschiedlich bewertet wird. Während Hopp und Stanislawski vor einem Durchreichen in den Tabellenkeller warnen und den Abstiegskampf ausrufen, äußert sich Tanner wesentlich zuversichtlicher.
Stanislawski sagt: "Ich habe auch keine Lust, irgendetwas schön zu reden, was nicht schön ist." Tanner hingegen vermerkt unter Verweis auf den möglichen Einzug ins Pokal-Halbfinale: "Ich glaube sagen zu können: Hoffenheim ist auf einem sehr guten Weg."
Auf Fragen zu möglichen Spannungen mit dem Trainer sagt Tanner übrigens: "Mein Verhältnis zu Stanislawski ist perfekt."
Teil 1: Die Rolle von Trainer Holger Stanislawski
Teil 2: Die Rolle von Manager Ernst Tanner
Teil 3: Die Rolle von Mäzen Dietmar Hopp
Die Rolle von Mäzen Dietmar Hopp
Ende November gab Stanislawski eine Äußerung ab, die angesichts der deutlichen Tonart überraschend wenig Beachtung fand: "Dietmar Hopp ist natürlich immer omnipräsent in gewissen Fragen, weil er hier vieles angeschoben hat. Aber es macht mehr und mehr Sinn, wenn er im Hintergrund da ist. Er muss im täglichen Geschäft nicht permanent dabei sein und das ist er auch nicht. Er muss informiert sein, er soll involviert sein, aber wir dürfen nicht zulassen, dass er zu jedem Kram seinen Senf abgeben muss. Dafür sind andere da."
Nur zwei Monate danach muss dies relativiert werden: Hopp ist entgegen vorheriger Beteuerungen weiterhin im operativen Bereich tätig. In der Schlussphase der Wintertransferperiode hatte Hopp erst gegen einen Ibisevic-Verkauf votiert ("Das Risiko ist zu hoch"), ohne sich zuvor mit Tanner und Stanislawski abzusprechen. Erst nach einer daraufhin einberufenen Sitzung gab Hopp seine Zustimmung.
Wenig später übernahm Hopp erneut die Initiative. Er rief VW-Boss Winterkorn an, um doch noch die Verpflichtung von Lakic zu realisieren. Winterkorn arrangierte ein Gespräch mit VfL-Aufsichtsratsboss Francisco Javier Garcia Sanz, der Hopp wiederum an Trainer/Manager Magath weiter verwies. In einem "überaus freundlichen Gespräch" habe man dann Einigung erzielt.
Hopps Geschäftigkeit ist ein Ausdruck seiner Angst. Im Juli hatte er noch eine Europa-League-Qualifikation thematisiert ("Warum sollten wir nicht Sechster werden?"), mittlerweile aber verweist er auf das abgestiegene Eintracht Frankfurt als abschreckendes Beispiel. "Man wäre leichtsinnig, wenn man nicht nach unten schauen würde", sagt er.
Es sind Worte des Zweifels an der Leistungsfähigkeit und an der mentalen Stabilität des Teams. Vor dem Dortmund-Spiel mahnte Stanislawski die Fans dazu an, mehr Zuversicht zu haben: "Wer uns beim BVB nichts zutraut, soll besser zu Hause bleiben."
Hopp hingegen sagte: "Hoffentlich gehen wir nicht unter. Dann wird es wackelig. Der Abstand zu den Abstiegsrängen ist nicht komfortabel. Das macht mir Sorge."
Mittlerweile teilt auch Stanislawski diese Sorge.
Teil 1: Die Rolle von Trainer Holger Stanislawski