Der Prototyp aus dem Labor

Von Stefan Rommel
Kasper Hjulmand tritt in Mainz das Erbe von Thomas Tuchel an
© imago

Kasper Hjulmand und Mainz 05 scheinen wie füreinander gemacht. Der Däne tritt gewiss ein schweres Erbe an, bringt aber alle Qualitäten seiner Vorgänger mit - und sogar noch ein bisschen mehr.

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Als alles vorbei war, als die Kameras weg waren und die vielen Reporter, gönnten sich der Neue und seine Vorgesetzten noch ein paar Kaltgetränke im Biergarten von "Schneiders Haasekessel".

Der liegt direkt hinter dem Stadion am Bruchweg, der alten Mainzer Wirkungsstätte. Kasper Hjulmand, der neue Mainzer Trainer, hatte seine erste Fragerunde gerade überstanden und sich noch ein Bild vom Trainingsgelände gemacht.

Ihm hat gefallen, was er bei seiner Vorstellung erlebt und gesehen hat. Er selbst hat auch einen sehr guten Eindruck hinterlassen und das war wohl eine mindestens ebenso wichtige Erkenntnis.

Cleverer Schachzug

Kasper Hjulmand ist ein fast unbekannter Trainer von einem fast unbekannten Klub aus einer fast unbekannten Liga. Da gab es ziemlich viele Fragezeichen und weil der erste Eindruck bekanntlich der wichtigste ist, war der Däne auch sehr gewissenhaft vorbereitet.

Die Arbeit seiner Vorgänger Thomas Tuchel und Jürgen Klopp zu loben, war klug. Dann aber auch noch Wolfgang Frank, der dem Klub Mitte der 90er Jahre als Cheftrainer zum ersten Mal so etwas wie ein eigenständiges Profil verpasst hat und später zu Klopps Mentor wurde, zu nennen, war eine taktische Meisterleistung.

"Das zeigt seine Intelligenz, aber auch sein Einfühlungsvermögen. Kasper hat ein untrügliches Gespür für Situationen und Menschen. Er ist gewiss ein hervorragender Trainer, auf dem neuesten Stand der Wissenschaft. Aber er ist vor allen Dingen auch ein Mensch mit einer unglaublich hohen Empathie", sagt Troels Henriksen gegenüber SPOX.

Der ist Sportjournalist beim "Morgensavisen Jyllands-Posten", Dänemarks größter Tageszeitung und begleitet den Werdegang Hjulmands seit der erstmals als Cheftrainer in der dänischen Liga gearbeitet hat.

Klares Anforderungsprofil

Bei Hjulmands Präsentation waren keine der sonst gerne genommenen platten Sprüche zu vernehmen, sondern ein sehr reflektiertes Gedankengut mit Tiefgang. Hjulmand ähnelt seinen Vorgängern in sehr vielen Dingen. Das war Christian Heidel bei der Suche nach einem neuen Trainer das oberste Gebot.

Der FSV Mainz 05 ist ein besonderer Klub in der Bundesliga, da verwunderte es nicht, dass auch die Fahndung nach dem Tuchel-Nachfolger klaren Vorgaben zu entsprechen hatte. Ein siebenseitiges Anforderungsprofil existiert schon seit Jahren, auf dem Deckblatt sind die Mannschaft sowie die Trainerikonen Tuchel, Klopp und Frank zu sehen.

"Der Trainer muss zu unserer Vereinsphilosophie passen, der Verein wird nie mehr für einen Trainer seine Philosophie verändern", sagt Heidel klipp und klar. Als sich Heidel und sein Neuer Mitte April zum ersten Mal trafen und persönlich austauschten, dauerte es keine zwei Stunden, als der Manager zur Erkenntnis kam, dass vor ihm gerade der neue Trainer von Mainz 05 sitzt.

Das große Ganze im Fokus

Heidel sei "beeindruckt" gewesen von Hjulmands Ausführungen, seinen Ideen und Vorstellungen, wie eine Mannschaft und auch ein Klub zu führen seien. Es ist ein entscheidendes Kriterium, dass die Arbeit des Trainers nicht an der Seitenlinie des Trainingsplatzes endet. Sondern dass er den Klub immer als großes Ganzes im Auge behält.

"Es ist eine seiner Stärken, einen ganzen Klub für seine Ideen zu begeistern - und nicht nur seine Spieler", sagt Henriksen. Allerdings räumt er auch ein, dass Hjulmand bei seinem Ex-Klub Nordsjaelland dafür nahezu perfekte Bedingungen vorgefunden hat.

In der Kopenhagener Peripherie der Besserverdiener war Fußball allenfalls eine Randerscheinung. Hier gibt es keine Arbeiterklasse und der FC Nordsjaelland war ein Klub fast ohne Fankultur. Es gibt auch keine Lokalzeitung, die am Aufbau eines Fußballklubs interessiert wäre. Dieses Brachland hat Hjulmand beackert und innerhalb vier Jahren aus dem Nichts bis ganz nach oben geführt.

Die Meisterschaft und der damit verbundene Einzug in die Gruppenphase der Champions League des Klubs, der "auf Grund seiner Voraussetzungen streng genommen in der Superligaen gar nichts zu suchen hatte", war 2012 eine schiere Sensation.

Das Gehirn

In Nordsjaelland wurde Kasper Hjulmand "the brain" genannt. Er sei akribisch und detailversessen, aber kein Pedant. Ein harter Arbeiter mit sehr vielen weichen Zügen, ein Kommunikator und Motivator. Er hat hospitiert und gelernt bei Pep Guardiola, hat sich bei den Besten des Geschäfts viele kleine Details abgeschaut. Bei Louis van Gaal, Jürgen Klopp, Leo Beenhakker.

Er hat die Schattenseiten des Geschäfts früh kennengelernt, die aktive Karriere war Mitte 20 wegen einer schweren Knieverletzung vorbei, noch ehe sie so richtig gestartet war. Er hat das Leben außerhalb des Profidaseins kennengelernt: Hat seinen Abschluss im Sportmanagement gemacht, dazu noch Philosophie studiert und in Jacksonville/USA erste Auslandserfahrungen gesammelt. Er ist jung, dynamisch und eloquent. Kasper Hjulmand wirkt wie ein Prototyp aus dem Labor moderner Fußballtrainer.

Besserer Zugang zu den Spielern?

So sehr er seinem Vorgänger Tuchel auch ähneln mag, wird ihm doch eine Eigenschaft zugeschrieben, die dem amtsmüden Vorgänger angeblich ein wenig gefehlt habe: Tuchel wirkte in seinen insgesamt fünf Jahren als Cheftrainer der Profis immer auch etwas unnahbar. Hjulmand plant eine etwas andere Herangehensweise, um sich der Mannschaft anzunähern. "Du musst wissen, wer deine Spieler sind. Nur dann kannst du das Beste aus ihnen herausholen", sagt er.

Der 42-Jährige könne ganz schnell "eine Wärme zwischen sich und seinen Mitarbeitern aufbauen, die außergewöhnlich ist. Er ist ein Menschenfänger im positiven Sinn. Die Leute nehmen ihm ab, was er sagt. Ich kenne keinen einzigen seiner Spieler, der Kasper Hjulmand nicht mag. Niemand hat bisher auch nur ein schlechtes Wort über ihn verloren", sagt Henriksen.

Aber ist so einer auch hart genug für das schroffe Geschäft in der Bundesliga? "Er muss definitiv auch eine brutalere Seite zeigen", sagt Henriksen. "Er wird sich anders durchsetzen müssen als in Dänemark, wo die Spieler vergleichsweise pflegeleicht sind."

Hjulmand muss Flexibilität fortführen

Der Spagat zwischen seinen Vorlieben und einem notwendigen Pragmatismus ist Hjulmand längst klar. Mainz ist in der Bundesliga nicht die Mannschaft mit den stärksten Individualisten, das Team reiht sich da allenfalls im unteren Mittelfeld der Liga ein. Die Mainzer Flexibilität unter Tuchel war stets ein Markenzeichen. Die Verquickung unterschiedlicher Stilmittel des modernen Fußballs, zugeschnitten auf den jeweiligen Gegner, die logische Konsequenz daraus.

Mainz hat unter Tuchel ein unglaublich großes Portfolio an Spielentwürfen entwickelt, Aufstellung, Ausrichtung und Spielidee waren für den Gegner vor praktisch jeder Partie von neuem ein großes Rätsel. So soll es auch bleiben, Mainz kann gar nicht anders. Und Hjulmand konnte gar nicht anders, als sich diesen speziellen Klub als Anlaufpunkt in Deutschland auszuwählen.

Nicht nur die erstbeste Chance ergriffen

Die Episode von Stale Solbakken, der beim FC Kopenhagen Meisterschaften in Serie holte und dann eigentlich Nationaltrainer in Norwegen werden sollte, war Hjulmand im Gedächtnis geblieben. "Wenn du zehn dänische Trainer fragst, ob sie in die Bundesliga zu irgendeinem Verein wechseln wollen, dann sagen neun: 'Ja, natürlich!'", hat er nach dem letzten Spieltag in Dänemark gesagt.

Solbakken hat sich damals für den 1. FC Köln entschieden. Der wusste um den Ruf des Klubs und seine nervösen Zuckungen, wenn es nicht nach Plan läuft. Trotzdem wollte Sobakken die Chance nicht ungenutzt lassen und sagte zu. Hjulmand hätte diesen Schritt "nie im Leben" so vollzogen.

Er versucht sich ab Juni dann selbst in Mainz. "Ich hatte nicht gedacht, dass es so leicht wird, einen Klub zu finden, der so gut zu mir passt", begründet er seine Entscheidung. Frau Vibeke und die Kinder Marcus (15), Mikkel (12) und Liva (5) werden von Dänemark nach Rheinhessen übersiedeln.

Vielleicht kommt auch sein Co-Trainer Flemming Pedersen mit zum FSV. Der hat auch schon etwas von dem "Herzblut" erfahren dürfen, das Hjulmand seinem neuen Klub attestiert. Pedersen war zur Präsentation seines Chefs mit nach Mainz geflogen.

Auf "Käsper Hjulmän", wie der Neue korrekt ausgesprochen wird, darf sich wohl nicht nur der FSV Mainz 05 freuen. "Sage, was du tust, und tue, was du sagst. Vertraue dir und dem, was du bist", sagt er. Das könnte auch von Thomas Tuchel stammen. Aber der ist bald Geschichte in Mainz.

Das ist der FSV Mainz 05

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