Mehmet Scholl ist als Trainer nicht gerade der Typ Walerij Lobanowskyj. Bei Spielen der zweiten Mannschaft des FC Bayern in der Regionalliga Bayern ist Scholl extrem engagiert an der Seitenlinie. Er meckert über Schiedsrichterentscheidungen, redet auf Verantwortliche und Spieler auf der Bank ein und brüllt Anweisungen aufs Feld.
In Sachen Lob für seine zumeist sehr jungen Spieler ist Scholl aber ähnlich sparsam wie der kauzige Lobanowskyj seinerzeit. Der 42-Jährige ist wie die meisten Verantwortlichen beim FC Bayern darauf bedacht, den Hype um die talentierten Nachwuchsspieler nicht selbst anzufachen.
Großes Lob von Scholl
In manchen Fällen kommt aber auch Scholl nicht um ein Extralob herum. "Pierre ist ein überragender Spieler, der nicht allzu lange in meinen Händen bleiben wird", sagte Scholl schon im November nach der Niederlage im kleinen Derby gegen 1860 München über Pierre-Emile Hojbjerg.
"Er hat zu viel Qualität. Für diese Liga ist sein Talent auf Dauer verschenkt. Das ist schade für mich, aber sehr gut für diesen jungen Spieler."
Zweites Trainingslager mit den Profis
17 Jahre ist Hojbjerg erst alt. Neben Torhüter Leopold Zingerle, Verteidiger Daniel Wein und Angreifer Patrick Weihrauch, der schon einen Profivertrag besitzt, ist er einer von vier Spielern aus der zweiten Mannschaft, die Trainer Jupp Heynckes mit ins Trainingslager der Profis nach Doha genommen hat.
Für Hojbjerg, der nochmal rund anderthalb Jahre jünger ist als seine drei Kollegen aus der Reserve, ist es das zweite Trainingslager mit den Profis. Bereits in der Sommervorbereitung im Trentino zählte der Däne, der auch die französische Staatsbürgerschaft besitzt, zum Aufgebot. Allerdings fehlten im Gardasee zahlreiche EM-Teilnehmer, sodass der Kader mit mehreren Nachwuchskräften aufgefüllt werden musste.
Im Sommer Aufstieg zu den Profis?
Die Nominierung für die Reise nach Doha ist also schon eine Belohnung für die gezeigten Leistungen von Hojbjerg, der erst Anfang 2012 von Bröndby IF nach München wechselte.
Geht die Entwicklung weiterhin so voran, wie es sich die Bayern und Hojbjerg vorstellen, wird es nicht bei Teilnahmen an Trainingslagern bleiben.
"Spätestens in einem halben Jahr wird man bei ihm sagen müssen: Die Dinge, die er jetzt noch lernen muss, die lernt er nicht in dieser Liga. Die lernt er wahrscheinlich eher beim Training mit den Profis als in der Regionalliga", sagte Scholl im Zuge seines Hinrunden-Fazits Ende November.
Körperlich und technisch stark
Körperlich ist Hojbjerg für sein Alter schon extrem weit, auch wenn er "noch nicht die Athletik hat, die es braucht", wie Scholl meint. Für die Regionalliga reicht das bisher locker. Wer ihn spielen sieht, erkennt sofort, dass Hojbjerg technisch in einer anderen Liga spielt.
Er ist seinen Gegenspielern und auch seinen Mitspielern in Sachen Ballkontrolle und Spielintelligenz deutlich voraus. Im Mittelfeld ist er auf jeder Position einsetzbar, er kann ein Spiel von hinten heraus entwickeln, hat aber auch einen guten Torabschluss; vor allem sein Schuss mit dem rechten Fuß ist gefährlich. Bei den kleinen Bayern ist er als Freistoßschütze gesetzt.
Kim Vilfort: "Ein Achter, ein Box-to-Box-Player"
"Auf der Achter-Position ist er am besten. Ich würde ihn als Box-to-Box-Player bezeichnen", sagt Kim Vilfort im Gespräch mit SPOX. Vilfort, der 1992 mit Dänemark Europameister wurde, ist seit 1998 Jugendkoordiantor bei Bröndby und war in dieser Position entscheidend am ersten Wechsel von Hojbjerg vom FC Kopenhagen zu Bröndby beteiligt.
Mit 13 Jahren wechselte Hojbjerg 2009 innerhalb der dänischen Hauptstadt den Verein. "Es war kein Problem ihn zu bekommen, weil Kopenhagen mit Mikkel Wohlgemuth einen ähnlichen Spielertypen für diese Position hatte", erklärt Vilfort. "Und Kopenhagen verfolgt ein sehr klar strukturiertes System von den Profis bis hinunter in die Jugendmannschaften. Alle spielen 4-4-2." Für beide war beim FC Kopenhagen also kein Platz.
Neuer Spielertyp im Bayern-Kader
Bröndby geht dagegen "einen anderen Weg, einen jungen Spieler zu entwickeln ", wie Vilfort erklärt. Die individuelle Förderung des Spielers steht im Vordergrund, unabhängig vom System. "Vor allem bei Spielern unter 17 Jahren geht es darum, den Jungs das Fußballspielen beizubringen."
Mit seinen Anlagen als Box-to-Box-Player ist Hojbjerg ein Spielertyp, den die Bayern so noch nicht in ihren Reihen haben. Seine Art zu spielen liegt irgendwo zwischen Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos. Vilfort würde ihn ehesten mit dem dänischen Nationalspieler Niki Zimling vergleichen, der ebenfalls durch die Bröndby-Schule ging.
Hojbjerg kam ablösefrei
Bei Bröndby hätten sie Hojbjerg noch gerne länger behalten, denn am Talent des Jungen zweifelt keiner. Doch Hojbjerg wollte den neuen Vertrag nicht unterschreiben und wechselte nach München. Die Bayern mussten keine Ablöse zahlen, nur eine Ausbildungsentschädigung.
Es ist das Los dieser kleineren Vereine, dass Jahr für Jahr europäische Großklubs kommen und sich bei deren Nachwuchs bedienen. "Auch, um sie in den europäischen Wettbewerben als Homegrown-Spieler (Spieler aus der eigenen Jugend, d. Red.) melden zu können", sagt Vilfort.
Auch der FC Chelsea und Inter Mailand bedienten sich im vergangenen Jahr bei Bröndby. Hojbjerg hatte Angebote aus Holland, Italien, England und Deutschland.
Der schwerste Schritt kommt noch
Dabei täten viele Spieler gut daran, noch etwas länger in der Heimat zu reifen. "Nur ein paar Spieler schaffen wirklich den Durchbruch, wenn sie so früh ins Ausland wechseln. Viele kommen zurück und spielen dann auf niedrigerem Niveau weiter. Das belegt eine Studie, die gerade in Schweden veröffentlicht wurde", sagt Vilfort.
Dass Hojbjerg das Rüstzeug für den Profifußball besitzt, bestätigt auch Vilfort. "Aber der wirklich schwierige Schritt ist, sich bei den Profis festzubeißen und sich am Ende auch einen Platz unter den ersten Elf zu erkämpfen."
Der Kader des FC Bayern München