Der SC Freiburg hat den VfB Stuttgart überholt. Das hört man nicht gern, auch abseits aller Rivalität zwischen Baden und Württemberg. Zumindest nicht, wenn man es mit dem VfB hält. Wenn es um die Durchlässigkeit vom Jugend- in den Profibereich geht, ist der Sportclub vorübergehend vorbeigezogen. Doch es gibt Hoffnung im Schwabenland.
Die französische Sportzeitung "L'Equipe" hat eine Liste der Top-5-Ligen Europas veröffentlicht, die die Anzahl der im eigenen Klub ausgebildeten Spieler erfasst. Der FC Arsenal, der FC Barcelona, Olympique Lyon, Atalanta Bergamo und eben der SC Freiburg bilden in ihren jeweiligen Ligen die Spitze.
Demnach hat Freiburg in dieser Saison im Schnitt 5,2 Spieler aus der eigenen Jugend - die zwischen 15 und 21 Jahren mindestens drei Jahre im Klub ausgebildet wurden - eingesetzt. Spitzenreiter im internationalen Vergleich ist der FC Barcelona mit 7,2 Spielern.
VfB genießt immer noch guten Ruf
Ärgerlich ist der Umstand für den VfB nun deshalb, weil sich Stuttgart nicht nur als Aushängeschild im eigenen Bundesland definiert, sondern auch deutschlandweit immer noch den Ruf genießt, eine der besten Ausbildungsstätte für junge Spieler zu sein.
Die Quote von lediglich zwei, drei Spielern aus dem eigenen Stall, die diese Saison in der Bundesliga eingesetzt wurden, wird da dem eigenen Anspruch nicht gerecht. Im nationalen Ranking belegt der VfB damit lediglich Rang sechs.
Fast wie zum Trotz kam deshalb auch vor knapp zwei Wochen das Auswärtsspiel in Freiburg daher. Timo Werner, in Stuttgart-Bad Cannstatt geboren und als Sechsjähriger zum VfB gewechselt, erzielte als jüngster Spieler der Bundesligageschichte einen Doppelpack.
Der VfB kann also offenbar doch noch Jugend, die Inthronisierung des ehemaligen U-17-Trainers Thomas Schneider als Cheftrainer bei den Profis war auch ein Signal zu mehr Aufbruch und Durchlässigkeit aus dem Jugend- in den Seniorenbereich.
"Mehr Wertschätzung entgegenbringen"
"Wir müssen unserer Jugendarbeit wieder eine größere Wertschätzung entgegenbringen, als das zuletzt der Fall war. Wir haben so viele Top-Talente in unseren Reihen, von dem einen oder anderen wird man in naher Zukunft sicher etwas mehr hören", sagte Schneider auf seiner ersten Pressekonferenz und füllt seine Worte auch mit Leben. In der Länderspielpause holte er sich in Abwesenheit der Nationalspieler insgesamt acht Akteure aus der U 23 und der U 19 ins Training.
Neben der Mercedes-Benz Arena baut der VfB seit einigen Monaten ein neues Nachwuchsleistungszentrum. Rund zehn Millionen Euro kostet der Neubau mit 2700 Quadratmetern Nutzfläche, in gut einem Jahr sollen dann alle Jugendteams und die zweite Mannschaft dort ihre neue Heimstatt finden.
Die Rahmenbedingungen sind dann nahezu perfekt, um die zahlreichen Talente gezielt auf ihre mögliche Profilaufbahn vorzubereiten. Wenn möglich im Dress des VfB. Anlass zur Hoffnung gibt es mehr denn je, der VfB hat nach den Abgängen der beiden Masterminds Frieder Schrof und Thomas Albeck zu RB Leipzig seine Umstrukturierung gut bewerkstelligt und einige äußerst hoffnungsvolle Nachwuchsspieler in seinen Reihen - auch abseits der überragend guten Torhüterausbildung. In der Qualität und Quantität vielleicht so gute und viele wie noch nie. Eine Auswahl.
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Tim Leibold (19 Jahre, Deutschland U 23, linker Außenverteidiger): Spielte bis zur D-Jugend schon für den VfB, wurde dann aber aussortiert - weil er zu klein und zu schmächtig war. Kam über die Umwege Ditzingen und Freiberg erst vor der Saison zurück zum VfB. Schaffte aus der Oberliga schnell nicht nur den Sprung in die Stammelf der Amateure, sondern auch zur U-20-Nationalmannschaft. Trainer Frank Wortmuth sieht Leibold jetzt schon stärker als den Bundesliga erprobten Christian Günter vom SC Freiburg. Leibold ist flink, hat einen großen Offensivdrang und eine beeindruckend Technik auch bei hoher Geschwindigkeit. "Dass er den Sprung so schnell schaffen würde, war nicht zu erwarten", sagt Philipp Maisel von "kick-s.de", der führenden Website rund um den Stuttgarter Jugend- und Amateurfußball.
Sinan Gümüs (19 Jahre, Deutschland, U 23, offensives Mittelfeld): Gümüs startet erst seit dieser Saison richtig durch, hat davor in der U 19 nicht Stamm gespielt. Profitiert jetzt vom Umstand, dass der VfB seinen U-17-Spielern in der Regel Dreijahresverträge anbietet, um den Spieler wenigstens eine Saison bei den Amateuren sehen zu können und eine mögliche Stagnation bei den A-Junioren einzukalkulieren. So sollen talentierte Spieler nicht voreilig aus dem Raster fallen. Gümüs hat mit seiner robusten Art auch schon Interesse in der Türkei geweckt, Besiktas und auch Galatasaray sollen aufmerksam geworden sein. Manchmal noch zu hektisch in bestimmten Spielsituationen. Gab vor einigen Wochen sein Debüt in der deutschen U 20.
Robin Yalcin (19, U 23, Deutschland, defensives Mittelfeld): Der Name ist schon länger bekannt, Yalcin holte unter anderem mit der deutschen U 17 vor einigen Jahren den dritten Platz bei der WM und wurde mit der Fritz-Walter-Medaille in Silber dekoriert. Eine schwere Knieverletzung zwang Yalcin zu mehreren Monaten Pause, seit rund acht Wochen steht er wieder voll im Training und wusste bei seinen (kurzen) Einsätzen bei den Amateuren zu überzeugen. Einer der Vorzeigespieler des ehemaligen DFB-Sportdirektors Matthias Sammer...
Gratas Sirgedas (18, U 23, Litauen, offensives Mittelfeld): Der Litauer hat erst wenige Minuten in der 3. Liga absolviert, weißt aber sowohl ungemein viel Talent, als auch eine interessante Vita auf. Kam im Sommer nicht aus einem Verein in seiner Heimat, sondern einer eigens zur Talentförderung errichteten Akademie zum VfB. Wurde vier Wochen lang getestet und fußballerisch für außerordentlich empfunden. Ein trickreicher Spieler mit Auge - dem allerdings die Bedingungen noch sehr schwer zu schaffen machen. Sirgedas ist noch nicht beim VfB und in der Mannschaft angekommen, wirkt zu schüchtern. Im harten Alltag in der 3. Liga ist ihm das Tempo noch zu hoch und die Härte noch zu viel. Wurde in der Heimat unter der Woche zum besten Nachwuchsspieler des Landes gewählt und bei der letzten U-19-EM Torschützenkönig. Potenzial ist reichlich vorhanden, Sirgedas muss es nur auch auf den Platz bringen.
Joshua Kimmich (17, ausgeliehen an RB Leipzig, Deutschland, zentrales Mittelfeld): Der geborene Anführer. Für sein Alter unheimlich weit in der fußballerischen und persönlichen Entwicklung. Beim VfB von einer Schambeinentzündung ausgebremst. Das Dreigestirn Ralf Rangnick, Schrof und Albeck sahen die Gelegenheit und schlugen zu. Der VfB hat die Option, Kimmich nach zwei Jahren wieder zurückzuholen. Nach überstandener Verletzung bei RB Leipzig ein Fixpunkt, fußballerisch komplett, beidfüßig, mit hoher Spielintelligenz. Sollte eigentlich in dieser Saison bei der U 19 eingesetzt werden, seine Ungeduld und das stramme Werben Leipzigs zogen ihn aber fort. Ist in der 3. Liga bestens aufgehoben und am Anfang eines wahrscheinlich außerordentlich erfolgreichen Weges.
Arianit Ferati (16, U 19, Deutschland, offensives Mittelfeld): Der gebürtige Stuttgarter mit kosovarischen Wurzeln sprüht nur so vor Spielwitz. Hat ein enormes Tempodribbling, ist schnell, trickreich, kann auf dem Flügel spielen und hat einen starken Torabschluss. Vergisst dabei aber nicht, dass Fußball ein Mannschaftssport ist. Trotz seiner individuellen Fähigkeiten anders als viele andere in seiner Altersklasse kein Egomane, sondern ein klarer Teamspieler. Debütierte jüngst in Deutschlands U 17.
Mart Ristl und Simon Kranitz (beide 17, U 19, Deutschland, zentrales Mittelfeld): Ein kongeniales Duo, das jetzt seit einigen Jahren in allen U-Mannschaften im defensiven Mittelfeld agiert. Kranitz ist ein klarer Leader, Kapitän der deutschen U-18-Nationalmannschaft. Im Tandem mit Ristl, ebenfalls U-18-Nationalspieler, dirigiert er die U 19 des VfB. Eigentlich sind beide noch für die U-17-Junioren spielberechtigt.
Adrian Grbic (17, U 19, Österreich, Angriff): Die Tormaschine schlechthin. Knapp 1,90 Meter groß, beidfüßig, wuchtig - und trotzdem kein klassischer Brechertyp. Lässt sich gerne ins Mittelfeld oder auf die Außen fallen, um dann mit Zug zum Tor gehen zu können. Wies in der U 17 zuletzt ähnlich starke Torquoten wie Timo Werner auf, erzielte auch den Treffer zum Titelgewinn der U 17 in diesem Sommer gegen Hertha BSC (1:0). Die ganz große Sturmhoffnung Österreichs derzeit.
Max Besuschkow (16, U 17, Deutschland, offensives Mittelfeld): War schon mit 16 Stammspieler bei der U 17 und dort auch Deutscher Meister. Kapitän und Kopf der Mannschaft, ein Vorbereiter und Vollstrecker, die klassische Nummer zehn mit überragend guter Schusstechnik. Mittlerweile zur U 18 Deutschlands berufen. Wäre sofort in die U 19 hochgezogen worden - da aber Ristl und Kranitz schon fehlen, belassen ihn die Verantwortlichen noch diese Saison in der B-Jugend.
Prince Osei Owusu (16, U 17, Deutschland, Angriff): Ein unglaublicher Athlet, misst fasst 1,90 Meter. Ungeheuer expolsiver Antritt, Durchsetzungsvermögen, ein reiner Strafraumspieler. Trotz seiner Wucht aber in seinen Bewegungsabläufen auch geschmeidig. Wirkt manchmal aber etwas divenhaft und lustlos. Trotzdem auf Grund seiner körperlichen Anlagen eine Verheißung für die Zukunft.
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Der VfB Stuttgart im Überblick