Die Mixed Zone eines Stadions ist nach den Partien oftmals ein Ort der Gleichheit. Alle Journalisten befinden sich dort auf der Jagd nach den aufschlussreichsten Aussagen der Protagonisten. Doch oft sagen viele Spieler dasselbe und kauen gemeinsam auf einem großen Haufen Einheitsbrei herum.
Auch die Angestellten von Borussia Dortmund taten dies am Samstagabend nach dem 1:1 beim FC Bayern. Was dabei herausstach, ob nun von Roman Weidenfeller, Michael Zorc oder einigen anderen formuliert, war ein Satz: "Wir sind zufrieden."
Dortmund beschreitet alternativen Bildungsweg
Für sich genommen ist dieser Satz für die Journaille nur ein maues Ergebnis ihrer Fragestellungen. Doch die Überzeugung, mit der die Dortmunder ihn aussprachen, lässt den Schluss zu: Sie sind mit dem Status Quo wirklich zufrieden. Und sagen dies eben nicht nur so dahin, um sich später im stillen Kämmerlein schwarz zu ärgern, dass der Rückstand auf die Tabellenspitze weiterhin bei beachtlichen elf Punkten liegt.Dieser Abstand auf Platz eins ist für einen Titelverteidiger in der Bundesliga im Normalfall so gravierend, dass der Grad der Zufriedenheit gen Null tendiert. Doch warum scheint das bei den Borussen anders zu sein?
Dortmund beschreitet in dieser Spielzeit so etwas wie einen alternativen Bildungsweg. Die zwei Jahre der nationalen Extraklasse, in denen die Mannschaft zu einem organisch gewachsenen und in ihrer Qualität ideal austarierten Gebilde reifte, stellen für den Verein weiterhin keinen Grund dar, das eigene Selbstverständnis von der westfälischen Bescheidenheit zu lockern.
Watzke warnt vor Arroganz
Der klassische Meister fokussiert sich auch im Folgejahr auf die Wiederholung der Geschehnisse, den Dortmundern wirft man daher Understatement vor, wenn lediglich die Qualifikation zur Champions League als Saisonziel ausgegeben wird.
Auf der Mitgliederversammlung fiel von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke kürzlich der Satz: "Wir dürfen niemals so arrogant werden, dass man sagt: Auf Platz zwei fangen die Verlierer an."
Diese Aussage spiegelt das Selbstverständnis des Klubs ziemlich gut wider. Gerade trotz der zwei außergewöhnlichen Jahre soll bloß keiner auf den Gedanken kommen, den Erfolg des Klubs einzig über erste Plätze zu definieren. "Ich habe nie davon geträumt, dass wir jetzt zehn Mal in Serie die Deutsche Meisterschaft gewinnen", fügte Watzke hinzu. Dementsprechend regiert bei ihm derzeit auch nicht die Panik ob des Rückstands auf Rang eins.
Oberstes Ziel: sportliche Nachhaltigkeit
In den kommenden Jahren sieht Watzke die schwerste Aufgabe des BVB darin, neben einer wirtschaftlichen auch eine sportliche Nachhaltigkeit zu garantieren.
Doch die muss nicht zwangsläufig vorsehen - wie im vermeintlich klassischen Fall - , die Meisterschale erneut nach Dortmund zu holen. Den Maßstab dafür definiert der Verein selbst, immer im Hinblick auf eine ganzheitliche und fortwährende Entwicklung der Mannschaft.Der teils krasse Widerspruch, den die Leistungen auf internationalem Parkett in den vergangenen Jahren zum eigentlichen Potential des Teams entstehen ließen, war für die Verantwortlichen vor der aktuellen Saison das am dringlichsten anzugehende Problem und so etwas wie das heimliche Saisonziel.
Fokus liegt auf Champions League
Auf diesem Terrain, das für viele Spieler auch weiterhin als Neuland bezeichnet werden muss, setzte die Entwicklung der Mannschaft nicht immer erklärbar aus. Sie hielt nicht Schritt mit dem Tempo jenes Wachstums, mit der das Team durch die Bundesliga walzte.
Der Fokus auf diesen Umstand erklärt auch ein wenig den bisherigen Saisonverlauf. Dortmund spielt eine gute, aber nicht mehr solch herausragende Runde wie zuletzt. Dazu fehlte es in manchen Partien an Stabilität - die das Team jedoch in der Champions League plötzlich auszeichnet.
Dort hat die Borussia den nächsten Schritt genommen auf dem Weg, der jugendlichen Unbekümmertheit auch eine gewisse Reife und Abgeklärtheit hinzuzufügen. Das Umsetzen dieses Vorhabens wiegt für die Entscheidungsträger in Schwarzgelb viel schwerer, als eine Herbstmeisterschaft bei gleichzeitigem Stillstand in Europa.
In den Spitzenspielen ungeschlagen
So hat Dortmund in den sechs Highlight-Spielen dieser Saison (CL plus die Partie in München) keine Niederlage einstecken müssen und gegen die hochkarätigen Kontrahenten bewiesen, auch bei variierenden Spielverläufen nicht naiv ins Verderben zu rennen, sondern aus der eigenen Stärke heraus konstant zu bleiben und einen vorgegebenen Plan durchzubringen.
Dass dieser auch nach spieltaktischen Variationen - in München griff Klopp wie bereits beim Beinahe-Sieg in Manchester auf ein Mittelfeld mit drei defensiv denkenden Akteuren zurück - greift, stellt zweifelsohne einen großen Fortschritt dar.
Diese Entwicklung klingt auch in Klopps Sicht nach dem 1:1 gegen den Rekordmeister an, wenn er davon spricht, dass für ihn das Hauptaugenmerk darauf lag "in diesem Spiel zu bestehen. Wir haben das ausgeklammert aus der Bundesliga und gesagt, wir gehen es an wie ein Champions-League-Spiel."
Watzke: "Bayern ist nicht merhr zu stoppen"
Geht man davon aus, dass sich bis zur Winterpause keine spürbaren tabellarischen Verschiebungen mehr ergeben, startet Dortmund unter Voraussetzungen in die Rückrunde, die man zuletzt so nicht kannte: Platz eins ist nicht omnipräsent, das Abenteuer Europa nicht schon beendet, die erneute Qualifikation für die Königsklasse machbar.Trotz der "Neuheit" dieses Ist-Zustands liegt dieser innerhalb der sich selbst auferlegten Saisonvorgaben und hat das Team in seiner Entwicklung ein erneutes Stück nach vorne gebracht.
Und so legt man in Dortmund aktuell auch keinerlei Verbissenheit an den Tag, den Titelkampf mit harschen Kampfansagen zu befeuern. "Die Bayern werden dieses Jahr wahrscheinlich nicht zu stoppen sein. Das 1:1 ist für uns ein Erfolgserlebnis", sagte Watzke - und man kommt nicht umher, ihm dies auch abzunehmen.
Eben weil der Verlauf der Partie in München den Vorgaben des alternativen Bildungswegs entsprach.
Der Kader von Borussia Dortmund