Der Hamburger SV hat als einziger die Liga verstanden, will beim Absurden aber fröhlich mitmachen. Krassimir Balakow hat keine Ahnung, wo er unterschrieben hat und Jens Lehmann witzelt über einen verletzten Leverkusener. Man möchte meinen, die Bundesliga ist ein bisschen müde und lässt sich nichts mehr einfallen. Aber dafür gibt es ja die Alternative Liste.
1. Irgendwas mit Dinosauriern: Nennen wir es beim Namen: Der HSV ist wie ein Verkehrsunfall. Man möchte nicht hinsehen, aber eine urmenschliche Faszination für das Siechende und Schreckliche zwingt einen dazu. Mit grotesken Folgen: Das Mittelfeld der Resterampe von Chelsea ist so hervorragend bestückt, dass sich der neutrale Zuschauer sehnsüchtig nach langen Bällen von Heiko Westermann in die Spitze sehnt. Als würde man einen Zahnarzt darum bitten, lieber auf Verdacht alle Zähne mal aufzubohren, um nach Karies zu suchen.
Doch jetzt kommt's: Das ist nicht mal die eigentliche Misere des HSV. Die liegt nämlich im Abwehrverhalten bei Standards, bei dem es offenbar schon als vereinsinterner Erfolg gilt, wenn sich durch Zweikampfvermeidung niemand verletzt. Was Trainer Fink zu einer perfiden Maßnahme gezwungen hat: "Wenn wir ein Gegentor durch eine Standardsituation kassieren, müssten die Spieler in die Mannschaftskasse einzahlen. Wenn wir ein Tor schießen, dürfte sich die Mannschaft etwas rausnehmen." Die Motivation dahinter ist klar: Wenn schon in der Versenkung verschwinden, dann wenigstens alle Beteiligten finanziell ruinieren. Kenner sprechen hier von der "hellenischen Rolltreppe".
2. Irgendwas mit Camus: Vielleicht macht der HSV aber auch alles richtig. Das Absurde kann jeden beliebigen Menschen bei jeder beliebigen Ecke anspringen. Vielleicht hat der HSV bei einer dieser Standardsituationen einfach erkannt, wie sinnentleert und endlos diese Bundesliga ist. Eine Welt, in der monarchisch geführte Dorfvereine über die Teilnehmer an der Champions League mitentscheiden. Eine Welt, in der holzfüßige Torhüter am gegnerischen Sechzehner den entscheidenden Freistoß herausholen. Eine Welt, in der Bayer Leverkusen immer noch auf Platz fünf stehen darf.
Vielleicht hat der HSV all das bei irgendeiner Kerze im eigenen Strafraum oder einem Luftloch beim Torabschluss verstanden und über diese Erkenntnis befreit gelacht. Denn dann macht es plötzlich auch Sinn, dass Paolo Guerrero Topverdiener ist. Oder dass Robert Tesche mal auf der Zehn gespielt hat. Albert Camus hat geschrieben: "Das Absurde hat nur insofern einen Sinn, als man sich nicht mit ihm abfindet." In Hamburg hat man das gelesen. Und jeder lange Ball von Heiko Westermann zeigt fortan dem Franzosen den Finger.
Getty3. Apropos Finger: Den hat der BVB auch den Bayern gezeigt. Gerade als Uli Hoeneß mal wieder die Clarissa von Anstetten in der Doku-Soap "Bundesliga" geben wollte (ist schon immer dabei, versucht fiese psychologische Tricks, trägt viel Rot im Gesicht), knallen ihm die Borussen auswärts sechs Buden vor den Latz. Und setzen ganz nebenher ihren beeindruckenden Lauf fort: Schon der zweite Sieg in Folge gegen einen Zweitligisten.
4. Ohne jeden Kontext: Was unterscheidet Regenwürmer vom 1. FC Köln? Sie haben mehr Rückgrat.
5. Apropos "Dinge ohne Verteidigung": Grausames spielte sich auch im Stadion des FSV Mainz 05 ab. Denn diejenigen Zuschauer, die nicht das Glück hatten, bei einem der Torabschlüsse Nikolai Müllers bewusstlos geschossen worden zu sein, mussten mit ansehen wie ihre Abwehr noch weiter von den Berliner Stürmern entfernt war als die FDP vom Einzug in den saarländischen Landtag. Was schon wieder so absurd ist, dass nur ein HSV-Fan das verstehen kann. Denn Hertha hat gar keine Stürmer.
6. Apropos "nicht haben": Clemens Tönnies im "Doppelpass": "Wir haben bei Raul das Portmonee so weit aufgemacht, wie es unser Konsolidierungskurs zulässt." Neues geschätztes Jahresgehalt von Raul demnach: Pfandflaschen im Wert von 37,16 Euro und ein Stück Kohle.
Getty7. Apropos Flaschen: "Da war wohl der Abi-Stress zu groß für ihn." (Jens Lehmann zur verletzungsbedingten Auswechslung von Leverkusens da Costa)
8. Der goldene Fritz, Teil 27: Oft sind es die Nuancen, die den Unterschied machen. Die kleinen Zwischentöne, die nicht jeder hören kann. Wenn etwa Jaroslav Drobny jeden Ball mit Gewalt in die Wolfsburger Nacht jagt, dann ist sein eigentlicher Punkt, dass er ihn eben nicht kurz auf einen seiner Verteidiger spielt.
Und deshalb ist es so grandios, wenn sich Fritz von Thurn und Taxis minutenlang daran ergötzt, wie sich Hannovers Diouf im Kopfballduell durchgesetzt hat. So lange betont der alte Fritz diese Leistung, bis man sich selbst denkt: "Donnerwetter, dieser Teufelskerl Diouf! Huiiii!" Und man sich wirklich erfreut an diesem Zweikampf, der nach Jahren der Strähnchen in den Haaren endlich wieder einen Hauch von Hollerbach in die Liga bringt. Ein Gruß der holzigen Neunziger, als man zum Valentinstag nur Pferdeküsse verteilte.
Getty So sitzt man da und freut sich, endlich wieder einen in der Liga zu haben wie Diouf, den Berserker im Kopfballzweikampf. Der sich einfach reinhaut und gegen jeden durchsetzt. Mit bloßem Willen. Vollkommen zurecht ist der Fritz da begeistert!Bis man dann merkt, wer der Gegenspieler war, gegen den sich der Rocky Balboa der Neuzeit so toll durchgesetzt hat. Und nichts ist so sehr 2012er Plastik wie 1,30 Meter Philipp Lahm...
9. Verwirrung: Krassimir Balakow zu seinem Debüt in der Bundesliga: "Es ist ein Traum und ich habe die Möglichkeit wahrgenommen." Stellt sich die Frage: Weiß er schon, dass er Trainer vom 1. FC Kaiserslautern ist?
10. Die letzte Punchline hat immer Rudi Völler: Sein Eintrag ins Poesie-Album von SKY-Experte Jan Aage Fjörtoft: "Warum hat Sky diesen Clown geholt? Nur weil er mal einen Übersteiger unfallfrei hingekriegt hat?"
11. Die letzte Punchline hat niemals Rudi Völler: Fjörtofts Antwort via Twitter: "I think its wrong to compare me with a clown. They are hardworking and funny."
Der 27. Spieltag im Überblick