Ein bisschen Wundertüte

Stefan Rommel
06. Juli 201216:55
Werder-Trainer Thomas Schaaf (M.) und seine NeuenGetty
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Umbruchjahr oder nicht? Werder Bremen steht vor einer schwierigen Saison, hat sich auf dem Transfermarkt bisher aber ziemlich schlau verhalten und unter anderem Nils Petersen von den Bayern geholt. Es bleiben trotzdem einige Fragen. Zum Beispiel: Ist die Raute noch zeitgemäß?

Gleich zu Beginn musste Thomas Schaaf korrigierend eingreifen. Beim Gruppenbild mit seinen Zugängen im Bremer Weserstadion hing bei Assani Lukimya und Richard Strebinger das Trikot über der Hose. Schaaf stopfte es den beiden ins Beinkleid. Ordnung muss schließlich sein.

Am Donnerstagvormittag ist Werder Bremen in die Vorbereitung zur neuen Spielzeit eingestiegen. Es wird die Post-Post-Champions-League-Saison für die Grün-Weißen, die in den letzten beiden Jahren mit den Nachwehen der verpassten Europapokalqualifikationen leben und dementsprechend den Kader vor Beginn der neuen Saison deutlich den neuen Gegebenheiten anpassen mussten.

Gebre Selassie noch im Urlaub

Von den Spitzenverdienern aus alten Champions-League-Zeiten hat sich Werder bis auf Naldo und Clemens Fritz trennen müssen oder wollen. Ohne Tim Wiese, Claudio Pizarro, Marko Marin oder Markus Rosenberg ging das Trainerteam die Laktattests an.

Von den Neuen waren neben Lukimya und Strebinger auch Raphael Wolf und Niels Petersen schon dabei. Theodor Gebre Selassie weilt nach der Europameisterschaft im Urlaub. In Lauerstellung sollen zudem Hakan Calhanoglu vom Karlsruher SC und vielleicht auch Eljero Elia von Juventus Turin sein.

Abschied von der Raute?

Vor der abgelaufenen Saison wurde der Begriff des Übergangsjahrs schon sehr strapaziert. Da waren die Umbaumaßnahmen am Kader aber längst nicht so tiefgreifend wie in diesem Sommer. Für Schaaf und Geschäftsführer Klaus Allofs stellt sich nach einer schwierigen Saison eine ebenso schwierige Ausgangslage für die kommende Spielzeit dar.

Auf entscheidenden Positionen muss Trainer Schaaf neue Spieler integrieren, der ohnehin schon wackeligen Achse Wiese-Naldo-Ekici-Pizarro fehlen zwei wichtige Glieder. Die Strukturen innerhalb des Teams müssen sich in den kommenden Wochen bis zum Start bei Meister Borussia Dortmund schnell neu ausrichten. Unter Umständen wird Schaaf auch vom Spielsystem mit zwei Stürmern und der Raute im Mittelfeld abrücken müssen.

Zu anfällig hat sich diese Ausrichtung besonders in der abgelaufenen Rückrunde gezeigt, dazu stellten einige Spieler ihre eigenen Interessen immer wieder über die der Mannschaft. Es gibt grundlegende Dinge zu ändern für die beiden Macher, will Werder nach zwei eher trostlosen Jahren wieder den Anschluss an die obere Tabellenhälfte schaffen.

Wiese, Pizarro, Marin - alle weg!

Deshalb haben sich beide auch für einen für Bremer Verhältnisse recht radikalen Schnitt entschieden. Bereits im April hatte Allofs angekündigt, das Budget für die Spielergehälter weiter zu kürzen, auch im Falle einer damals noch möglichen Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb. Werder wurde am Ende - dank einer überdurchschnittlich guten Hinrunde - Neunter, der finanzielle Spielraum wurde also automatisch noch ein wenig enger.

Insofern blieb Allofs kaum eine andere Wahl, als Größen wie Wiese oder Pizarro ziehen zu lassen. Der etwas überraschende Verkauf von Marko Marin, zuletzt Pendler zwischen Startelf und Bank und in Bremen in drei Jahren nie die erhoffte ganz große Verstärkung, der für kolportierte sieben Millionen Euro zum FC Chelsea geht, fällt unter die Rubrik Bonuszahlung, ohne die Werder noch mehr die Hände gebunden wären.

So aber war Geld da für eine Reihe hoffnungsvoller Transfers. Lukimya war einer der besten Innenverteidiger der zweiten Liga. Eigentlich sollte der 26-Jährige von Fortuna Düsseldorf zum 1. FC Köln wechseln, durch den Kölner Abstieg hatte sich das Geschäft aber erledigt. Nun also Werder.

"Ich Nachhinein war das vielleicht sogar ein Glücksfall. Man sieht das ja oft erst später, dass eine kleine Tür zugeht und eine größere dafür auf. Uns so war das in meiner Situation auch", sagt Lukimya, der sich mit Naldo, Sokratis und Francois Affolter großer Konkurrenz auf seiner Position erwehren muss.

Petersen will sich durchsetzen

Bayern-Leihgabe Nils Petersen dagegen dürfte von Beginn an erste Wahl sein. "Ich habe frühzeitig gesagt, dass ich hierher wechseln möchte. Ich erwarte mir hier, endlich wieder Spielpraxis zu bekommen. Im Gegenzug muss auch meine Leistung stimmen, um mir den Stammplatz auch zu verdienen und einiges an Vertrauen auch zurückzugeben. Aber für mich zählt ein Platz vorne drin, den will ich haben", sagt Petersen im Gespräch mit SPOX.

Inwieweit der Torjäger mit Schaaf schon über die mögliche Grundausrichtung der Mannschaft gesprochen habe, wollte er nicht verraten. Immerhin ist Werder die einzige Mannschaft der Liga, die bisher mit zwei nominellen Spitzen aufgelaufen ist. Angeblich soll sich Schaaf aber, wie zwischendurch immer auch mal praktiziert, wieder Gedanken über eine Änderung seiner Grundformation machen, womöglich hin zu einem 4-2-3-1 oder 4-3-3.

"Das ist für mich nicht erheblich. In Cottbus wurde mir auch mal erzählt, ich bräuchte einen zweiten Angreifer an meiner Seite. Im nächsten Spiel habe ich dann als einzige Spitze vier Tore geschossen", erinnert sich Petersen. "Wir haben hier so viel Qualität in der Mannschaft, dass man sich als Stürmer keine Sorgen machen muss."

Petersen ist für ein Jahr von den Bayern ausgeliehen, auch für ihn wird diese Saison nach einer enttäuschenden letzten mit lediglich einem Einsatz von Beginn an und keinem einzigen Bundesligaspiel über die kompletten 90 Minuten für die Münchener eine entscheidende.

Wer kommt noch? Calhanoglu? Elia?

Dass er dabei aber nicht in eine intakte, in sich gefestigte Mannschaft rutscht, sondern in eine auf der Suche nach sich selbst, sieht er kaum als Nachteil. "Das von der Umbruchsaison habe ich jetzt schon so oft gelesen. Natürlich haben klangvolle, große Namen Werder verlassen. Aber es kommen ja auch wieder andere dazu. Vielleicht wird es anfangs ein bisschen sein wie bei einer Wundertüte, aber ich hoffe, es wird sich bis zu den ersten Pflichtspielen eine erste Elf herauskristallisieren."

Womöglich dann auch mit dem von der halben Bundesliga gejagten Calhanoglu und Elia im Team. Mit dem 18-jährigen Talent Calhanoglu soll bereits alles klar sein, er wäre ein klassischer Werder-Transfer aus der guten alten Zeit. Der Spieler sucht sich eine renommierte und trotzdem beschauliche Adresse, um sich weiterzuentwickeln und Bremen nennt einen sehr begehrten Spieler für die kommenden Jahre sein Eigen.

Dagegen gehen die Meinungen bei Elia doch weiter auseinander. Der war in den letzten Jahre sehr oft verletzt, spielte bei Juventus zuletzt kaum und deshalb auch keine Rolle. Zudem wird ihm ein eher schwieriger Charakter nachgesagt und es wären ein paar Euro Ablöse fällig. Das riecht ein wenig nach Risikotransfer. Aber gerade bei denen hat sich Werder in den letzten Jahren doch auch einige Male auch verhoben.

Werder Bremen: Kader im Überblick