Die Bayern als Vorbild an Entschlossenheit und Harmonie: Horst Heldt über die Saison der Extreme, Mentalitätsprobleme im Kader und das Transfer-Gebaren des BVB. Im Rahmen von "Sport und Talk aus dem Hangar 7" traf sich SPOX mit dem Schalke-Vorstand. Ein offen und selbstkritisches Interview vor dem Freitagsspiel bei Borussia Mönchengladbach (Fr., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER).
SPOX: Ist 2012/13 die anstrengendste Saison, seit Sie als Manager tätig sind?
Horst Heldt: Es geht in die Richtung. Alleine schon wegen der Reisestrapazen, weil wir dieses Jahr extrem viel unterwegs waren. Es ist ein Jahr der sportlichen Höhen und Tiefen. Es ist sicherlich eine schwierige Saison.
SPOX: Fällt es Ihnen schwer, die Saison zu evaluieren?
Heldt: Zu diesem Zeitpunkt ist es ohnehin schwierig für ein Fazit. Aber dieses Jahr ist selbst ein Zwischenfazit nur schwer möglich, weil der Verlauf nicht greifbar ist. Es gab wunderschöne Spiele wie die beiden Siege gegen Dortmund, das waren zwei berauschende Tage. Ebenso wie das Weiterkommen in der Champions-League-Gruppenphase. Zugleich setzte es unnötige Niederlagen. Daher macht eine Evaluation dieser Saison erst am Ende Sinn. Wir haben alle Möglichkeiten, uns als Vierter für die Champions League zu qualifizieren.
SPOX: Die Bayern zogen bereits eine Lehre und zeigen sich vom Mentalitätswechsel durch die Verpflichtung des neuen Sportdirektors Matthias Sammer durchweg zufrieden. Sie selbst wünschen sich für Schalke ebenfalls ein neues "Bewusstsein". Fehlt Ihnen ein zweiter Mann an der Seite, der mit Sammer die Erfolgsbesessenheit teilt?
Heldt: Natürlich blickt man als Verantwortlicher auf die anderen Vereine und zieht Parallelen: Was machen die Konkurrenten gut? Was machen sie nicht so gut? In der Analyse wird klar erkennbar, dass der FC Bayern vieles gut macht. Dieses Bayern-Gen wurde offensichtlich wieder implantiert. Und diese Selbstverständlichkeit des Siegens wünscht man sich selbst für den eigenen Verein. Dass man selbstverständlich nach Frankfurt fährt und gewinnt. Dass man selbstverständlich nach Nürnberg fährt und gewinnt. Ohne den Gegnern respektlos gegenüberzutreten, würde ich mir noch mehr diese Grundüberzeugung von uns wünschen.
SPOX: Sie sind begeistert von den Bayern?
Heldt: Wie sie dieses Jahr auftreten, erinnert an den AC Milan Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre. Es ist durchweg überragend, was sie abliefern, nicht nur im deutschen, sondern auch im europäischen Maßstab. Was mich beeindruckt ist nicht, dass sie so gut besetzt sind. Vielmehr ist es die Harmonie von vorne bis hinten. Es beteiligen sich Spieler an der Arbeit nach hinten, die so etwas noch nie gemacht haben. Jeder ist gierig, den Ball zu erobern und nicht nur offensiv zu glänzen. Hervorragend!
SPOX: Durch die Stärke der Bayern und des BVB wird vor einem drohenden Duopol in der Bundesliga gewarnt. Ist Schalke in der Pflicht als designierte dritte Kraft?
Heldt: Um die Duopol-Diskussion herrscht tatsächlich zu viel Hype. Wir würden gut daran tun, etwas von der Aufgeregtheit herauszunehmen. Bayern war, ist und wird immer dominant bleiben. Alle anderen Kandidaten dahinter sehe ich auf Augenhöhe. Natürlich hat Dortmund in den letzten beiden Jahren mit der Meisterschaft einiges aufgeholt und vieles richtig gemacht, wobei der Abstand zu uns und den anderen Vereinen nicht so groß ist, als dass wir das nicht aufholen könnten.
SPOX: Sie haben noch nicht entschieden, ob Jens Keller als Trainer weitermachen darf. Wären internationale Toptrainer eine Alternative? Durch den Aufschwung der Bundesliga dürfte Schalke eine interessante Option sein.
spoxHeldt: Ganz grundsätzlich ist Deutschland eine sehr attraktive Liga für Topspieler wie Top-Trainer aus dem Ausland. Die Verpflichtung von Pep Guardiola war vor Jahren unvorstellbar. Viele spannende Trainer haben Interesse, in die Bundesliga zu kommen. Trotz alledem gelten für uns auf Schalke gewisse Kriterien: Wir sind zum Beispiel überzeugt, dass ein Trainer eines deutschen Fußballvereins die deutsche Sprache beherrschen muss. Sei es nur, um die Witze in der Kabine zu verstehen oder sich mit den Journalisten auszutauschen.
SPOX: Wie sehr veränderte Schalkes Verpflichtung von Raul die Wahrnehmung der Bundesliga? Ist Schalke ein Vorreiter?
Heldt: Raul ist eingeschlagen wie eine Bombe und hat europaweit für Furore gesorgt. Wir hatten mit ihm zwei tolle Jahre, um die uns einige andere beneiden. Aber das Wort "Vorreiter" ist etwas zu bedeutungsschwer. Wir haben eher eine Tür aufgemacht.
SPOX: Ein Vorreiter ist Schalke bei der Transferpolitik in dieser Saison. Um nicht wie Stuttgart oder Bremen in die Champions-League-Falle zu treten, verzichteten Sie auf überteuerte Transfers und verpflichteten mit Michel Bastos, Raffael und Ibrahim Afellay drei bekannte Namen auf Leihbasis. Ist das der Weg für deutsche Topklubs?
Heldt: Auf jeden Fall ist es ein Weg der Risikominimierung. Dieser Weg war nur möglich, weil Deutschland mittlerweile eine kleine Oase ist, in der es den Klubs wirtschaftlich gut geht. Wenn ich in Europa unterwegs bin und mit ausländischen Vereinen rede, merke ich schnell, dass es vielen finanziell nicht gut geht. Sie nehmen dann dankend ein Ausleih-Modell an, weil sie so zumindest eine Gebühr bekommen und Gehälter einsparen für Spieler, für die sie womöglich keine Verwendung hätten. Die Möglichkeiten für deutsche Klubs sind mittlerweile größer, das Risiko zu streuen.
SPOX: Was passiert jedoch, wenn ein potenter Rivale wie der BVB einen Spieler lockt? Haben Sie nach der Bekanntgabe des Götze-Transfers von Dortmund zu den Bayern um Julian Draxlers Verbleib gezittert?
Heldt: Nein, nie.
SPOX: Ehrlich?
Heldt: Ganz ehrlich. Julian ist Ur-Schalker und wir tauschen uns intensiv über die weitere Zukunft aus. Daher wusste ich, dass ein Wechsel nach Dortmund nie ein Thema werden würde.
SPOX: Sie wissen, dass Dortmunds Nachwuchskoordinator Lars Ricken bereits in der Jugend heftig um Draxler gebuhlt hat?
Heldt: Ich weiß, dass die Dortmunder seit geraumer Zeit sehr intensiv versuchen, Julian zu überzeugen. Obwohl sie wissen müssten, dass er von klein auf Schalker ist und die ganze Familie sich Blau und Weiß verschrieben hat. Ich kann nicht ausschließen, dass Julian irgendwann Schalke verlässt. Aber was ich sagen kann, ohne unverschämt zu sein: Julian wird nie 40 Kilometer östlich spielen.
Seite 2: Heldt über Max Meyer, den Nachwuchs und sich selbst
SPOX: Verstehen Sie trotzdem den Ärger, den Dortmund aufgrund des Götze-Wechsels gegenüber die Bayern verspürt?
Heldt: Nein. Der Verein und der Spieler haben einen Vertrag unterschrieben und die darin festgehalte Klausel legitimiert die Bayern und Götzes Berater, über einen Wechsel zu sprechen. Eine solche Klausel kommt bei jedem Klub vor. Wenn ich dem zustimme, brauche ich mich danach nicht zu beschweren. Dortmund hat dem Vertrag genauso zugestimmt wie Götze.
SPOX: Auf Schalke steht nach Draxler mit Max Meyer der nächste offensive Mittelfeldspieler vor dem Durchbruch. Sehen Sie als ehemaliger Zehner etwas von sich selbst in ihm?
Heldt: Nicht einmal ansatzweise: Max ist jetzt schon technisch so versiert, wie ich es nie gewesen bin. Er hat eine große Karriere vor sich und seine Zeit wird kommen. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass er erst 17 Jahre alt ist. Daher sollten wir kurzfristig nicht zu viel erwarten.
SPOX: Als erstes großes Ziel nach der Entlassung von Felix Magath und Ihrer Beförderung stellten Sie die Nachwuchsarbeit in den Vordergrund. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Heldt: Mir die Erfolge auf die Fahne zu schreiben, wäre unverschämt. Das Team funktioniert exzellent mit Oliver Ruhnert im sportlichen und Bodo Menze im administrativen Bereich an der Spitze. Wir verschrieben uns vor zwei Jahren dem Ziel, dass wir unsere gute Ausgangslage besser nutzen müssen. Wir bekommen schon immer viele gute Talente, nur diese wurden nicht angemessen gefördert. Das wollten wir ändern - und die Früchte ernten wir jetzt. Etwa mit einem Sead Kolasinac, der sich schon jetzt als Stammspieler bei den Profis bezeichnen darf. Und aus der U 19 und U 17 drängen weitere nach, die es sicher in die erste Mannschaft schaffen werden.
SPOX: Wie sehr fühlen Sie sich selbst mittlerweile als Schalker Galionsfigur?
Heldt: Ich fühle mich durch und durch als Schalker, obwohl ich erst seit drei Jahren im Klub und erst seit zwei Jahren Mitglied bin. Uralte Schalke-Fans könnten das vielleicht verpönen, weil das nicht vergleichbar ist. Das stimmt auch. Aber ich identifiziere mich zu hundert Prozent mit dem Verein und versuche herauszufinden, was die Leute bewegt. Ich möchte in die Schalker Seele blicken.
SPOX: Sie werden in Fan-Kreisen nicht von jedem geliebt.
Heldt: Ich versuche, alle Fan-Wünsche zu berücksichtigen, als Vorstand muss man jedoch Entscheidungen treffen, die nicht immer einfach sind und bei denen man es nicht jedem recht machen kann.
SPOX: Wie unterscheidet sich der Spieler Horst Heldt vom Manager Horst Heldt?
Heldt: Als Spieler war ich einer von vielen und konnte mich verstecken, wenn ich wollte. Als Manager ist man hingegen für alles verantwortlich, insbesondere, wenn es schlecht läuft. Dieses Verantwortungsgefühl bedeutet ein komplett anderes Leben. Nach einer Niederlage kann ein Spieler das Ergebnis nach ein, zwei Tagen abschütteln. Einen Manager begleitet die Niederlage die gesamte Woche, weil es Auswirkungen auf allen Ebenen hat.
SPOX: Und wie hat sich Horst Heldt als Manager in den letzten sieben Jahren verändert?
Heldt: Ich habe erfahren, wie wichtig es ist, Berufliches vom Menschlichen zu trennen. Und was Verantwortung wirklich bedeutet, wenn man sich von Mitarbeitern trennen und diesen Entschluss im Vier-Augen-Gespräch vermitteln muss. Und ich muss sagen: Es verändert einen, selbst solch weitreichende Entscheidungen zu treffen. Trotzdem versuche ich, Mensch zu bleiben. Das ist zugegebenermaßen in der Schnelllebigkeit, in der wir uns bewegen, nicht einfach. Dennoch soll sich mein Charakter nicht verändern. Dafür ist es wichtig, ein Kontrollsystem mit Familienmitgliedern und Freunden zu besitzen, die einem auf die Füße treten, wenn man sich nicht korrekt verhält oder sich falsch in der Öffentlichkeit äußert.
SPOX: Sie waren in Ihren ersten zwei Jahren ein Mann des Ausgleichs. Sie beruhigten das Schalker Umfeld und warnten vor zu hohen Erwartungen. In diesem Sommer veränderten Sie Ihre Rhetorik, äußerten sich wie im SPOX-Interview wesentlich forscher - und hatten von außen betrachtet Ihren Anteil daran, dass eine gewisse Irrationalität zurückkehrte. Ist die Beobachtung richtig?
Heldt: Das kann gut sein. Nach unserem dritten Bundesliga-Platz habe ich versucht, die Mannschaft und den Gesamtverein zum nächsten Schritt zu bewegen. So wertvoll ein dritter Platz ist, auf Dauer wollen wir alle mehr. Und mit unseren Möglichkeiten können wir mehr erreichen. Das war mein Hintergedanke, als ich eine neue Tonart anstimmte, um neue Reizpunkte zu setzen.
SPOX: Waren Sie selbst erschrocken, wie schnell ein scheinbar stabiles Gebilde fragil wird?
Heldt: Es hat mir gezeigt, wie groß die Herausforderung für einen Verantwortlichen ist, einen Verein in Balance zu halten. Aber das übergeordnete Ziel sollte lauten, einen Verein in Balance zu haben, der zugleich erfolgreich ist. Wir sind dabei, uns dem zu nähern.
Horst Heldt im Steckbrief