Alexander Sereda: Es gab schon andere herausragende armenische Fußballer wie Nikita Simonyan, der 1973 mit dem krassen Außenseiter Ararat Jerewan den Titel in der UdSSR gewann. Aber was die heutige Zeit betrifft, ist es schwer einen anderen armenischen Spieler zu finden, der genauso viel erreicht hat, vor allem international. Er wird tatsächlich als Nationalheld verehrt. Wie eine Kultfigur. Er hat eine große Fan-Base, sowohl in Armenien, als auch in der Ukraine. Wenn es auf der Website von Schachtjor eine Umfrage gibt, wer der beste Spieler in dieser oder jener Kategorie sei, dann gewinnt fast immer Mkhitaryan.
SPOX: Laut einem Medienbericht soll Dortmund 23 Millionen Euro für Mkhitaryan geboten haben, Donezk soll aber 30 verlangen. Glauben Sie, dass er so viel wert ist? Gerade wenn man bedenkt, dass ein Spieler wie Mario Götze für "nur" sieben Millionen mehr gewechselt ist.
Henrikh Mkhitaryan: Borussia Dortmund ist der Wunschklub
Sereda: Schachtjors Boss Sergei Palkin hat ja bestätigt, dass es ein Angebot seitens des BVB gab, übrigens das einzige offzielle Angebot für Mkhitaryan. In dieser Woche wird sich nun zeigen, ob Dortmund den geforderten Preis zahlen wird. Götze ist ein gestandener europäischer Spieler aus einer der besten Ligen, der sich auch schon in der Champions League bewiesen hat. Man kann die ukrainische Liga nicht mit der Bundesliga vergleichen. Hier herrscht ein enormes Qualitätsgefälle. Schachtjor ist so viel besser als alle anderen Klubs, sportlich, infrastrukturell, finanziell und was die Professionalität des Managements betrifft. Wenn man sich Mkhitaryans Auftritte in der Champions League mal ansieht, hat er gut gespielt, aber er ist auch oft dem Hype um seine Person nicht gerecht geworden, gegen Dortmund zum Beispiel. Man muss einfach noch abwarten, um genaue Schlüsse ziehen zu können, ob er das mitbringt, was es braucht, um bei einem europäischen Topklub konstant auf einem hohen Level zu spielen. Fakt ist: Außer Tymoshchuk hat kein ehemaliger Schachtjor-Spieler große Erfolge erzielt.
SPOX: Würden Sie also sagen, dass es ein finanzielles Risiko wäre, so viel Geld für Mkhitaryan auszugeben?
Sereda: Ja. Es wäre zwar falsch zu sagen, dass er das Geld nicht wert ist, aber es birgt ein gewisses Risiko. Der Unterschied beider Ligen ist einfach enorm. Auch wenn er als offensiver Mittelfeldspieler einen neuen Torrekord in der Ukraine aufgestellt hat (mit 24 Toren, Anm. d. Red.), kann man nicht sagen, wie er sich in der Bundesliga schlagen würde.
SPOX: Wie würden Sie Mkhitaryan als Person beschreiben? Wie tickt er privat?
Sereda: Er ist ein sehr bescheidener und anständiger Junge. Glamour ist ihm fremd. Sie werden ihn nicht um drei Uhr morgens in einem Nachtclub antreffen. Als er von Armenien in die Ukraine kam, hat er auf dem Trainingsgelände gewohnt. Er hat kein Haus und keine Wohnung in Donezk. Soweit ich weiß, hat er auch keine Freundin. Das Einzige, was ihn derzeit interessiert, ist Fußball. Er ist sehr professionell. Das ist auch das, was Coach Mircea Lucescu immer betont, wenn er über ihn spricht. Ein Profi durch und durch. Kein Zweifel, jeder Trainer hat gerne Spieler mit diesen Eigenschaften.
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SPOX: Was für ein Spielertyp ist Mkhitaryan? Ist er ein klassischer Spielmacher oder eher ein Flügelspieler? Und kann man ihn mit Mario Götze vergleichen?
Sereda: Er ist kein klassischer Spielmacher. In dieser Saison wurde er zentral hinter dem Mittelstürmer eingesetzt. Er zieht gern in den Strafraum und macht Tore. Er ist sehr, sehr vielseitig. Als er zu Schachtjor kam, war Fernandinho gerade verletzt und da hat er als Sechser im 4-2-3-1 gespielt. Es liegt ihm auch, Zweikämpfe zu gewinnen, Bälle zu erobern und Angriffe einzuleiten. Unter Lucescu hat er nie auf dem Flügel gespielt, immer nur zentral.
SPOX: Also ein durchaus geeigneter Spieler für jemanden wie Jürgen Klopp, der in der Angriffsreihe gerne mal rotiert?
Sereda: Definitiv! Ich glaube, seine beste Position ist direkt hinter den Spitzen. In dieser Saison ist er dort aufgeblüht. Falls Robert Lewandowski beim BVB bleibt und Mkhitaryan kommt, sollte er da auch spielen.
SPOX: Angeblich soll er ja sogar Angebote von Tottenham und Liverpool ausgeschlagen haben, weil er in den Ruhrpott möchte.
Sereda: Wissen Sie, die meisten dieser Geschichten sind nur Gerüchte. Es gibt hier einen so großen Hype um ihn, dass es schwer zu beurteilen ist, welche Geschichten wahr und welche von seinen Beratern gestreut sind. Es hieß ja schon, dass sein Transfer beschlossene Sache sei, dabei hat Liverpool noch nicht mal ein offzielles Angebot gemacht.
SPOX: Wie sieht man die Bundesliga in der Ukraine?
Sereda: Die Bundesliga ist sehr angesehen, vor allem nach dem Champions-League-Finale. Aber ich glaube nicht, dass das irgendwo anders ist. Es ist sehr prestigeträchtig, dort zu spielen. Natürlich kennt man Anatoliy Tymoshchuck, der für die Bayern gespielt hat und Champions-League-Sieger wurde. Und Mkhitaryan würde auch viel besser nach Dortmund als beispielsweise Liverpool passen, weil der Spielstil von Donezk und dem BVB sehr ähnlich ist: aggressiv, schnell, mit ausgeprägtem Pressing. Liverpool kommt dagegen mehr über den Ballbesitz.
SPOX: Warum sollte Mkhitaryan Donezk eigentlich verlassen? Schließlich spielt er dort auch in der Königsklasse und verdient gutes Geld.
Sereda: Das Geld ist meiner Meinung nach nicht entscheidend. Schachtjor ist ein sehr reicher Klub. Ihn reizt eine neue Herausforderung. Er will sich gegen Topspieler in einer Top-Liga beweisen. Aber jeder Wechsel hat auch seine eigene Geschichte.
SPOX: Zum Beispiel?
Sereda: Willian ist zu Anschi gegangen, weil seine Frau in Moskau leben wollte. Das hatte mit Geld oder Fußball nichts zu tun. Fernandinho ist zu Manchester City, weil er sich für die brasilianische Nationalmannschaft und die WM empfehlen will. In der Premier League steht er natürlich permanent im Rampenlicht. Und Mkhitaryan sucht eben die sportliche Herausforderung. Nur um das zu betonen: Was das Finanzielle betrifft, ist Schachtjor überhaupt nicht darauf angewiesen, Spieler zu verkaufen. Allerdings ist es auch keine gängige Praxis, Spieler zu halten, die gerne gehen möchten.
SPOX: 2009 wechselte mit Dmytro Chygrynskiy ein junger ukrainischer Spieler nach Barcelona, konnte sich dort aber nie durchsetzen. Generell kann man häufig beobachten, dass Spieler aus dem russischen Raum Probleme haben, sich in Westeuropa anzupassen und durchzusetzen.
Sereda: Chygrynskiy ist gescheitert, weil der Wechsel zu früh für ihn kam. Er war nicht bereit dafür, bei einem Klub wie Barcelona Woche für Woche die geforderte Leistung abzurufen. Es spielen in der Tat nicht so viele russische oder ukrainische Fußballer im Ausland, aber jeder Fall ist anders. Nehmen wir etwa Arshavin oder als Gegenbeispiel Shevtschenko.
SPOX: Wie schätzen Sie, würde Mkhitaryan mit einer neuen Umgebung zurechtkommen?
Sereda: Ich sehe überhaupt keine Anpassungsprobleme. Er hat schließlich schon Erfahrungen in Frankreich und sogar Brasilien sammeln können. Neben Russisch und Armenisch spricht er zudem Englisch, Französisch und Portugiesisch.
SPOX: Will er denn den Klub überhaupt sofort verlassen oder glauben Sie, dass er noch ein Jahr in Donezk dranhängen könnte?
Sereda: Ich glaube schon, dass er sofort gehen will. Ein Hinweis darauf ist, dass er sich nach der Sommerpause noch nicht wieder beim Klub gemeldet hat. Schachtjor war ohne ihn im Trainingslager in Österreich. Ich kann mir vorstellen, dass er vielleicht Angst hat, dass so eine Möglichkeit nicht wieder kommt.
Henrikh Mkhitaryan im Steckbrief