Thomas Eichin ist ein gewiefter Krisenmanager. Bei den Kölner Haien musste der 46-Jährige nicht nur einmal um die Existenz des Traditionsklubs kämpfen. In Bremen kämpft man noch nicht um die nackte Existenz, auch wenn einige hartgesottene Pessimisten schon düstere Szenarien zeichnen.
Dass die Lage aber durchaus prekär ist und in den kommenden Wochen noch mehr Fahrt aufnehmen könnte, sollte spätestens nach den blamablen Auftritten in den letzten Partien nun jedem klar sein.
Emotionen contra Fakten
Am Dienstag also ließ sich Eichin, der seit drei Wochen im Amt ist, zum ersten Mal auf dem Trainingsplatz blicken. Dort führte er längere Diskussionen mit einzelnen Spielern, war danach auch gut 20 Minuten mit Thomas Schaaf im Zwiegespräch.Aus seiner Zeit in Köln kennt er die Problematik nur zu gut, auf zwei Ebenen gleichzieitig funktionieren zu müssen. Der Kölner liebt seine Stadt und seine Klubs, den FC vielleicht noch ein bisschen mehr als die Haie. Die Demarkationslinien zwischen Leidenschaft und Emotionen auf der einen und harten, nüchternen Fakten auf der anderen Seite verschwimmen aber schnell.
Abstieg in die Mittelklasse
In Bremen ist das in etwa ähnlich. Nur dass sich die emotionalen Debatten um das Wohl und Wehe des Vereins irgendwann immer auf diese eine Person hin zuspitzen: Thomas Schaaf.
Die Bremer haben ihr Handwerk schon immer ein wenig anders verstanden, als es der Rest für gewöhnlich vollbringt. Auch bei Werder ist das seit fast anderthalb Jahrzehnten nur gute Sitte.
Jede Menge Respekt und Anerkennung hat sich Werder damit erarbeitet, bis auf den SC Freiburg mit Volker Finke war kein anderer Profiklub in Deutschland in seinen Personalentscheidungen auf höchster Ebene so stringent.
Nun haben sich die Dinge aber geändert. Der Erfolg früherer Tage ist passe, Werder Bremen droht der Abstieg in die Kategorie Mittelklasse. Wobei die durchaus gefährliche Tabellenkonstellation derzeit sogar noch Schlimmeres vermuten lässt.
Gleichgültigkeit macht sich breit?
Deshalb ist es allmählich auch vorbei mit der genügsamen Stimmung. Die Debatten unter den Anhängern sind in vollem Gange, es formiert sich der (noch stille) Widerstand. Teile der Fans sind mit den derzeitigen Leistungen und dem Stillstand oder sogar Rückschritt der letzten Jahre so gar nicht mehr einverstanden. Als Hauptverantwortlicher rückt deshalb selbst in einem Umfeld wie dem in Bremen nun der Trainer immer mehr in den Blickpunkt.
Dem gegenüber hält sich die Gruppe der Schaaf-Befürworter hartnäckig. Hier ist der Punkt, wo Realität und Träumerei am weitesten voneinander entfernt liegen. Während und nach dem Augsburg-Spiel am vergangenen Wochenende gab es Pfiffe im Weserstadion. Gegen den Trainer. Wenn überhaupt, traf es zuletzt vereinzelte Spieler wie etwa Aaron Hunt vor gut zwei Jahren.
Die große Masse aber blieb stumm - was selbst in Bremen als eher negatives Zeichen aufzufassen ist. Auch in anderen Klubs zeigt sich dieses Phänomen häufiger, etwa beim VfB Stuttgart. Da schlägt Leidenschaft in Gleichgültigkeit um, die Leistungen der Mannschaft werden mit einem Achselzucken hingenommen: Bier noch schnell austrinken und tschüss.
Tabelle lügt nicht
Wie viel davon ist noch hanseatische Gelassenheit, wie viel schon erste Anzeichen eines Burnout der Fans ihrem Klub gegenüber? Hier bleibt genügend Interpretationsspielraum. Die Tabelle aber lügt auch im 50. Jahr der Bundesliga nicht.
Der Verweis auf die Meriten vergangener Tage hält auch in Bremen der Realität nicht mehr stand. Die Mannschaft droht zum dritten Mal in Folge das internationale Geschäft zu verpassen.
Schaaf ist mit dem Weggang von Klaus Allofs der letzte Hinterbliebene der goldenen Ära. Im Hintergrund hat der Klub schon einige clevere Züge getätigt und ehemalige verdiente Spieler installiert. Dazu kommt eine personelle Neuausrichtung bei der Jugendausbildung. Es hat sich einiges getan in den letzten Monaten. Nur einer hält sich standhaft.
Schaaf: Status erarbeitet
Thomas Schaaf hat sich seinen Status in diesem Klub erarbeitet und er hat ihn sich verdient. Selbst seine Kritiker würden das wohl kaum ernsthaft bestreiten wollen.
Trotzdem findet man derzeit eine Mannschaft ohne erkennbare Struktur vor. Begriffe wie Umbruch, Talent oder Potenzial müssten längst auf dem Index stehen, weil sie die Realität verkennen oder schönfärben. Es gibt in der Liga auch Mannschaften mit weniger Talent und geringerem Personalkostenaufwand, die in der Tabelle deutlich vor Werder stehen und mindestens genauso wichtig: schöneren Fußball spielen.
Es hält sich hartnäckig die Mär, dass die Bremer zwar schlecht verteidigen, aber immer noch sehr hübsch und rentabel nach vorne spielen könnten. Diese Hochzeiten sind allerdings auch schon ein paar Jahre her. Zwischen 2004 und 2008 erzielte Werder viermal die meisten Treffer der Liga. Nur 2005 waren die Bayern gefährlicher. Auch das ist mittlerweile schon ein Weilchen her.
Die letzten Spielzeiten waren immer stärker geprägt vom individuellen Können Einzelner, denn vom planvollen Zusammenspiel des Kollektivs. Als Claudio Pizarro in der Hinrunde der letzten Saison noch verlässlich traf, durfte Bremen von der Champions League träumen. Als der Peruaner dann verletzt oder außer Form war oder mit den Gedanken schon in München, war es schnell vorbei mit der Offensivherrlichkeit und Werder spielte die schlechteste Rückrunde aller Zeiten.