"Guardiola ist halber Holländer"

Haruka Gruber
24. Juni 201313:37
Der FC Barcelona anno 1999: Mit Michael Reiziger (u.l.) und Kapitän Pep Guardiola (o.r.)imago
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Mit der Antritts-Pressekonferenz am Montag (10 Uhr im LIVE-TICKER) beginnt die Ära Pep Guardiola - doch wird es für die Bayern eher eine Oranje-Renaissance? Wegbegleiter Michael Reiziger über gemeinsame Fußball-Wurzeln und Louis van Gaals weitreichenden Einfluss.

SPOX: Wenn Pep Guardiola am Montag mit der Auftakt-Pressekonferenz seine Arbeit bei den Bayern beginnt, kehrt nach München der Geist von Louis van Gaal zurück. Stimmt das?

Michael Reiziger: Pep ist das Resultat einer Sozialisation im Barcelona-Universum. Und dieses Barcelona-Universum entstand aus den Ideen der niederländischen Schule, die in den 70er Jahren führend war im Weltfußball. Es begann mit Rinus Michels und später Johan Cruyff, dann führte Louis van Gaal es Ende der 90er Jahre fort. Der dominante Barca-Fußball der Moderne kam nicht über Nacht, sondern war eine jahrelange Verschmelzung von spanischer Leichtigkeit und Spielfreude mit niederländischer Technik und Taktik. Es ist die perfekte Mischung - und Pep nahm es in sich auf, als Spieler und als Trainer. Er ist von der fußballerischen Erziehung her ein halber Holländer.

SPOX: Sie spielten mit Guardiola vier Jahre zusammen und leben seit dem Karriereende wieder in Barcelona und verfolgen den Klub intensiv. Ahnten Sie früher, welchen Weg Guardiola geht?

Reiziger: Ich besuche bis heute sehr häufig die Spiele der zweiten Mannschaft und der Jugendteams, um mir die nächste Generation von Barca anzuschauen. Als damals Pep die Zweite übernahm und er mit ihr gleich zurück in die dritte Liga aufstieg und einen wundervollen Fußball spielen ließ, wusste ich, dass ich seinen Weg weiterverfolgen muss. Aber das beschränkt sich nicht nur auf Pep. Mit Frank de Boer gibt es einen weiteren ehemaligen Mitspieler von damals, der bei Ajax Amsterdam einen ähnlich grandiosen Job leistet.

SPOX: Sie arbeiteten wie de Boer mit den namhaftesten niederländischen Trainern: Louis van Gaal, Guus Hiddink, Dick Advocaat. Wer beeindruckte Sie am meisten?

Reiziger: Bei Hiddink ist es erstaunlich, wie er es schafft, aus einer Gruppe von Individuen eine Einheit zu formen. Er hat das gewisse Etwas, so dass das Miteinander immer positiv und konstruktiv wird. Van Gaal sticht als Taktiker heraus. Auch Johan Cruyff beeinflusste mich nachhaltig. Er war zwar nie mein Trainer, allerdings spielte ich mit seinem Sohn Jordi bei Barcelona und wir kamen oft in Kontakt und philosophierten über Fußball. Seine Art, Fußball zu lesen, ist einzigartig.

SPOX: Cruyff und van Gaal prägten Barca - dennoch sind sie sich spinnefeind. Kennen Sie den Ursprung der Fehde?

Reiziger: Großartige Charaktere sind häufig schwierige Charaktere, das trifft auf beide zu. Wir in den Niederlanden akzeptieren das mittlerweile, zucken mit den Schultern und denken uns unseren Teil.

SPOX: Wie haben Sie und Guardiola den Menschen van Gaal erlebt? Stimmen die Beschreibungen in den Medien?

Reiziger: Die Dinge, die man über ihn liest, sind schon gerechtfertigt. Er ist im Umgang kein einfacher Mensch. Er ist eben so, wie er ist, und das kann ihm keiner mehr austreiben. Das ist okay, denn sein Training ist methodisch das beste auf der Welt. In der Menschenführung ist Hiddink die Koryphäe, in der Taktikschulung ist van Gaal die Koryphäe. Die Wahrheit: Ich habe es in meiner Karriere noch nie erlebt, dass ein Trainer in beiden Kernfächern herausragt. Entweder so oder so.

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SPOX: Ihre Erklärung dafür?

Reiziger: Ich habe keine Ahnung. Nehmen wir Hiddink: Er ist taktisch natürlich gut, sonst hätte er nicht bei so vielen Weltklasse-Klubs arbeiten können. Dennoch sind seine Man-Management-Skills das, was ihn besonders macht. Überall lieben ihn die Menschen.

SPOX: Könnte Guardiola derjenige sein, der in der Menschenführung und Taktikschulung höchsten Ansprüchen genügt?

Reiziger: Es könnte sein, ich traue ihm das zu. Dass sein taktisches Wissen exzellent ist, wissen wir alle. Zugleich legt er einen großen Wert auf Harmonie. In Spanien ist es beispielsweise normal, dass man selbst in der Nacht vor einem Heimspiel ins Hotel geht. Pep war eine Ausnahme und erlaubte es den Spielern, dass sie nach einem gemeinsamen Abendessen zu Hause schlafen dürfen. Es klingt wie eine Kleinigkeit, doch genau so etwas hält die Moral in einer Gruppe. Er hat Fingerspitzengefühl. Die große Frage: In Barcelona wusste er alles - wie schnell aber findet er den Zugang zu einem ihm fremden Klub wie Bayern? Und das in einer fremden Sprache?

Michael Reiziger (l.) und SPOX-Chefreporter Haruka Gruberspox

SPOX: Zahlreiche etablierte Trainer scheiterten in München, weil Sie sich mit den Verantwortlichen überwarfen.

Reiziger: Das ist ein Risiko. Fußballerisch mache ich mir keine Gedanken, menschlich wird er sich hingegen einfinden müssen. Er kennt Barcelona in- und auswendig und spürte jede politische Strömung innerhalb einer Mannschaft oder des gesamten Klubs. Bayern ist genauso groß und komplex wie Barca - nur dass das für ihn Neuland ist. Andererseits: Wenn ich mich mit Bayern-Offiziellen unterhalte, bekomme ich immer eine Ahnung dessen, wie gut organisiert der Klub ist und wie professionell es zugeht. Entsprechend gibt es eine gewisse Berechenbarkeit. Pep wird die richtigen Töne treffen, er ist intelligent und schafft das. Er ist ohnehin kein Typ, der nur um des Konflikts willen einen Konflikt sucht.

Hier geht's weiter: "Die Dreier-Kette als neue Bayern-Waffe"

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SPOX: Welche taktischen Neuerungen könnte Guardiola bei den Bayern einführen? In Ihrer gemeinsamen Zeit bei Barca Ende der 90er wurde zwischen einer Dreier- und Vierer-Abwehrkette variiert.

Reiziger: Nicht nur damals. Vor allem in seinem dritten Trainer-Jahr bei Barca bot er häufig eine Dreier-Kette auf, weil er ausprobieren wollte, wie man Überzahl im Mittelfeld herstellen kann. Bei Ajax wurde das bereits in den 70ern ausprobiert und Guardiola spielte unter Cruyff häufig als Sechser vor einer Dreierkette. Ich könnte mir vorstellen, dass Pep sich überlegt, die Dreierkette bei den Bayern einzuführen. Drei Abwehrspieler, womöglich mit Javi Martinez zentral, davor vier Mittelfeldspieler mit Philipp Lahm und David Alaba an der Seite und Schweinsteiger zentral-defensiv sowie Thomas Müller zentral-offensiv. Und drei Stürmer ganz vorne. Die Spielertypen hätte er.

SPOX: Doch ist das Switchen zwischen Vierer- und Dreierkette nicht taktisch besonders anspruchsvoll?

Reiziger: Ist es. Umso wichtiger wird die Vorbereitungszeit, sollte Pep das Switchen umsetzen wollen. Wenn man beide Grundordnungen beherrscht, kann man innerhalb eines Spiels auf den Gegner und das Zwischenresultat reagieren. Wenn es richtig umgesetzt wird, kann die taktische Umstellung zu einer neuen Waffe der Bayern werden. Das Problem: Wenn die Automatismen nicht funktionieren, gehen sie ein sehr großes Risiko ein.

SPOX: Sie selbst waren einer der besten Rechtsverteidiger der Welt. Wie bewerten Sie Philipp Lahm? Ihm wurde lange eine zu zurückhaltende Spielweise vorgeworfen, bis er in dieser Saison mit wettbewerbsübergreifend 19 Assists explodierte.

Reiziger: Ich fand Lahm bereits davor nicht einmal ansatzweise langweilig. Er ist das Synonym des Rechtsverteidigers, er ist eine Persönlichkeit, er ist einfach Philipp Lahm! Ich habe eine Menge Respekt vor ihm.

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SPOX: Wie sehen Sie David Alaba, den van Gaal vom Offensivspieler zum Linksverteidiger umschulte?

Reiziger: Ich kann mich gut in seine Situation hineinversetzen, weil es mir genauso erging. Ich war mein Leben lang Zehner und spielte in der Position, als ich von Amsterdam an Groningen ausgeliehen war. Van Gaal, damals Ajax-Trainer, beobachtete mich sah bei mir Anlagen, die als Außenverteidiger besser zur Geltung kommen. Daher wurde ich gefragt, ob ich das Risiko eingehen will und mit 21 Jahren eine neue Position erlernen möchte, wenn ich nach Amsterdam zurückkehre. Ich sagte ja - und war trotzdem geschockt, als mein Name in der Aufstellung erstmals unten rechts stand. Wobei ich schnell Gefallen daran fand. Ähnlich lief es bei Carles Puyol und Frank de Boer, die ebenfalls früher als Offensivspieler ausgebildet wurden. Alaba gehört in diese Reihe. Er ist auf dem besten Weg, zum besten Linksverteidiger der Welt zu werden.

SPOX: Wer ist Ihr aktuell liebster Außenverteidiger?

Reiziger: Ohne Lahm und Alaba nahetreten zu wollen: Dani Alves. Er hatte nicht die beste Saison, doch die Jahre davor waren allesamt sehr gut. Generell gefallen mir brasilianische Außenverteidiger am besten. Sie sind zwar defensiv nicht immer die Verlässlichsten, technisch dafür außerordentlich begabt und - was das Wichtigste für mich ist - sie versprühen Lebensfreude.

SPOX: In den Niederlanden ist die Lage weniger zufriedenstellend. Besonders auf den Außenverteidiger-Positionen fehlen die Hochkaräter. Die Alternativen hören auf Namen wie Dwight Tiendalli, Miquel Nelom oder Daryl Janmaat. Der Talentierteste ist wohl noch Ricardo van Rhijn von Ajax.

Reiziger: Uns fehlt gerade eine Menge bis zur Weltspitze. Allein wenn ich sehe, dass bei der letzten EM statt des zurückgetretenen Giovanni van Brockhorst der 19 Jahre jüngere Jetro Willems hinten links gespielt hat, heißt es für mich, dass in den 19 Jahren offenbar kein besserer Außenverteidiger ausgebildet wurde. Das ist ein großes Problem. Früher befruchtete der niederländische Fußball andere Kulturen oder Klubs wie Barca. So sehr, dass Barca die aktuelle Referenz ist. Jetzt ist der niederländische Fußball gefragt, wieder zur besten Schule der Welt zu werden.

LIVE-TICKER: Offizielle Guardiola-Vorstellung beim FC Bayern