Genau 42 Meter sind es von der Mittellinie des Estadio Santiago Bernabeu in Madrid bis zum Elfmeterpunkt. Im Vollsprint braucht David Alaba dafür keine fünf Sekunden. An diesem späten Abend im April, kurz vor Mitternacht, nahm sich der Österreicher dafür aber reichlich Zeit.
Alaba schritt ruhig, aber bestimmt voran. Mit breiter Brust und klarem Blick. Er guckte kurz nach rechts zur Bayern-Bank und dann nach vorne. Dort vorne stand Iker Casillas, vierfacher Welttorhüter und Keeper von Real Madrid, und wartete auf ihn.
Einen Augenblick später schlich der Kapitän der Königlichen mit gesenktem Haupt aus seinem Kasten. Alaba hingegen machte sich auf den Weg zurück zur Mittellinie. Mit geballter Faust. Der 19-Jährige hatte seine Bayern soeben als erster Schütze im Elfmeterschießen des Champions-League-Halbfinales in Führung geschossen. Ruhig, sicher, souverän.
Die Bayern schafften schließlich den Einzug ins Endspiel. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Im eigenen Stadion unterlag der Rekordmeister dem FC Chelsea. Im Elfmeterschießen. Ohne Alaba. Der Linksfuß fehlte gelbgesperrt.
Sechs bis acht Wochen Pause
In München will man von dieser letzten Saison nichts mehr wissen. Zu viele Enttäuschungen hatte man einstecken müssen, zu wenige Erfolge gefeiert. Und so ist die Personalie Alaba nahezu das einzig Positive, das die Bayern mitnehmen aus einer Saison zum Vergessen.
In der Rückrunde hatte sich der österreichische Nationalspieler zur Ideallösung auf der Linksverteidigerposition entwickelt, ein starkes Pärchen mit Franck Ribery gebildet und dafür gesorgt, dass der Seitenwechsel von Philipp Lahm nach rechts ohne Qualitätsverlust vonstatten ging.
Genau in dieser Konstellation plante Coach Jupp Heynckes deshalb auch für die anstehende Spielzeit: Lahm über rechts, Alaba auf links. Von seiner Wunschvorstellung muss sich der Bayern-Trainer allerdings verabschieden, zumindest vorerst. Alaba zog sich am Freitagabend beim Testspiel gegen den SSC Neapel einen Ermüdungsbruch zu, muss operiert werden und fällt sechs bis acht Wochen aus.
Kein Neuer soll kommen
Die ersten Bundesliga-Spiele wird Alaba deshalb wohl verpassen, womöglich auch den Champions-League-Auftakt Mitte September. Heynckes muss also improvisieren. Doch wie?
Dass der Rekordmeister nochmal auf dem Transfermarkt tätig wird und einen etatmäßigen Außenverteidiger verpflichtet, gilt eigentlich als ausgeschlossen. Schon in den letzten Jahren hatten die Münchner in den Wechselperioden nach einem geeigneten Linksverteidiger Ausschau gehalten - stets vergeblich.
Packt es Contento?
Heißt: Die Bayern werden versuchen, den Alaba-Ausfall mit dem vorhandenen Personal zu kompensieren. Variante Nummer eins sieht vor, dass Diego Contento vorerst den Platz hinten links in der Viererkette einnimmt.
Erst vor wenigen Wochen verlängerten die Bayern den Vertrag mit dem 22-Jährigen, der der einzig verbliebene gelernte Linksverteidiger im Kader ist. Contento bewies bereits im Champions-League-Finale, dass er in der Lage ist, Alaba zu vertreten.
Allerdings: Über einen längeren Zeitraum konnte er noch nicht überzeugen. Vor allem im Spiel mit dem Ball offenbarte Contento in der Vergangenheit doch einige Mängel. So muss Heynckes auch weitere Alternativen parat haben, falls Contento in der Vorbereitung schwächelt.
Lahm wieder auf links?
Die naheliegendste: Lahm kehrt wieder auf die linke Seite zurück. Der Nationalspieler hat dort schon etliche Spiele bestritten, zuletzt wieder im DFB-Team bei der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine, und müsste sich kaum umstellen.
Für den Platz rechts in der Viererkette könnte Heynckes dann aus einem größeren Pool an Spielern auswählen. Klarer Favorit: Jerome Boateng, der bei der EM in der Nationalmannschaft und zuletzt auch im Testspiel der Bayern gegen Peking rechts verteidigte.
Doch auch Rafinha (allerdings ebenfalls verletzt), Anatolji Tymoschtschuk (spielte dort schon unter van Gaal), Dante (in Belgien schon als RV eingesetzt) und Youngster Mitchell Weiser kämen dafür in Frage.
Von Heynckes' Idealvorstellung wären sie allesamt jedoch ein Stück entfernt, hatte der Bayern-Coach in der letzten Saison nach der Versetzung von Lahm nach rechts doch recht deutliche Worte gefunden: "Das ist für uns ein riesiger Gewinn. Jetzt haben wir zwei Außenverteidiger, die kreativ sind, Fußball spielen und Tore vorbereiten können."
Leverkusens Lars Bender, an dem Bayern nach wie vor Interesse hat, kann ebenfalls rechts hinten ran, wäre aber eigentlich fürs zentrale Mittelfeld eingeplant.
Überraschung mit Shaqiri?
Gut möglich also, dass Heynckes noch eine Überraschung parat hat - die auf den Namen Xherdan Shaqiri hört. Der Schweizer wurde zwar ursprünglich für die Offensive verpflichtet, hat in Basel allerdings auch schon als Linksverteidiger gespielt.
"Ich kann hinten spielen", sagt Shaqiri, "ich habe das schon gemacht." Der Neuzugang wäre freilich eine ziemlich offensive Variante für die Außenbahn, könnte aber gerade gegen defensiv eingestellte Gegner eine echte Waffe sein.
Bislang gilt Shaqiri als einer der Gewinner der Vorbereitung und hinterließ einen starken Eindruck. In der Offensive scheint die Konkurrenz mit Arjen Robben, Thomas Müller, Toni Kroos und Franck Ribery aber scheinbar übermächtig. Warum es also nicht links hinten versuchen?
Für Alex Frei, Shaqiris ehemaligen Teamkollegen in Basel, wäre das sogar die perfekte Lösung. "Er hört das nicht gerne, aber ich sage ihm immer: Auf dem rechten Flügel wirst du eine gute Karriere machen", so Frei im "Kicker". "Entscheidest du dich aber dafür, linker Verteidiger zu spielen, wird dir eine Weltkarriere gelingen."
Der Bayern-Kader im Überblick