Der FC Schalke ist hinter Bayern München die erfolgreichste Mannschaft des neuen Jahres. Drei grundlegende Veränderungen und eine neue starke Achse haben Schalkes Höhenflug zu verantworten.
Im Profifußball ist das ganz gerne mal ein Problem: Am kommenden Mittwoch erwartet der FC Schalke 04 die Zauberfüße von Real Madrid. Das Achtelfinale in der Champions League, ein ganz großes Ding.
Davor hat der Spielplan den Knappen in der Bundesliga am Freitag (ab 20.15 Uhr im LIVE-TICKER) den FSV Mainz 05 serviert. Ein respektabler deutscher Mittelklasse-Klub, aber eben nicht von der Strahlkraft eines spanischen Rekordmeisters.
Die Befürchtung steht im Raum, dass Schalkes Mannschaft mit Real im Hinterkopf ganz vergisst, sich adäquat um den Liga-Alltag zu kümmern. In der Vergangenheit ist in einer ähnlichen Konstellation nicht immer alles glatt gelaufen und Schalke hat wichtige Punkte in der Liga liegen lassen.
Jens Keller wurde deshalb in den letzten Tagen nicht müde, seinen Spielern den Gegner Mainz immer wieder ins Gedächtnis zu rufen - und jedwede Gedanken an Real Madrid vorerst zu untersagen. "Ich lasse es nicht zu, dass wir im Moment über Real reden. Erst von Samstag an können wir uns darüber Gedanken machen", sagte Keller.
So ganz ohne das Thema Königsklasse darf es dann aber auch am Freitagabend nicht ablaufen siegt Schalke auch im fünften Spiel der Rückrunde, klettert Kellers Team erstmals in dieser Saison auf einen der direkten Champions-League-Plätze zwei oder drei.
Ein Erfolg über Mainz - mit 13 Punkten aus den letzten sechs Spielen hinter den Bayern (18) und eben Schalke (16) die erfolgreichste Mannschaft der Liga - würde zudem den alten Rückrunde-Startrekord der Knappen aus der Saison 2001/02 unter Jahrhunderttrainer und Keller-Vorgänger Huub Stevens egalisieren.
Der FC Schalke im Jahr 2014 hat mit dem FC Schalke aus dem Jahr 2013 kaum noch etwas gemeinsam. Nachdem Trainer Keller nicht wie von vielen erwartet rund um die Feiertage vor die Tür gesetzt wurde und im Trainingslager einige elementare Umstrukturierungen vornehmen konnte, läuft es bei Schalke ausgesprochen gut. An drei Punkten lässt sich der überraschende Wandel hauptsächlich dokumentieren.
Der neue Teamgeist:
"Die Mannschaft hat ein ganz anderes Miteinander, Probleme werden jetzt sofort und offen angesprochen", sagte Trainer Keller nach dem etwas glücklichen Sieg am letzten Wochenende bei Bayer Leverkusen. Im Trainingslager in Katar gab es zahlreichen "konstruktive Gespräche. Da sind wir als Mannschaft enger zusammengerückt. Wir haben einige interne Dinge abseits des Fußballplatzes geklärt", sagt Kevin-Prince Boateng.
"Wir haben uns einfach besser kennengelernt, haben viel miteinander geredet", erkennt Keller wichtige Veränderungen in der Kommunikation untereinander und Torhüter Ralf Fährmann sieht mittlerweile sogar "elf Kapitäne auf dem Platz stehen. Jeder will Verantwortung übernehmen."
Ganz sicher eng mit dem neuen Klima innerhalb der Mannschaft verbunden ist der Weggang von Jermaine Jones. Der US-Nationalspieler hat immer mal wieder für Unruhe gesorgt, bei Nichtberücksichtungen schnell gestänkert.
Allein der Weggang von Jones kann als Erklärung für das neue Wir-Gefühl aber auch nicht dienen. Und vor allem drängt sich sofort auch die Frage auf: Wieso nicht schon in der Hinrunde so? "Es sind viele Bausteine", sagt Sportdirektor Horst Heldt. "Die Spieler haben sich in die Pflicht genommen. Sie rufen jetzt einfach deutlich mehr Leistung ab."
Jens Kellers Umstellungen:
In seiner schwierigsten Phase, als nahezu jeder mit dem Rauswurf des Übungsleiters gerechnet hat, wählte Keller den offensiven Weg: Er verordnete seiner Mannschaft ein variableres Auftreten, ließ in Katar andere Spielsysteme einstudieren. Mit dem Ergebnis, dass Schalke jetzt für den Gegner schwerer zu greifen ist - weil die Knappen auch während der 90 Minuten flexibel auf bestimmte Situationen reagieren können.
"Neben dem gewohnten 4-2-3-1 kann es sein, dass wir in der Rückrunde auch mal im 4-4-2 oder im 4-1-4-1 auflaufen. Letztendlich sind es immer Nuancen. Wir haben viele Ideen und studieren einiges ein", ließ Keller in der Winterpause wissen.
Das 4-4-2 in der Defensivbewegung, in das sich Schalke in der Hinrunde fast immer zurückzog, konnte die Flut an Kontergegentoren nicht eindämmen. 13 Tore kassierte Schalke in der Vorrunde nach einem schnellen Gegenangriff. In der Rückrunde fiel auf diese Weise noch gar kein Treffer gegen Schalke.
Kellers Umbaumaßnahmen begannen bereits in der Endphase der Vorrunde, jetzt kommen sie noch besser zum Tragen. In den letzten sieben Pflichtspielen spielte Schalke fünfmal zu Null und kassierte nur zwei Gegentore.
In der Offensive war die Anbindung zwischen der Viererkette und den Offensivreihen das zentrale Problem. Roman Neustädter und Jones auf der Doppel-Sechs waren mit der Spieleröffnung überfordert, das offensive Mittelfeld und der Angriff waren von ballführenden zu weit entfernt, als dass sich Schalke sicher mit einem sicheren Flachpassspiel durch das Mittelfeld hätte kombinieren können.
Die Folge waren nur 202 Torabschlüsse. Nur vier Mannschaften in der Liga hatten weniger. Lediglich Schalkes Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor - mit 36 Prozent Chancenverwertung ist die Mannschaft einsame Spitze in der Liga - ließ das Offensivspiel in einem vernünftigen Licht dastehen.
Hier hat Keller, der sich als Typ kaum verändert hat, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Im Defensivverbund hat er das Mittelfeld im Zentrum enorm verdichtet. Der oder die Angreifer lassen sich gegen spielstarke Mannschaften eher fallen, verzichten auf das frühe Pressing der Innenverteidiger und füllen stattdessen den Raum im Mittelfeld mit auf.
Dazu rücken die Außenpositionen im 4-4-2 bei gegnerischem Ballbesitz einige Meter weiter ein und lassen die Flügel zugunsten einer engeren Stellung zu den zentralen Mittelfeldspielern frei. Die Folge ist ein enges Sechseck im Zentrum - das zwar aber auch mehr Arbeit für die beiden Außenverteidiger und ein entsprechendes Risiko über die kurzzeitig anfälligen Flügel bedeutet, von Keller aber gerne in Kauf genommen wird.
Durch das verbesserte Pressing im neutralen Spielabschnitt um die Mittellinie kommt es zu mehr Balleroberungen und das Schalker Umschaltspiel wird automatisch gefährlicher. Die Mannschaft hat einen guten Mittelweg gefunden zwischen frühem Pressing und zur Not auch mal einem geordneten Rückzug und schaltet dann strukturiert und technisch sauber ausgeführt in die Offensive um.
Seite 1: Der neue Teamgeist und Kellers Umstellungen
Seite 2: Geglückte Personalrochaden
Die geglückten Personalrochaden:
Bereits Ende der Hinrunde rutschte Torhüter Fährmann nach der Verletzung von Timo Hildebrand ins Team. Seitdem steigert sich der 25-Jährige zwischen den Pfosten kontinuierlich. Fährmann kann neben seinen technischen Fertigkeiten auch mit einer gewissen Ruhe punkten, die er ausstrahlt und die sich offenbar positiv auf seine Vorderleute auswirkt.
"Ich versuche der Mannschaft Ruhe und Sicherheit zu geben - auch dadurch, dass ich persönliche Risiken eingehe", sagt der Keeper. Fährmann sieht sich bestätigt, sich bei seinem Heimatverein durchsetzen zu wollen. Auch wenn eine schwierige Zeit hinter ihm liegt.
"Ich bin für meine Hartnäckigkeit belohnt worden. Viele haben mich sicher belächelt. Jetzt freue ich mich, es den Kritikern und Skeptikern zeigen zu können", wird Fährman im "Kicker" zitiert.
Vor Fährmann ist Felipe Santana drauf und dran, seine Chance immer besser zu nutzen. Der Brasilianer bringt eine Verlässlichkeit besonders im Luftkampf mit, ist auch in der Offensive torgefährlich. Da fiel das Fehlen von Kapitän Benedikt Höwedes in den letzten Spielen kaum noch auf.
Kellers Königszug aber ist die Versetzung von Kevin-Prince Boateng aus dem Angriffs- in den Strategiebereich. Mit dessen Rückzug auf die Doppel-Sechs bekam Schalkes Spiel Struktur und Flair. Boateng orientiert sich in der Defensive am eher risikoarm spielenden Nebenspieler Neustädter und macht seine Sache in der Defensivbewegung recht gut.
Besonders wertvoll wird er aber in der Offensive. Boateng ist strategisch stark, ballsicher, hat frische Idee. Er kann das Spiel mit einem einzigen Pass schnell verlagern und dank seiner Torgefahr aus der Tiefe bis in die gefährliche Zone aufrücken.
Dass seit dem 18. Spieltag auch endlich wieder Klaas-Jan Huntelaar auf dem Platz steht, rundet das positive neue Gesamtbild perfekt ab. Der Niederländer glänzt nicht nur als Torjäger, sondern "ist auch als Figur enorm wichtig", wie Heldt erkannt hat.
Wie selbstlos sich der Hunter ins Kollektiv einbringt, zeigt die Partie in Leverkusen: In der BayArena standen Lars Bender, Simon Rolfes oder auf Schalker Seite Neustädter auf dem Platz. Alles erwiesene Dauerläufer, das Anforderungsprofil ihrer Position im defensiven Mittelfeld ließe auch kaum etwas anderes zu.
Die meisten Kilometer riss aber keiner der üblichen Verdächtigen ab - sondern Huntelaar. 11,98 Kilometer wurde registriert. Auch Stefan Kießling auf der anderen Seite - der Prototyp des defensiv arbeitenden und Kilometer fressenden Angreifers - kam da nicht ran. Huntelaar hielt sich viel im Mittelfeld auf, stellte die Passwege für den Gegner zu. Aus dem reinen Strafraumspieler ist derzeit eine Art Zehner geworden.
"Mir gefällt diese neue, leicht veränderte Rolle. Ich bekomme so mehr Bälle und bin mehr im Spiel. Ich denke, dass wir so auch gefährlicher sind", sagt Huntelaar und erklärt das Erfolgsmodell gegen Leverkusen.
"Wir haben kompakt verteidigt, so dass sie den Ball immer hinten herumspielen mussten, sie hatten auch mehr Ballbesitz als wir. Das war auch unser Plan. Wir haben versucht unser Tor dichtzumachen und sie zu zwingen, den langen Ball zu spielen. Das hat gut geklappt."
Schalke reagiert momentan sehr gut auf die Anforderungen, die der jeweilige Gegner erfordert. Gegen den HSV, Hannover und mit Abstrichen auch Wolfsburg spielte die Mannschaft dominant, in Leverkusen überließ sie dem Gegner zumeist den Ball. Aufgegangen ist das Konzept bisher immer, wenngleich das eine oder andere Mal auch etwas Glück dabei war.
Ohne Hildebrand, Jones und vorübergehend auch Höwedes und Draxler hat sich auf Schalke eine neue Achse gebildet. Die Kette Fährmann-Santana-Boateng-Huntelaar dominiert derzeit das Zentrum, wo ein Spieler wie der junge Max Meyer daneben regelrecht aufblühen kann. Der 18-Jährige ist jetzt schon mit fünf Saisontoren der drittgefährlichste Angreifer der Schalker.