Versucht hatten sich einige. Niclas Jensen oder Young-Pyo Lee beispielsweise. Doch nachhaltig verdrängen von seinem Platz in der Viererkette konnte BVB-Ikone Dede niemand. Der Brasilianer war über Jahre hinweg Linksverteidiger Nummer eins bei Borussia Dortmund - und dahinter klaffte häufig ein größeres Loch.
"Es war nicht so, dass die Position jemals so richtig verwaist gewesen wäre", sagt Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke im Gespräch mit SPOX. Aber so, wie sich beim BVB derzeit die Situation um die Linksverteidiger im Kader darstellt, war sie schon seit längerer Zeit nicht mehr.
Vor bald fünf Jahren zauberte Trainer Jürgen Klopp Marcel Schmelzer aus dem Hut. Dede hatte sich einen Kreuzbandriss zugezogen und Schmelzer nutzte dessen lange Abwesenheit, um sich dauerhaft zu etablieren. Dede war nach seiner Genesung gewissermaßen zum Standby-Profi verkommen, sammelte kaum noch Einsatzminuten und verließ die Borussia letztlich im Sommer 2011.
Großkreutz als Notnagel
Seitdem ist Schmelzer auf sich allein gestellt. Der Kader des BVB wies keinen "echten" Backup aus, also einen gelernten Linksverteidiger, der im Fall der Fälle hätte einspringen können. Kevin Großkreutz hatte einige Male ausgeholfen, auch Jakub Blaszczykowski rückte schon diagonal über den Platz nach hinten.
Für die aktuelle Saison beorderte der BVB Jannik Bandowski von der U 23 in den erweiterten Profikader. Der Youngster absolvierte die Sommer-Vorbereitung bei Klopp und wurde im November auch mit einem Profivertrag ausgestattet, ist derzeit aber ein deutliches Stück entfernt von der ersten Mannschaft.
Das hängt vor allem mit dem blitzsauberen Aufstieg von Erik Durm zusammen. Der 21-jährige Ex-Stürmer hat während seiner immer noch andauernden Umschulung zum Außenverteidiger lediglich fünf Monate gebraucht, um in Bundesliga, Champions League und bei der deutschen U-21-Auswahl zu debütieren.
Erik Durm im SPOX-Interview über seine Umschulung
Durm musste Schmelzer in der Hinrunde mehrfach vertreten, weil der A-Nationalspieler immer wieder mit Blessuren zu kämpfen hatte. 18 Pflichtspiele (davon 14 von Beginn an) stehen aktuell für Durm zu Buche, Schmelzer kommt auf 13.
"Schmelzer der Platzhirsch"
Zur allgemeinen Überraschung war Durm beim Großteil seiner Auftritte, erinnert sei hier vor allem an sein grandioses CL-Debüt gegen Marseille, auf Anhieb so stark, dass es nicht nur Bandowski künftig schwer haben wird. Auch Schmelzer hat registriert, dass sich in seinem Schatten jemand aufmacht, beständigen Druck auszuüben.
Die Rollenverteilung wird zunächst jedoch natürlich unantastbar bleiben. Das bestätigt auch Watzke bei SPOX: "Marcel Schmelzer ist als etablierter Nationalspieler der Platzhirsch. Erik Durm versucht nun, Druck zu machen - was für uns natürlich völlig in Ordnung ist. Mit dieser Situation können wir derzeit sehr gut leben. Aber Schmelle ist aufgrund der Leistungen, die er in den letzten Jahren bei uns gebracht hat, in der Pole Position."
Durm als die Hummel im Hintern von Schmelzer - eine ideale Ausgangslage für einen gesunden Konkurrenzkampf. Der Umschüler wird von einem fitten Schmelzer weiter lernen können, wohingegen Schmelzer sicherlich einen Antrieb aus der veränderten Situation ziehen wird.
"So etwas ist im Fußball immer ganz gut. Ich bin froh, dass wir jetzt jemanden haben, der Linksverteidiger spielen kann, wenn ich einmal verletzt bin oder Probleme haben sollte. Dann könnte ich mich vollkommen auf die Genesung konzentrieren", sagt Schmelzer.
Als Stammspieler zur WM?
Durm ist die Fragerei in diese Richtung fast schon unangenehm. "Ich werde immer wieder gefragt, ob es jetzt schwer wird für Schmelle", erzählt er. "Ich stelle gar keine Ansprüche. Er ist da gesetzt. Und er ist ein Vorbild für mich. Ich orientiere mich an ihm."
Der Gesetzte ist nun allerdings auch in anderer Hinsicht gefordert. Schmelzer hat noch die Rückrunde, um sich im Kampf für den Linksverteidigerposten in der deutschen Nationalmannschaft durchzusetzen. Bei Bundestrainer Joachim Löw läuft es auf einen Zweikampf mit Marcell Jansen vom Hamburger SV hinaus, der bis zum Start der WM im Gegensatz zu Schmelle keine Möglichkeit haben wird, sich auf höchstem internationalen Niveau zu präsentieren.
Schmelzer wird insgesamt gesehen zulegen müssen, auch im Verein. Dort präsentierte sich der bald 26-Jährige zwar häufig solide, die ganz großen Ausreißer nach oben sind aber deutlich seltener geworden.
Das liegt auch daran, dass Schmelzer immer wieder mit kleineren Verletzungen zu kämpfen hatte (Auszug aus der Krankenakte: Muskelfaserriss, Muskelverhärtung, Nasenbeinbruch, Außenbandprobleme, Fußprellung, Knochenstauchung) und auf seiner laufintensiven Position somit nur schwer in seinen Rhythmus kam.
"Schmerzfrei und vollkommen fit"
Doch den muss er jetzt bis Brasilien halten und weiter nach oben schrauben, Schmelzer kann beim DFB nur über die Highlights punkten. Im Trainingslager in La Manga zeigt er sich nach seinem auskurierten Faserriss engagiert. In den beiden Testspielen hatte er seine besten Szenen in der Offensive, gerade gegen Lüttich gehörte er zu den besten Dortmundern.
"Es sieht sehr gut aus. Ich bin schmerzfrei und endlich wieder vollkommen fit. Ich denke, dass in der nächsten Woche auch die Frische dazukommt und ich dann wieder bei alter Stärke sein werde", sagte er am Mittwoch im Teamhotel. Er wird die alte Stärke aus den Meisterjahren auch brauchen, um nicht der Durm der Nationalmannschaft zu werden.
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