So lief die Hinrunde
Eine ohnehin an Turbulenzen reiche Hinrunde fand ein tragisches Ende: Einen Tag vor Heiligabend verstarb Huub Stevens' Mutter, weswegen der Trainer bereits zuvor für das abschließende Pokal-Achtelfinale (1:3 in Mönchengladbach) und das Europa-League-Spiel in Haifa (3:0) freigestellt wurde.
Eine traurige Note zum Abschluss eines aus zwischenmenschlicher Perspektive enorm belastenden Halbjahres, das mit Ralf Fährmanns schwerer Verletzung und dem gesundheitsbedingten Rücktritt von Stevens' Vorgänger Ralf Rangnick angefangen hatte. Mitte September zog sich Rangnick aufgrund eines Burnout-Syndroms zurück.
Nicht nur traurig, sondern eben auch anstrengend gestalteten sich die folgenden Wochen für die Verantwortlichen, weil neben der Trainerpersonalie und folgenden Spekulationen um eine mögliche Ausstiegsklausel mit Stevens ebenfalls die Frage nach der Zukunft von Jefferson Farfan und Raul erörtert werden musste.
Das war gut
Womöglich ist es höher anzurechnen als die Herbstmeisterschaft des FC Bayern, wie sich Schalke trotz der Sorgen und der Unruhe sportlich behauptet hat. Der dritte Bundesliga-Platz sowie der ungefährdete Einzug in die Europa-League-Zwischenrunde sind angesichts der Umstände geradezu sensationell.
Anzurechnen dürfte der Erfolg am meisten Sport-Vorstand Horst Heldt sein, der mit Weitsicht und der nötigen Unaufgeregtheit jene Hektik aus dem Vereinsleben verbannte, die für Schalke im zweiten Jahr unter Felix Magath charakteristisch und schädlich war. Ohne Heldts Zuspruch wäre Stevens wohl auch nicht zum neuen Trainer ernannt worden. Ohne Stevens wiederum hätte sich Schalke nicht derart gefangen - vor allem defensiv.
Im Tor bekam der lange als nicht würdig angesehene Lars Unnerstall überraschend das Votum als Vertreter für Ralf Fährmann und erwies sich als hochtalentierter Keeper, in der Innenverteidigung wurden aus den Jünglingen Kyriakos Papadopoulos und Joel Matip echte Männer, der auf die ungeliebte rechte Abwehrseite umpositionierte Kapitän Benedikt Höwedes erfüllte pflichtbewusst und zur Zufriedenheit aller seine Aufgaben.
Diese Sicherheit übertrug sich auf die anderen: Lewis Holtby steigerte sich im defensiven Mittelfeld an der Seite des wieder erstarkten Jermaine Jones zusehends, wesentlich beständiger als zuvor spielte auch Julian Draxler am linken Flügel. All das half dabei mit, dass im Sturm dem 34-jährigen Raul noch 15 Scorer-Punkte in der Bundesliga-Hinrunde gelangen und Klaas-Jan Huntelaar so oft traf wie seit Ajax-Zeiten nicht mehr: 26 Tore in 25 Pflichtspielen.
Das muss besser werden
Stevens trat auf Schalke mit dem Ziel an, zwischen der Offensive und der Defensive eine bessere Balance herzustellen. Dreieinhalb Monate später verabschiedete er sich so ins Trainingslager: "Wir haben noch keine Stabilität im Spiel und schwanken noch viel zu sehr."
Heißt: Die Mannschaft wirkt ausbalancierter als noch unter Rangnick, dennoch geht ihr weiterhin das Gleichgewicht ab, über das die Bayern und Dortmund verfügen. Das 0:2 im Revierderby war ein Beleg dessen.
Entscheidend für die gewünschte Stabilität ist die Besetzung des defensiven Mittelfelds - doch ausgerechnet auf dieser Position brechen die Alternativen in den ersten Rückrunden-Wochen weg. Jones ist gesperrt, Holtby und Peer Kluge fallen aus, verbleiben nur die jungen Marco Höger und Christoph Moritz. Das Schalker Ansinnen, vorzeitig Roman Neustädter aus Mönchengladbach zu verpflichten, wurde von der Borussia abgeschlagen.
Eine Notlösung könnte daher Jose Jurado sein, der in einer Doppelsechs den offensiven Part bekleiden könnte und von Heldt eigens gelobt wurde: "Wir haben gegen Ende der Vorrunde gesehen, dass Jose uns dauerhaft helfen kann." Wenn nicht, ist die Verpflichtung eines defensiven Mittelfeldspielers kurz vor dem Schließen des Winter-Transferfensters möglich. Heldt: "Es wäre idiotisch, sich jetzt festzulegen."
Spieler im Fokus
Chinedu Obasi. Heldt und Stevens gaben sich redlich Mühe zu betonen, dass die Verpflichtung des Nigerianers unabhängig von den Verhandlungen mit dem im Sommer vertragslosen Farfan zu sehen wäre. Dennoch kommt es ihnen nicht ungelegen, dass Obasi ähnliche Qualitäten mitbringt, im Sturm und auf beiden Flügeln im 4-4-2 sowie 4-2-3-1 einsetzbar ist und gemessen an seinem Talent günstig zu erwerben war.
Die Ausleihe aus Hoffenheim bis zum Sommer kostet 100.000 Euro, angeblich wurde der 25-Jährige sogar schon für 6,5 Millionen Euro fest verpflichtet. 1899 hatte vor rund viereinhalb Jahren fünf Millionen Euro an Lyn Oslo überwiesen.
Der Preis gestaltet sich moderat, weil Obasi nach einer starken Bundesliga-Hinrunde 2009/2010 wegen verschiedener Blessuren kaum mehr seinen Wert beweisen konnte: In den letzten 20 Monaten traf er in der Bundesliga kein einziges Mal selbst und gab nur eine Torvorlage. Zum Rückrunden-Auftakt wird Obasi dennoch in Schalkes Startelf stehen: als Ersatz für den verletzten Farfan.
Prognose
Die entscheidende Frage auf Schalke: Wie gut kann die Mannschaft sein, wenn sie von Rückschlägen verschont bleibt? Der dritte Bundesliga-Platz und die Europa-League-Zwischenrunde lassen erahnen, was möglich ist.
Der Ausfall der Doppelsechs Jones/Holtby schmerzt ungemein, doch Stevens trat in der Hinrunde den Beweis an, dass kaum ein anderer Trainer so pragmatisch auf Widrigkeiten zu reagieren versteht wie er.
Entsprechend erfolgreich wird die Rückrunde verlaufen: Die Bayern und Dortmund sind tiefer sowie besser besetzt und verfügen über eine eigene Identität, die die Schalker erst noch finden müssen. Von diesen beiden Vereinen abgesehen kann S04 sich jedoch gegen jeden Gegner behaupten. Heißt: Schalke bleibt Dritter.
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